"Anne Will" zu Ausschreitungen in Sachsen:Das Bild von Bautzen ist wichtiger als die Realität

Anne Will

Anne Will mit Alexander Ahrens (Mitte), dem mit riesigem Abstand stärksten Gast in ihrer Sendung.

(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)

Die Randale in der sächsischen Stadt beschäftigen die Gäste bei Anne Will. Der Generalsekretär der CDU macht sich unglaubwürdig, Verleger Augstein pöbelt unpräzise. Erfrischend wirkt nur einer: Bautzens Oberbürgermeister Ahrens.

TV-Kritik von Cornelius Pollmer

Das Überraschendste am amtlichen Ergebnis der Wahl in Berlin sind nicht die krachenden Verluste einiger Parteien, sondern die Tatsache, dass die Wahl selbst eine Wahl verloren hat - nämlich die Themenwahl für den Sonntagabend-Talk von "Anne Will". Berlin war als Thema der Sendung gegen Bautzen ins Rennen gegangen; dass Bautzen dieses Rennen gewonnen hat, ist für beide Städte keine gute Nachricht.

Anfang der Woche hatte es noch gut ausgesehen für Berlin, aber während die Stadt und ihre Wahl dann in einem sagenhaft unspektakulären Finish zurückgefallen sind, randalierte sich Bautzen überzeugend nach vorne: 20 gewaltbereite junge Geflüchtete gegen 80 gewaltbereite überwiegend junge Sachsen, damit hatte der parteilose Oberbürgermeister Alexander Ahrens bald seinen Platz in der Galerie gesichert.

Die Galerie, das ist ein fiktiver Ort, in dem Bilder all jener sächsischen Bürgermeister hängen, die seit dem Anstieg der Zuwanderung 2015 im Fernsehen aufgetreten sind und ihre verhaltensauffälligen Orte erklärt haben. In Erinnerung geblieben sind der für Clausnitz zuständige Bürgermeister Michael Funke und, mehr noch, Jürgen Opitz aus Heidenau, der es mit Schonungslosigkeit, Präzision und Besonnenheit schaffte, seine Stadt zu verteidigen, ohne Fehlstellungen in der Gesellschaft dieser schönzureden. Selbiges trifft zu auf Ahrens, dem mit riesigem Abstand stärksten Gast der Sendung von Anne Will, von dem gleich die Rede sein soll.

Extremismusforscher Jaschke fällt mit Unkenntnis auf

Zuvor ein pflichtschuldiger Blick in den cremefarbenen Rest der Runde, als da waren von der Blickrichtung links nach rechts: Hans-Gerd Jaschke, Extremismusforscher und Politikwissenschaftler, der mit ein paar richtigen Allgemeinsätzen genauso auffiel wie mit seiner eindeutigen Unkenntnis der konkreten Verhältnisse vor Ort in Bautzen. Jaschke betonte, wie wichtig Integration durch Arbeit sei, mithin durch Begegnungen im Alltag und wie sehr diese im Osten fehlten. Jaschke beschrieb zudem zutreffend ein in Sachsen besonders schwieriges "politisch kulturelles Klein-Klima", das rechtsnationale Tendenzen teilweise produziert und toleriert. Aber er verrührte Bautzen auch mit Pegida und er forderte von der Stadt Demonstrationen und Lichterketten in einer Einfältigkeit, mit der man vielleicht Büromöbel aussucht, gewiss aber nicht die Demokratie verteidigt.

Michael Kretschmer, Generalsekretär der sächsischen CDU, versuchte immer wieder, die Diskussion umzuleiten, von "Sachsen ist böse!!!" auf die Schwierigkeiten der Integration junger Geflüchteter und deren Schuld daran. Kretschmer aber wurde bei diesem strategischem Versuch erwischt, nicht nur von der Moderatorin, und das war zu seinem doppelten Schaden. Erstens erodierte er aktiv seine eigene Glaubwürdigkeit mit ein paar zusätzlichen Quatsch-Behauptungen wie jener, dass Sachsen "unheimlich stark" darin sei, rechte Gewalt zurückzudrängen. Oder jener, dass dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Martin Dulig (SPD) die deutliche Kritik an Einstellung und Führungskultur der sächsischen Polizei inzwischen leidtun dürfte. Dulig twitterte umgehend: Nö, tut ihm nicht leid. Zweitens nahm Kretschmer Schaden, weil er mit seiner wesentlichen und eigentlich wertvollen Formel schließlich nicht durchkam: Alle strengen sich an + klare Regeln = Integration wird klappen.

Jakob Augstein, Verleger des "Freitags", wirkt wie ein DJ

Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig hätte gerne mehr über Prävention (wichtig und bald weniger unterfinanziert) gesprochen und über minderjährige Geflüchtete (besondere Herausforderung), kam damit aber eher selten durch. Und Jakob Augstein, Verleger des Freitags, wirkte wie ein DJ, der in seinen alten Platten kramt, aber mit keiner Scheibe Schellack den Beat der Sendung trifft. Er pöbelte unpräzise, seine eilig angelesenen Schlaumeiereien waren nicht so gut getarnt wie sonst, im Fußball-Magazin Kicker müsste man jetzt schreiben: Augstein fand nicht ins Spiel.

Der Sonntagabend ist auch im Fernsehen eine Transitzone, zwischen der alten Woche und der neuen, und wie ermüdend das Personal in dieser manchmal ist, das merkt man immer dann, wenn eine oder einer von anderem Schlag hinzukommt, ein mindestens AA-Gast wie Alexander Ahrens.

Auf die Schuld-Frage von Bautzen sagte Ahrens, wer angefangen habe, interessiere ihn "eigentlich gar nicht so brennend". Auf den impliziten Vorwurf, er würde einem braunen Ort vorstehen, merkte Ahrens gelassen an, dass das schon deswegen nicht stimmen könne, weil er als "linker Vogel" mit exakt der Ansage gewählt worden sei, dass es mit ihm keine Politik gegen Flüchtlinge geben werde. Und auf den viertelinformierten Hinweis von Will, Bundespräsident Gauck sei bei seinem Besuch in Bautzen ja auch beschimpft worden, ordnete Ahrens: Gauck sei sechs Stunden in der Stadt gewesen, von vielen Tausenden freundlich begleitet - angeschrien von sechs Menschen für 30 Sekunden.

Darauf wiederum sagte Jaschke: "Das Problem, Herr Ahrens, ist: Es passt ins Bild." Und spätestens da hätte man, einmal wieder, mit der Sonntags-Talkshow an sich brechen wollen, können, dürfen. Jaschke stellte sein medial vermitteltes Erwartungsbild über die Realbeobachtung eines Oberbürgermeisters, er gab im Grunde und unbewusst zu, dass für ihn das mediale Bild von höherem Rang ist als das tatsächliche Erleben eines Verantwortungsträgers vor Ort.

Als Zuschauer konnte man an dieser Stelle trotzdem mit einem guten Gefühl zum Ende der Transitzone weiterziehen. Weil man Alexander Ahrens, in aller Kürze, kennengelernt hatte, und damit einen Kommunalpolitiker, der zum unabdinglichen Rückgrat der Demokratie in diesem von der Talkshow-Öffentlichkeit zu viel beschriebenen Land gehört.

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