Angriff auf ARD-Team im Norden Chinas:Fäuste gegen Fragen

ARD-Fernsehteam in China angegriffen

Der Minibus des Fernsehteams nach der Attacke

(Foto: dpa)

China war nie ein einfaches Land für ausländische Journalisten, aber bislang musste man als Reporter nicht um sein Leben fürchten. Das ändert sich gerade. Ein ARD-Team ist brutal attackiert worden.

Von Kai Strittmatter, Peking

Eine Jagd über die Schnellstraße, sechsspurig. Im Minibus ein Kamerateam der ARD, dahinter, daneben und zeitweise davor in bis zu vier Limousinen die Verfolger. Sie versuchen, den ARD-Wagen von der Straße zu drängen, dann, eine Karambolage zu provozieren, sie rammen ihn. Als es ihnen zum ersten Mal gelingt, den Wagen der Journalisten zu stoppen, stürmen fünf bis sechs Männer darauf zu, schlagen mit Fäusten darauf ein, versuchen, die Türen zu öffnen. Dann geht die Jagd weiter. Gegen die Fahrtrichtung, über den Gehsteig. Wieder schneiden die Verfolger den Weg ab. Diesmal greifen sie mit Baseballschlägern an, zertrümmern die Frontscheibe. "Wir hatten richtig Angst", sagt ARD-Korrespondentin Christine Adelhardt. "Ich dachte, der nächste Schlag trifft den Fahrer."

China war nie ein einfaches Land für ausländische Journalisten, aber bislang zählte es nicht zu den Ländern, in denen man um Leib und Leben fürchten müsste. Das scheint sich gerade zu ändern. Bespitzelt, bedroht und bedrängt wurden Auslandskorrespondenten und ihre chinesischen Mitarbeiter schon immer. Im vergangenen Jahr aber klagten die deutschen Korrespondenten in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass "Einschüchterung und Restriktionen einen neuen Höhepunkt" erreicht hätten. Und immer häufiger kommt es auch zur Ausübung oder Androhung körperlicher Gewalt.

ARD-Frau Adelhardt musste das im vergangenen Jahr schon einmal erleben, als sie mit ihrem Team bei einer Chemiefabrik in Henan filmte, und daraufhin von den Wachkräften und Arbeitern der Fabrik neun Stunden in der Kantine der Fabrik festgehalten wurde, während draußen ein Mob von Arbeitern "Tod den Spionen" skandierte. Die Verfolgungsjagd am Mittwoch dieser Woche empfand Adelhardt jedoch als "weitaus dramatischer": "Diese Leute haben Dutzende von unbeteiligten Menschen wissentlich in Gefahr gebracht, während sie uns nach dem Leben trachteten." Per Handy rief das Team aus dem Wagen die deutsche Botschaft und das chinesische Außenministerium um Hilfe, rettete sich schließlich in die Arme von Polizisten. Gerade mal 50 Kilometer von der Hauptstadt Peking entfernt.

Das Team war zu fünft: auch Kameramann und Tonmann waren Deutsche, Fahrer und Übersetzer Chinesen. Sie hatten gedreht im Dorf Yangezhuang. Zum Thema Urbanisierung und Landnahme, ein Thema, das alle Provinzen Chinas in Atem hält, weil es seit Jahren überall zu Konflikten kommt zwischen lokalen Regierungen und Bauern, die sich von korrupten Kadern um ihr Land gebracht und betrogen fühlen. Von den Bauern von Yangezhuang gibt es einen Brief im Internet, in dem sie Vorwürfe gegen ihren Bürgermeister Fan Shiguo erheben: 3000 Mu Land, umgerechnet 200 Hektar, heißt es darin, habe Fan verkauft, das Geld in die eigene Tasche gesteckt. Drei Villen habe er für sich auf dem beschlagnahmten Land gebaut. Die Bauern nennen ihn den "örtlichen Kaiser".

"Nachdem ihn einige anzeigten", heißt es in dem Brief, "wurden sie zuhause nachts von Unbekannten verprügelt". Andere wurden gewarnt, man werde ihnen die Beine brechen, wenn sie weiter protestierten. "In aller Öffentlichkeit zeigt er sich mit einer Gruppe von etwa 20 Herumtreibern, die schwarze Anzüge und Brillen tragen und tätowiert sind. So schüchtert er die Bevölkerung ein." Und nun auch das ARD-Team.

China wird zum "Mafiastaat"

Es ist eine Geschichte, wie sie sich überall im Land wiederholt. Chinas Lokalfürsten sind kleine Kaiser in ihrem Beritt, die Zentralregierung lässt sie gewähren, solange sie Wachstum liefern und die "soziale Stabilität" garantieren, was in erster Linie Ruhe und Ordnung bedeutet. Dass die ungebremste Macht und die Korruption der Lokalregierungen dabei sei, China "in einen Mafiastaat" zu verwandeln, beklagte vor zwei Jahren schon der Pekinger Soziologe Sun Liping - er war einst Doktorvater des neuen KP-Generalsekretärs Xi Jinping, der in diesem Monat zum Staatspräsidenten gewählt wird.

Wovor die lokalen Paten aber tatsächlich Angst haben, ist, wenn ihre allzu krassen Missetaten durch die Medien der Zentrale in Peking zu Ohren kommen und dort für Unmut sorgen: Bloßgestellt werden möchte die Partei nämlich nicht. Und deshalb gehört die Einschüchterung von Journalisten zum Alltag in Chinas Provinz, mutige chinesische Reporter leiden darunter weit mehr als die ausländischen, Kamerateams sind mehr gefährdet als die vergleichsweise unauffällig auftretenden schreibenden Journalisten.

Bei einem Mittagessen mit deutschen Korrespondenten berichteten Beamte des Presseministeriums in Peking unlängst von Kursen, in denen sie die lokalen Funktionäre landesweit für einen professionelleren Umgang mit Journalisten schulten: "Diese Kader haben Angst", berichtete die zuständige Beamtin. "Wir sagen ihnen: Wenn Ihr einen Fehler gemacht habt, dann versteckt ihn nicht, wie früher, sondern empfangt die Journalisten und sagt ihnen, dass ihr an der Lösung des Problems arbeitet." Viele arbeiten aber keineswegs an der Lösung und bevorzugen weiter die Einschüchterung. Immer mehr bedienen sich die lokalen Behörden dabei nicht uniformierter Sicherheitsbeamter, sondern Schlägertrupps in Zivil.

FCCC äußert sich "entsetzt"

Ein Zeuge der Eskalation im Dorf Yangezhuang war der Bauer Hao Dehong, einer der Unterzeichner des Protestbriefs gegen die korrupte Dorfverwaltung. Hao sagte der SZ am Freitag, der Bürgermeister selbst habe die Verfolgung des ARD-Teams befohlen: "Er ist der Kopf der Mafia hier. Der eine Wagen, der die deutschen Journalisten verfolgte, gehörte Parteisekretär Li Guishan, der andere dem stellvertretenden Parteisekretär." Vier der Leute des Bürgermeisters seien nun festgenommen worden, sagte Bauer Hao. Der Bürgermeister selbst sei abgetaucht, jetzt da der Fall Wellen schlage. "Wahrscheinlich sucht er politische Unterstützung, Geld genug hat er." Im Büro des Bürgermeisters ging am Freitag niemand ans Telefon.

Der Club der Auslandskorrespondenten FCCC in Peking äußerte sich in einer Stellungnahme "entsetzt" und forderte die Behörden zu einer Untersuchung auf. Korrespondentin Christine Adelhardt hat ihre chinesischen Mitarbeiter vorsichtshalber vorerst in Hotels untergebracht. "Wer weiß, wie weit die Arme dieser Parteifunktionäre reichen?", sagt sie. "Wenn die ihre Schläger losschicken, sind sie in einer Stunde hier."

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