Amerikanische Fernsehserien:Abends läuft die Revolution

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Fans der Serie "Mad Men" wissen, dass Megan (Jessica Paré) hier gerade ihrem Mann Don Draper (Jon Hamm) ein Geburtstagsständchen gebracht hat. (Foto: dapd)

Fernsehserien galten als schlichter Zeitvertreib für Nerds ohne Freunde im realen Leben, heute werden sie in Harvard-Seminaren analysiert. Ein Buch erklärt die Revolution des Genres - und warum das Fansein salonfähig ist.

Von Nadja Schlüter

Die Idee für eine der erfolgreichsten Fernsehserien aller Zeiten entstand aus einem Witz. Die Autoren Vince Gilligan und Thomas Schnauz waren gerade arbeitslos, und Schnauz erzählte, er habe von einem Mann gelesen, der in seinem Wohnmobil Crystal Meth kochte - das könnten sie doch einfach auch versuchen, wenn ihre Karrieren weiter den Bach runtergingen. Der Rest ist Fernsehgeschichte. Millionen Menschen warten auf das Finale von Breaking Bad, der Serie, die von einem Chemielehrer erzählt, der zum Crystal-Meth-Produzenten im Wohnmobil und schließlich zum Drogenkönig wird.

Der Essayband "The Revolution Was Televised" des amerikanischen TV-Kritikers Alan Sepinwall, der im Oktober unter dem Titel "Die Revolution war im Fernsehen" in deutscher Übersetzung bei Luxbooks erscheint, ist voll von solchen Anekdoten. Zu jeder der besprochenen Serien, ob Oz, The Sopranos, The Wire oder Lost, erzählt Sepinwall Geschichten aus dem "Writers' Room", in dem die Plots erdacht wurden, von Irrungen und Wirrungen rund um Schauspieler und Produzenten, von kleinen und großen Pannen und Erfolgen. Der rote Faden ist dabei der Weg der US-Fernsehserie vom Nischenformat hin zum Erfolgsmodell. Unter der "Revolution" macht es Sepinwall dabei nicht: Jede Serie, jede Idee und Umsetzung ist bei ihm stets "the greatest", "the best", "the newest".

Man darf wieder Fan sein

"The Revolution Was Televised", von Sepinwall im Eigenverlag herausgebracht und dann von den US-Kritikern gefeiert, ist keine sachliche Analyse. Es ist das leidenschaftliche, begeisterte, enthusiastische Buch eines Fans. Und es beweist, dass mit der Serie ein Gegenstand Einzug in die Popkultur gehalten hat, der es wieder erlaubt, Fan zu sein.

Das Fantum hat traditionell einen schlechten Ruf. Ein Fan ist ein Teenager, der für Bands oder Schauspieler schwärmt, sich das Zimmer mit Postern tapeziert und alles sammelt, was mit seinen Stars zu tun hat. Oder er ist längst aus dem Alter herausgewachsen, in dem übermäßige Begeisterung für etwas als pubertärer Selbstfindungsprozess entschuldigt wird. Das ist dann ein Nerd, der alle Teile Star Wars mitsprechen kann oder sich im Herr der Ringe-Universum ausgesprochen gut auskennt, der Rollenspiele spielt oder auf der Buchmesse im Manga-Kostüm herumläuft. Diese beiden Fantypen haben zwei Dinge gemeinsam: Sie werden belächelt. Und sie halten sich mit Vorliebe in fiktiven Welten auf, vertiefen sich darin, umgeben sich damit.

Im Schlafanzug vor dem Bildschirm

Die Serien, die Sepinwall in seinem Buch bespricht, erfüllen dieses Bedürfnis des Fans nach der fiktiven Welt. Sie sind in der Lage, sehr lange Geschichten zu erzählen und Charaktere langsam zu entwickeln. Die Welt, die dabei erschaffen wird, ist wesentlich komplexer als jene, die etwa in einem 90-minütigen Film entstehen kann. Jeder, der schon einmal eine ganze Nacht im Schlafanzug damit verbracht hat, Folge um Folge anzuschauen, weiß, wie sehr einen eine derart ausgearbeitete Fiktion einnehmen kann. Man kann sich plötzlich in einem Zustand wiederfinden, in dem man alles rund um die Serie und den Cast googelt, Hintergrundinformationen sammelt und Essaybände liest, die einen mit Anekdoten füttern.

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Der beste Beweis für die Existenz des Serien-Fantums ist, neben den vielen Facebook-Seiten, Besprechungen in Blogs, zusammengeschnittenen Youtube-Videos und eigens angelegten Wiki-Lexika, seine Kommerzialisierung: Für Breaking Bad-Begeisterte beispielsweise gibt es alles Mögliche an Devotionalien zu kaufen - von einer Süßigkeit in Form des berühmten blauen Crystal Meth über Jutebeutel und Shirts mit Motiven aus der Serie bis hin zur Lego-Version des zum Drogenlabor umfunktionierten Wohnmobils.

Das Serien-Fantum ist also auf den ersten Blick nichts anderes als das Nerdtum rund um Science-Fiction- oder Fantasy-Welten. Dass die Fans es ausleben können, ohne belächelt und als Nerds abgestempelt zu werden, liegt an der Anerkennung, die das Intellektuellenmilieu den Serien geschenkt hat.

Eine neue Kunstform

Nachdem der TV- und Filmkritiker Charlie McCollum die zwischen 2002 und 2008 produzierte HBO-Serie The Wire, die den Niedergang der amerikanischen Industriestadt am Beispiel Baltimore nachzeichnet, als neue "Great American Novel" bezeichnet hatte, wurde Serienschauen auf einmal beinahe so angesehen wie Fitzgerald oder Faulkner zu lesen. Plötzlich interessierten sich die Meinungsmacher in den Kulturressorts und die Wissenschaft für das serielle Erzählen. Sie begriffen, dass es hier eine neue Kunstform zu entdecken gab, die Raum für das Verarbeiten komplexer Themen bietet.

Die großen US-Tageszeitungen widmen den Serien längst eine Menge Platz, und auch in die deutsche Kulturberichterstattung haben sie Einzug gehalten. Zu The Wire gab es bereits eigene Uni-Seminare in Harvard. In letzter Konsequenz führt eine gute Serie damit Fans, Kritiker und Wissenschaftler zusammen, weil sie vereint, was alle Seiten wollen: eine komplexe fiktive Welt, in die man sich flüchten kann, und eine Erzählung, die uns etwas über uns und unsere Welt verrät.

Herumgereichte DVD-Boxen

Mit der wachsenden Bedeutung der Serien im kulturellen Diskurs fühlen sich die Fans bestätigt, die deren Potenzial früh erkannt haben. Fans wie Alan Sepinwall, der 14 Jahre lang als TV-Kolumnist für eine Zeitung in Newark arbeitete und nun seit 2010 ein Serienblog für die Entertainment-Plattform Hitfix schreibt, die im selben Jahr erstmals mehr als eine Million Leser erreichte.

In der Einleitung zu seinem Buch schreibt er, dass Menschen auf seine Berufsbezeichnung ("TV-Kritiker") stets mit der Frage "Und dafür bezahlen die dich?" reagierten. Und dass er einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen sei, als die Serie zum neuen, großen Format des Geschichtenerzählens heranwuchs und DVD-Boxen herumgereicht wurden wie früher die Alben der Lieblingsband. Als das Fansein also auch für Menschen, die längst aus der Pubertät herausgewachsen waren, wieder salonfähig wurde.

Feiern ist erlaubt

Passagenweise schlagen Sepinwalls Essays über die Stränge. Es steckt etwas zu viel Pathos darin, zu viel Superlativ, zu viel Revolutionsvokabular. Aber trotzdem ist diese Begeisterung auch das Besondere an diesem Buch. Sie beweist, dass es nicht falsch sein muss, etwas zu feiern, dank des momentanen Hypes um einzelne Fernsehserien, egal wie gut oder schlecht sie im Einzelfall sein mögen und wie viel Übertreibung darin stecken mag. Denn ziemlich sicher braucht es Enthusiasmus, damit aus Kleinigkeiten große Geschichten entstehen können. Aus einem Witz zum Beispiel.

© SZ vom 28.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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