"Anne Will" zur neuen Bundesregierung:Kopfschmerzen, einfach nur Kopfschmerzen

Anne Will; anne will

Eigentlich soll es an diesem Sonntag in der ARD um die neuen Gesichter in der neuen großen Koalition gehen und wofür die neue Ministerriege steht.

(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)

Eigentlich soll es darum gehen, wofür die neue Regierung steht. Doch dann hauen sich bei Anne Will nur wieder vier Politiker die Köpfe über die Flüchtlingspolitik ein. Geht's noch?

TV-Kritik von Lars Langenau

Das Wochenende soll ja eigentlich der Wiederherstellung der Arbeitskraft dienen. Mal entspannen von den Widrigkeiten der Woche. Mal abschalten von den Kopfschmerzen, die die schlechte Luft im Büro auslöst. Mal weg von rätselhaften Vorgesetzten, die einem das Leben so unnötig schwermachen. Der Sonntagabend ist so eine Art Ausläufer der Rekonvaleszenz: Auf dem Sofa rumlümmeln, ein netter Krimi im TV und zum Einschlafen noch ein gutes Buch. Perfektes Wochenendabschlussfeeling.

Man kann sich die letzten schönen Stunden aber auch versauen. Beispielsweise, indem man schon an Montag denkt - oder um 21.45 Uhr die Talkshow von Anne Will einschaltet. Eigentlich soll es an diesem Sonntag in der ARD um die neuen Gesichter in der neuen großen Koalition gehen und wofür die neue Ministerriege steht. Darum, ob dieses Kabinett das richtige ist, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Und ob (und wenn ja) welche Antworten die große Koalition auf die zunehmende finanzielle und somit gesellschaftliche Spaltung hat.

So weit, so hehre Ansprüche. Doch geschlagene 38 von 60 Minuten benötigt die versammelte Runde von Spitzenvertretern der CDU, FDP, Linken, SPD und Welt, bis eine mal auf den Tisch haut und sagt: Verdammt noch mal, wie verbohrt kann man denn sein? Lasst die doch erst mal beginnen!

Haben die Talkmaster und speziell Anne Will denn eigentlich gar nichts gelernt aus all den gezielten Provokationen in ihren Gesprächsrunden vor der Wahl, als die AfD gar nicht mit am Tisch sitzen musste und trotzdem die Agenda bestimmte?

Anne Will provoziert das geradezu. Etwa mit ihrer ungeheuer kreativ um die Ecke gebogenen Frage, ob in der Flüchtlings- und Integrationspolitik jetzt bayerische Verhältnisse nach ganz Deutschland kommen? Schließlich habe der designierte neue Heimatminister und Noch-Ministerpräsident von Bayern in der Bild am Sonntag einen "Masterplan für schnellere Asylverfahren und konsequentere Abschiebungen" angekündigt. Er werde einen starken Staat garantieren, der auch gerade in diesen Fragen hart durchgreifen werde, sagte er dem Springer-Blatt. Und natürlich noch vieles mehr, um sich einen Ruf als harter Hund zu machen und seiner CSU von Berlin aus die Alleinregierungschancen in Bayern zu erhalten.

"Lasst die doch erst mal anfangen!"

Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, sagt nach mehr als der Hälfte der Sendezeit, die Flüchtlingspolitik sei "nur ein Punkt, aber doch nicht der einzige!" Die SPD-Frau verweist auf Wohnungsnot und Mietwahnsinn, Pflegenotstand und Bildung - um nur mal ein paar Stichwörter zu nennen -, für die die neue Regierung Antworten gefunden habe, die sie nun umsetzen will. Bislang sei das doch eine rein "akademische Diskussion" gewesen, völlig an den Interessen und Stimmungen in der Bevölkerung vorbei, kritisiert Schwesig den Verlauf der Talkshow.

Man ist geneigt, zu sagen: Es ist eine akademische Diskussion, die vorwiegend von alten Herren aus rechten Burschenschaften getragen wird. Auch wenn die weiteren Teilnehmer der Runde mit Christian Lindner, Sahra Wagenknecht und Welt-Redakteur Robin Alexander weder alt noch unbedingt alte Herren sind, sind ihre Positionen doch alles alte Zöpfe.

Die beiden aus der Opposition sind so etwas von verbohrt in ihre Positionen ("Regierung schlecht, wir gut"), dass keine ihrer Angriffe beim Zuschauer verfangen. Wagenknecht, Fraktionschefin der Linken im Bundestag, versucht es dann mit einem Wechsel zunächst zur Sozial- und dann zur Wirtschaftspolitik und liefert sich einen amüsanten Schlagabtausch mit FDP-Chef Lindner, der natürlich konträre Positionen vertritt.

Lindner hingegen motzt, dass die neue Groko nur Geld verteilt und niemand die wirklichen Herausforderungen wie Digitalisierung angeht und sogar ein eigenes Ministerium dafür fehle. Das sei eine "klassische Querschnittsaufgabe", widerspricht die neue CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. Das werde der kommende Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) mit der designierten Staatsministerin Dorothea Bär von der CSU koordinieren. "Aber Heimat ist doch auch eine Querschnittsaufgabe!", lamentiert der Partei- und Fraktionsvorsitzende der FDP.

Irgendwann kurz vor Schluss platzt Schwesig der Kragen: "Lasst die doch erst mal anfangen!", fordert sie. Und damit hat die Frau aus dem hohen Norden so was von recht.

Gemeinsam wirken Kramp-Karrenbauer und Schwesig wie die Stimmen der Vernunft unter lauter Pöblern, die immer wieder Scheinangriffe auf eine Regierung starten, die noch nicht einmal existiert. Es ist kaum auszuhalten. Alle reden in einem undurchschaubaren Wirrwarr durcheinander. Kaum einer lässt den anderen ausreden. Alles bleibt ungeordnet. Die Moderatorin versagt völlig.

Jetzt mal ganz ehrlich, Frau Will: Warum nicht einfach nur drei Gäste? Warum müssen da fünf sitzen? Warum nicht stringente Fragen und Zeit für substanzielle Antworten statt Krawall? Warum nicht weniger Hektik und Aggressivität?

Kopfschmerzen. Einfach nur Kopfschmerzen - und jetzt ist schon wieder Montag.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: