Amanda Knox bei "Markus Lanz":Wissen, was gespielt wird

Amanda Knox, Markus Lanz, ZDF

Amanda Knox promotet bei Markus Lanz ihr Buch - und ihre Unschuld

Erst wurde sie in einem Mordfall verurteilt, dann freigesprochen, nun wird das Verfahren erneut aufgerollt. Im Interview mit Markus Lanz beteuert Amanda Knox ihre Unschuld. Betroffen zwar, aber auffallend beherrscht. Warum der TV-Auftritt des "Engels mit den Eisaugen" befremdlich war.

Eine TV-Kritik von Carolin Gasteiger

Ihr Blick ist ernst, ihre Stimme zittert, aber sie scheint zu versuchen, sich zu beherrschen. Die junge Frau schaut Markus Lanz an und sagt dann entschlossen: "Ich bin, wer ich bin und ich weiß, was ich getan habe und zu was ich fähig bin. Ich habe Meredith nicht umgebracht."

Amanda Knox sagt diesen Satz nicht zum ersten Mal. Aber sie sagt ihn zum ersten Mal im deutschen Fernsehen. Vor wenigen Tagen kam ihr Buch "Zeit, gehört zu werden" auf den Markt, am Mittwoch gab die 25-Jährige dem US-Sender ABC ein Interview. Nun sitzt sie bei Markus Lanz, beziehungsweise er bei ihr: Das Interview fand in New York statt.

Und es passt in die ausgetüftelte PR-Strategie von Knox' Beratern, dass sie hier nicht nur ihr Buch promotet (das Lanz übrigens als gutes Buch lobt), sondern gleichzeitig - und erneut - ihre Unschuld. Eine Unschuld, die seit Kurzem wieder in Frage steht. Im Dezember 2009 war Knox in Italien zu 26 Jahren Haft wegen Mordes an Meredith Kercher, ihrer britischen Mitbewohnerin in Perugia, verurteilt, im Oktober 2011 aber freigesprochen worden. Ende März hat das Kassationsgericht in Italien den Freispruch aufgehoben und rollt damit einen der spektakulärsten Mordprozesse des Landes wieder auf. "Das war ein Schock. Das habe ich nicht erwartet", sagt Knox über die Revision des Urteils.

"Ich bin erwachsen geworden und trauriger"

Als ihr Markus Lanz' Fragen im Ohr übersetzt werden, hört sie konzentriert zu, blickt immer wieder lange zu Boden, ihre Gestik ist minimal. Lanz will wissen, was genau passiert ist am Abend des 1. November 2007, damals in Perugia, als Meredith Kercher einem Sexual-Mord zum Opfer fiel. Und Knox erzählt, was sie schon unzählige Male erzählt und innerlich rekonstruiert haben muss. Mit Bedacht, aber doch wortgewandt. Aus der pausbackigen Austauschstudentin ist eine junge Frau geworden, die bei all den dramatischen Geschehnissen erstaunlich beherrscht bleibt. Sie sieht alt aus für ihr Alter, die Wangen leicht eingefallen, die Naivität ist aus ihrem Gesicht gewichen. Was weiß diese Frau über den Mord an ihrer Freundin? In den wenigen Momenten, in denen ihr ein Lächeln über die Lippen kommt, wirkt es fast bedrohlich. "Ich bin erwachsen geworden und trauriger. Das ist das Einzige, was sich an mir geändert hat", sagt sie, und auf ihrer Stirn zeichnen sich Falten ab. Tiefe Falten.

Lanz hakt weiter nach. Warum hat Knox am Morgen nach dem Mord, als sie von ihrem damaligen Freund und Mitverdächtigen Raffaele Sollecito in ihre Wohnung zurückkehrte und sich wunderte, dass niemand da war, nicht an den Zimmertüren gerüttelt? Warum, will Lanz wissen, kamen zufällig zwei Polizisten vorbei, die Meredith Kerchers klingelndes Handytelefon im Gebüsch gefunden hatten? Knox weiß es nicht, kann es vielleicht auch gar nicht wissen. Lanz macht weiter: Wie konnte es dazu kommen, dass Knox auf einmal zur Verdächtigen wurde?

Lanz ist zu unkritisch

Oft zögert sie mit ihrer Antwort, lässt sich die Fragen nochmals erklären, wirkt bei manchen überrascht. Wie sie das Leben im Gefängnis überstanden habe: "Good question." Aber doch naheliegend. Als Lanz die bekannten Mutmaßungen des Staatsanwalts über eine Sex-Orgie anspricht, blickt Knox lang zu Boden und beißt die Lippen aufeinander. "Das große Problem bei diesem Fall ist, dass sie (die Staatsanwaltschaft und italienische Polizei; Anm. d. Red.) der ganzen Welt schon erzählt hatten, dass der Fall abgeschlossen war, indem sie mich verhaftet hatten."

Überhaupt macht Knox dem italienischen Justizsystem schwere Vorwürfe. "Ich wurde immer wieder vernommen, viele Stunden lang, nachts. Die Polizisten haben mich angeschrien, haben mir gesagt, dass ich eine Amnesie hätte, dass ich wüsste, wer der Mörder ist. Ich sollte es ihnen sagen, sonst würden sie mich für den Rest meines Lebens wegschließen." Sie spricht von großer Verwirrung, "ich habe es nicht verstanden", sagt sie immer wieder. Auf dem Druck, den die Beamten auf sie tagelang ausgeübt hätten, und dem sie sich irgendwann gebeugt habe, sollen auch ihre widersprüchlichen Aussagen beruhen und das Protokoll, in dem von ihr unterschriebene Falschaussagen stehen, wie sie später zugab. "Ich wollte einfach, dass es vorbei ist", sagt Knox und schluckt auffällig.

"Offensichtlich, dass er dieses Verbrechen begangen hat"

Auffallend klar redet sie hingegen über Rudy Guede, der mit ihr und Raffaele Sollecito verurteilt (erst zu 30, dann zu 16 Jahren), aber später nicht freigesprochen wurde: "Er ist jemand, der sehr wütend und frustriert ist." Sie habe immer gehofft, dass er ins Gericht kommen und erläutern werde, was passiert ist. Guede aber sagte immer nur, Raffaele und Amanda wüssten, was wahr sei. "Es ist ja offensichtlich, dass er dieses Verbrechen begangen hat", sagt Knox unverhohlen. In diesem Moment ist ihr kaum eine Gefühlsregung anzusehen.

Schwer mitgenommen hätten sie außerdem die Vorverurteilungen ihr gegenüber in der Öffentlichkeit, durch ihre Mitinsassen (sie saß bis zum Freispruch im Oktober 2011 vier Jahre im Gefängnis) und während des Prozesses. Als Teufel, diabolische Hure und Lügnerin wurde sie tituliert, dagegen wirkt der viel zitierte "Engel mit den Eisaugen" schon fast romantisch verharmlosend.

Aber genau das ist die Krux: Hier sitzt eine junge Frau in beiger Bluse und dezentem Make-up und erzählt von einer Nacht in Perugia, die ihr Leben vor sechs Jahren dramatisch verändert hat. Italienisch wollte sie lernen und Erfahrungen sammeln, wie es 20-jährige Studenten weltweit tun. "Es machte Angst, zu sehen, wie jemand anderes seine Phantasien auf einen projiziert, ohne dass man mich als Person genau betrachtet hätte. Ich hatte überhaupt keine Chance, mich zu verteidigen", sagt sie zu Lanz über die Anfeindungen, die ihr entgegengebracht wurden. Natürlich ist das viel für eine Studentin, vielleicht zu viel. Aber hier sitzt auch eine junge Frau, deren Unschuld an dem Mord an Meredith Kercher erneut in Frage steht. Hier sitzt vielleicht eine Mörderin. Und jemand, der weiß, was sein Auftreten in einer Talkshow bewirken kann. Im Abspann drückt Knox herzlich Lanz' Hände.

Das liegt auch an Markus Lanz. Ihm gelingt es über die 75 Minuten der Sendung zwar, den richtigen Ton zu treffen. Vorsichtig, aber zielsicher hakt er nach und lässt sein Gegenüber ausführlich zu Wort kommen. Lanz versteht es, ungekünstelt auf seine Gäste einzugehen, sie ihre Geschichte erzählen zu lassen. Mit diesem Talk ist er in seinem Element. Aber angesichts der Tatsache, dass Knox auch schuldig sein könnte, ist er zu wenig kritisch. Lanz hatte schon mal jemanden in seiner Sendung, dessen Verantwortung nicht eindeutig geklärt war: Marco Weiss, der sich als 17-Jähriger in der Türkei wegen sexuellem Missbrauchs vor Gericht verantworten musste. Muss man diesen Leuten ein Forum im Fernsehen bieten? Und dabei weitgehend außer Acht lassen, dass sie theoretisch auch schuldig sein könnten?

Auf seine Frage übrigens, ob Knox zum Prozess nach Italien kommen werde, bekommt Lanz nur eine vage Antwort: "Das konnte ich mit meinen Anwälten noch nicht besprechen."

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