"Anne Will" zum G-20-Gipfel:Erst Melania Trumps Nachmittagsprogramm, dann brennende Autos

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Nimmt die Polizei vor Kritik in Schutz: Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz bei Anne Will.

(Foto: dpa)

Bei "Anne Will" versuchen die Gäste, den G-20-Gipfel aufzuarbeiten - inklusive der Gewaltexzesse. Hamburgs Erster Bürgermeister Scholz gerät in Bedrängnis.

TV-Kritik von Maximilian Heim

Die Sendung beginnt kurios. Als Kanzleramtsminister Peter Altmaier am Sonntagabend beim G-20-Fazit von Anne Will seine erste Antwort gibt, fällt die Übertragung aus. Gut zehn Minuten dudelt Kaufhaus-Musik. Bei Twitter wittern Rundfunk-Hasser sofort Zensur. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass CDU-Minister Altmaier die Bundeskanzlerin angesichts der verwüsteten Straßen im Hamburger Schanzenviertel zum Rücktritt aufgefordert hat. Und ohnehin hat die Redaktion für die Hauptrolle nicht Altmaier verpflichtet. Sondern Hamburgs Ersten Bürgermeister Olaf Scholz, der sich mit ernstem Blick den Fragen über die Gewaltexzesse stellt.

Dramaturgisch geht das gleich mal hervorragend los. Denn im Publikum wartet Jan Reinecke, Hamburger Landeschef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Reinecke sagt wuchtige Sätze. Die Aufgaben seien nicht machbar gewesen. Mehr Polizei, als in Hamburg aufgeboten, habe Deutschland nicht zu bieten. Und dann: Die erste Priorität des Einsatzes sei die Sicherung des Gipfels und seiner Teilnehmer gewesen. Erst die zweite Priorität habe der Stadt und ihren Bürgern gegolten.

Glaubt man den Berichten vieler Anwohner, deckt sich das mit dem Eindruck, den viele Menschen in Hamburg von diesem G-20-Treffen haben: erst Melania Trumps Nachmittagsprogramm, dann unsere brennenden Autos. Nur kann das natürlich kein Politiker, der halbwegs bei Sinnen ist, so stehenlassen. Scholz widerspricht dem Polizeigewerkschafter also umgehend. Es seien genügend Einsatzkräfte vor Ort gewesen, auch im Schanzenviertel. 20 000 Polizisten insgesamt, alles hocherfahrene Leute, die "Heldenhaftes" geleistet hätten.

Rücktritt? Nein, nein, verfehlte Frage

Die Moderatorin unterbricht und verweist auf Hamburgs Polizeipräsidenten: Der habe vor den Hässlichkeiten jener Nacht doch gesagt, man müsse Sachbeschädigungen teilweise hinnehmen, um den Gipfel zu schützen. Was denn nun?

Nein, entgegnet Scholz wacker, es seien sehr, sehr, sehr viele Polizisten gewesen. Und auch die Frage nach persönlichen Konsequenzen bügelt der SPD-Politiker später ab. Rücktritt? Nein, nein, verfehlte Frage.

Nun ist kaum damit zu rechnen, dass sich die Hansestadt mit dem Befund "Vorbereitung sorgfältig, Kapazitäten ausreichend" beruhigen lässt. Aber eine Talkshow ist auch kein Untersuchungsausschuss. Und neben der Gewalt durch Autonome, Hooligans, Linksextreme war ja auch noch die Weltpolitik zu Gast in Hamburg.

Die Ergebnisse des Treffens passen allerdings auf einen Bierdeckel. Alle finden freien Handel irgendwie gut, Strafzölle scheinen vom Tisch. Aber weil an diesem Tisch weiterhin Donald Trump sitzt, kann das morgen schon anders sein. Beim Thema Klimaschutz sind dagegen wenigstens die Fronten klar: Alle gegen die USA, okay, fast alle, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan will das Pariser Abkommen wie sein Kumpel in Washington vielleicht auch ignorieren.

Braucht es angesichts derart dünner Ergebnisse diese irre aufwändigen Treffen überhaupt? "Es ist bislang kein besseres Format gefunden worden", findet Peter Altmaier. Das sehen nicht alle so. "Weite Teile der Welt sitzen nicht mit am Tisch", sagt ARD-Journalist Georg Restle. Und ausgerechnet mit Saudi-Arabien über die Bekämpfung von Terror und seiner Finanzierung zu sprechen, sei einigermaßen absurd. "Niemand versteht, was da besprochen wird", assistiert John Kornblum, einst US-Botschafter in Deutschland.

Ein G-20-Treffen ist keine harmonische Fraktionssitzung mit Toni Hofreiter

Der Rest ist Studiosessel-Pingpong. Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kritisiert, dass Ivanka Trump ihren Vater am Verhandlungstisch teilweise vertreten hat. Das wiederum findet US-Diplomat Kornblum kleinlich, schließlich sei es die Entscheidung der Delegation, wer wann das Wort führe. Und Altmaier informiert Göring-Eckardt, dass ein G-20-Treffen nun mal nicht ablaufe wie eine harmonische Fraktionssitzung mit Toni Hofreiter.

Weit nach Mitternacht findet sich dann doch noch die gesamte Sendung in der Mediathek. Wie erwartet wagt Peter Altmaier, der treue Kanzleramtsminister, keine Kritik an Angela Merkels (Mit-) Entscheidung, den Gipfel in Hamburg steigen zu lassen. ARD-Journalist Restle thematisiert derweil einen anderen Aspekt - die Kritik an der "harten Hamburger Linie" der Polizei, die auch viele nicht militante G-20-Gegner getroffen habe.

Die Aufarbeitung der Hamburger G-20-Tage dürfte mit dieser Sendung bestenfalls begonnen haben.

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