Alfred Biolek zum ZDF-Jubiläum:Neues aus Telesibirsk

Biolek will 'selber entscheiden, wann Schluss ist'

Alfred Biolek erinnert sich gerne an die Anfangszeit des ZDF.

(Foto: dpa)

Wir haben viel improvisiert. Und manche glaubten, dass der Sender das erste Jahr nicht übersteht. Erinnerungen an die Anfangszeit des ZDF, das vor 50 Jahren auf Sendung ging.

Von Alfred Biolek

Als ich zum ZDF kam, hatte ich noch keinen Fernseher. Damit hätte man damals auch kein zweites Programm sehen können, das war noch nicht auf Sendung, als ich im Februar 1963 im Justiziariat anfing. Meine erste Aufgabe war, den Vertrag für die Mainzelmännchen aufzusetzen. Ich war 29 Jahre alt, wollte was von der Welt sehen. So landete ich in Mainz.

Eines wusste ich sicher: Die Kanzlei meines Vaters in Waiblingen wollte ich nicht übernehmen. Ehen scheiden, Nachbarschaftsstreitigkeiten, das war nicht meine Welt. Wenige Minuten nach meiner letzten Prüfung zum zweiten Staatsexamen in Jura sollte ein Gespräch mein Leben verändern. Ich kam im Justizministerium in Stuttgart zufällig am Büro eines Mannes vorbei, der mich und meine Freunde oft für Feste seiner Stuttgarter Abendgesellschaft Familienkranz e. V gebucht hatte, wir machten Kabarett.

Ich klopfte, er hatte Zeit. "Was haben Sie nun vor?", fragte er. "Das weiß ich nicht", sagte ich. "Wollen Sie nicht zu dem neuen Sender?" Er sei in Mainz gewesen, sollte da Verwaltungsdirektor werden, man suche noch einen Assessor. Ein Anruf von ihm, ich war drin. "Ich bin gespannt, wie lange Sie in der Rechtsabteilung bleiben", sagte er noch. Drei Monate später war ich Moderator. Kurt Rebmann wurde nicht Verwaltungsdirektor beim ZDF, sondern Generalbundesanwalt und die RAF sein großes Thema.

Echte Aufbruchstimmung beim ZDF

In Mainz gab es den Lerchenberg noch nicht, und so saßen wir überall verteilt in der Stadt. Ich hatte Glück, saß im Allianz- und im Iduna-Haus - und nicht im weit entfernten Telesibirsk. Das nannten alle so, weil man in Eschborn in Containern saß und bei Regen durch Schlamm waten musste, um in die Büros zu kommen.

Am 1. April 1963 ging das ZDF auf Sendung, mit Fernsehansprachen des Intendanten Karl Holzamer und des Ministerpräsidenten Kurt Georg Kiesinger. Heute wird dieser Moment ein wenig verklärt, ich habe das nicht gesehen, wie viele Kollegen auch. Damals wusste man noch nicht, was mal aus dem ZDF werden würde.

Es herrschte eine echte Aufbruchstimmung beim ZDF. Von überall her warb die Intendanz Fernsehleute ab, der junge Harry Valérien zum Beispiel kam vom Bayerischen Rundfunk. Die meisten kamen ohne ihre Familien, und manche glaubten auch, dass das ZDF das erste Jahr nicht überstehen werde.

So kam es, dass wir jeden Abend im Wirtshaus saßen, mit 20, 30 Leuten. Ich hatte ein Repertoire von etwa 100 Witzen, die ich beim Wein erzählte. Irgendwann sagte einer: Der muss vor die Kamera! Ich lud auch zu mir ein, zu Edelzwicker und französischem Käse, dann zu legendären Essensrunden, die aber nichts gegen das waren, was ich später gemacht habe. Später saß halb Hollywood an meinem Küchentisch in Köln und Berlin.

Das Fernsehen heute ist nichts mehr für mich

Als ein Moderator für die Sendung Tips für Autofahrer gesucht wurde, fragte man mich. Ich war Jurist, hatte zwar keinen Fernseher, aber ein Auto. Und ich hatte ja schon den Namen, dass ich unterhaltsam sein konnte. Schön war ich nicht, aber das spielte damals im Fernsehen noch nicht so die Rolle. Die Sendung haben wir günstig produziert, wir hatten kein Studio, sondern drehten meist draußen. Geld war in Mainz ja immer ein Thema. Wir haben viel improvisiert, aber wir waren ja auch erst ganz am Anfang. Da sendeten wir auch nur knapp fünf Stunden am Tag, und viele konnten das ZDF nicht einmal empfangen.

Die ARD gab es da schon lange, die hatten Grzimek, Kulenkampff, Lembke. Da schaute man natürlich hin, aber als Konkurrenz, so habe ich das in Erinnerung, begriff man sich damals nicht. Das ZDF fing langsam an und holte sich berühmte Leute wie Peter Frankenfeld. Auch Fernsehansagerinnen wie Victoria Vancampe waren Stars. Auch wenn das in der Rückschau glamourös klingt, war das damals beim Fernsehen nicht so, schon gar nicht beim ZDF. Das war alles ein großes Experiment und eher eine vage Sache - was aber für einen guten Zusammenhalt sorgte.

Als ich ein halbes Jahr beim ZDF war, wurde ich Chef der Drehscheibe. Das waren 40 Minuten am Tag, kleine Beiträge, Interviews, Sänger. Das war der Kern des Vorabendprogramms vom ZDF, Unterhaltung und Ernst miteinander zu verbinden. Auch wenn ich den größten Teil meines Fernsehlebens beim WDR verbracht habe, war der Ansatz vom ZDF mein Fundament.

Später war ich als stellvertretender Unterhaltungschef für den Nightclub verantwortlich, der lief einmal im Monat, und damit kam dann doch etwas Glamour ins Programm. Ausländische Gäste aus Amerika und England, das gab es so vorher nicht. Ella Fitzgerald war zum Beispiel da, die habe ich vom Flughafen abgeholt. Ella in Mainz war schon sehr viel Glanz. Es war für mich das Glamouröseste in der Zeit beim ZDF und genau das, was ich immer machen wollte: ernsthafte Unterhaltung mit internationalen Namen.

Oberfläche mit Tiefgang

Man muss Tiefe ein bisschen verstecken, am besten unter der Oberfläche, war immer meine Maxime frei nach Hugo von Hofmannsthal. Diese Überzeugung prägte mein ganzes späteres Leben im Fernsehen. Die Oberfläche mit Tiefgang. Da war ich anders als die meisten in der Unterhaltung. Auch nach dem ZDF blieb ich mein Leben lang dieser Idee von Unterhaltung treu.

Ich glaube aber, dass mein Verständnis von Unterhaltung heute nicht mehr funktionieren würde. Heute geht es um den Hype, den besten Sänger zu finden, den besten Tänzer, die härtesten Fragen zu stellen im Einerlei der Talkshows, in denen immer dieselben Leute sitzen. Mein Ansatz war anders. Egal, ob Bios Bahnhof, Mensch Meier, Boulevard Bio oder Alfredissimo, es ging immer um den Menschen - auch wenn ich dafür von manchen kritisiert wurde. Heute ist der Ton in der ganzen Unterhaltung rauer geworden, ich finde: respektloser. Das hat nichts mit einzelnen Sendern zu tun, mit ARD oder ZDF, sondern mit einer Haltung.

Ist das Fernsehen schlechter geworden? Ich weiß es nicht, ich schau so wenig fern. Für Menschen, die im geistigen Bereich unterhalten werden wollen, hat sich das Fernsehen entfernt. Das Fernsehen heute ist nichts mehr für mich. Arte und 3Sat sehe ich manchmal, da laufen auch schon um acht Uhr gute Sachen.

Damals spielte die Quote keine Rolle. Mir kommt dabei immer ein Witz in den Kopf, ein trauriger. Treffen sich zwei Redakteure vor vielen Jahren auf dem Flur des Senders. "Wie fandest du die Sendung?", fragt der eine. "Toll, gute Unterhaltung", antwortet der andere. Treffen sich zwei Redakteure heute im Sender. "Wie fandest du die Sendung?", fragt der eine wieder. "Ich weiß nicht, die Quote kommt erst um 12 Uhr." Das bringt auf den Punkt, worum es geht. Obwohl sich beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen doch keiner um eine Quote scheren muss. Rückgängig machen kann man diesen Konkurrenzkampf mit den Privaten nicht mehr.

Das Fernsehen ist für mich eine Sache, die ist vorbei. Es spielte mal eine sehr große Rolle für mich, heute nicht mehr. Damals, als ich beim ZDF anfing, entsprach dieses Fernsehen genau dem, was ich wollte. Das hatte ich mir für mein Leben vorgestellt. Wenn ich heute noch einmal jung wäre, würde ich nicht mehr zum Fernsehen gehen. Ich würde mir etwas anderes suchen - vielleicht das Theater.

Alfred Biolek, 1934 in Freistadt im heutigen Tschechien geboren, kam nach dem Krieg mit seiner Familie nach Waiblingen. Mit 17 Jahren ging er als einer der ersten Austauschschüler in die USA. Nach dem Abitur studierte Biolek Jura und schloss das zweite Staatsexamen als Drittbester seines Jahrgangs in Baden-Württemberg ab. Schon als Student trat er mit der Kabarettgruppe "Das trojanische Pferdchen" auf. Als Rechtsassessor kam er 1963 zum neugegründeten ZDF, wo er bald auch vor der Kamera in Erscheinung trat - es folgte eine lange Fernsehkarriere als Produzent und Showmaster. Bis ins Jahr 2003 war er in der ARD mit dem Spätabendtalk Boulevard Bio zu sehen, drei Jahre später endete auch die Kochsendung Alfredissimo.

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