Affäre um "News of the World":Dieser Skandal kennt nur Opfer

Das Aus für das Revolverblatt "News of the World" ist eine spektakuläre Entscheidung - selbst nach den Maßstäben von Rupert Murdoch. Der konservative Medienpatriarch schließt seine außer Kontrolle geratene Sonntagszeitung, um die anderen Geschäfte seines Konzerns nicht zu gefährden.

Lutz Knappmann

"Rupe" ist angespannt. Eine aufgeregte Journalistenmeute umlagert ihn, den 80-Jährigen. Er wird bestürmt mit Fragen. Rupert Murdoch kennt das, schließlich ist aufdringlicher Journalismus Teil seines Geschäfts. Doch diesmal steht der Gründer der News Corporation, des drittgrößten Medienkonzerns der Welt, selbst im Mittelpunkt. Und die Fragen, die auf ihn einprasseln, passen so gar nicht zur entspannten Freizeit-Atmosphäre in Sun Valley, wo sich seit Donnerstag die mächtigsten Konzernchefs und Unternehmensgründer der Welt zu ihrer alljährlichen Konferenz versammeln.

Rupert Murdoch, Wendi Murdoch

Während in London der Skandal um "News of the World" eskaliert, spaziert Medienpatriarch Rupert Murdoch mit seiner Frau Wendi durch das Städchen Sun Valley im US-Bundesstaat Idaho. Dort trifft er sich mit zahlreichen Wirtschaftsgrößen zur jährlichen Sun Valley Conference

(Foto: AP)

Die Reporter, die dem Medienunternehmer in den Bergen von Idaho auf Schritt und Tritt folgen, haben nur ein Thema: Den beispiellosen Abhörskandal um das britische Revolverblatt News of the World. Sie konfrontieren den knallharten Geschäftsmann mit Fragen von höchster moralischer Brisanz. Wie weit dürfen Journalisten für eine spektakuläre Story gehen? Und wie reagiert ein Medienkonzern, wenn Mitarbeiter alle Grenzen überschreiten?

Murdoch hat reagiert. Auf seine Art. Am Donnerstagabend hat er seinen Sohn James verkünden lassen, dass News of the World eingestellt wird. Am Sonntag wird die letzte Ausgabe des wöchentlichen Klatschblattes erscheinen. Das Aus für die 168 Jahre alte Zeitung ist eine Entscheidung, die selbst für Murdochs Maßstäbe spektakulär ausfällt. Der Unternehmer ist berüchtigt für seine Risikofreude. Seinen Einstieg beim angeschlagenen deutschen Bezahlfernseh-Anbieter Premiere, der heute Sky heißt und Murdoch inzwischen weit über eine Milliarde Euro gekostet hat, bereitete er binnen weniger Tage vor - um dem französischen Branchenrivalen Vivendi zuvor zu kommen. Seine ersten Experimente mit kostenpflichtigen Medieninhalten im Internet startete Murdoch ausgerechnet bei der britischen Traditionszeitung Times.

Doch dass der Konzernpatriarch handstreichartig einen wichtigen Teil seines Kerngeschäfts aufgibt, hat eine neue Qualität. "Die Vorwürfe gegen News of the World sind so schlimm, dass sie eine angemessene Reaktion erfordern", heißt es dazu im Konzernumfeld: "Das ist der GAU."

Um zu verhindern, dass das Image des Weltkonzerns auf ewig mit den unappetitlichen Details des Abhörskandals verbunden bleibt, trennt sich Murdoch nun von einer Goldgrube. News of the World ist Großbritanniens meistgelesene Sonntags-Zeitung. Sie erreicht mehr als sieben Millionen Leser. Geschäftszahlen nennt Murdochs britische Konzerntochter News International, die neben News of the World auch das Boulevardblatt Sun und die renommierte Times herausgibt, nicht. Doch News of the World gilt als hoch profitabel, jedenfalls in normalen Geschäftsjahren. Jüngst übernahm das Objekt die Abschreibungen für Thelondonpaper, eine Gratiszeitung, die Murdoch vergeigt hat und einstellte.

Boulevardjournalismus ist nach wie vor ein funktionierendes Geschäftsmodell. Und die weltweiten Print-Geschäfte bilden die wichtigste Sparte des Murdoch-Konzerns. Hervorgegangen ist News Corp. aus der Tageszeitung The News im australischen Adelaide, die Rupert Murdoch 1952 von seinem Vater erbte - und zu einem Weltkonzern ausbaute. In den neun Monaten von Juli 2010 und März 2011 schaffte News Corp. einen operativen Gewinn von knapp 3,5 Milliarden Dollar. Auf das Verlagsgeschäft, zu dem weltweit rund 170 Zeitungen und Magazine sowie Buchverlage gehören, entfielen allein 6,5 Milliarden Dollar Umsatz. Die zweitgrößte Sparte, das Geschäft mit Fernsehsendern wie Fox, kam auf 5,9 Milliarden Dollar.

Für Anzeigenkunden untragbar

Hätte Murdoch nicht zum Äußersten gegriffen, wäre News of the World für ihn auch wirtschaftlich zum Problem geworden. Zahlreiche Anzeigenkunden - von Aldi bis Mitsubishi - strichen nach Bekanntwerden der jüngsten Vorwürfe ihre Anzeigen. "Es kann sich heute kein Unternehmen mehr leisten, in einem solchen Umfeld zu erscheinen", sagt Katja Brandt, Chefin der Mediaagentur Vizeum, die große Firmen dabei berät, bei welchen Titeln, Sendern und Online-Sites sie Werbung schalten sollen: "Aus wirtschaftlicher Sicht ist es vermutlich besser, den Titel einzustellen und etwas neues aufzubauen." Vermutlich füllt eine Sonntagsausgabe der konzerneigenen Sun bald die Lücke.

Doch auch die Finanzmärkte zeigten zu den Vorfällen eine eindeutige Meinung: Als bekannt geworden war, dass Reporter des Blatts sogar das Telefon eines entführten Mädchens, das später starb, angezapft hatten, gab der Aktienkurs von News Corp um gut vier Prozent nach - und fällt seither weiter.

Murdoch opfert mit News of the World einen wichtigen Teil seines klassischen Geschäfts, um seine Expansion in zukunftsträchtige neue Märkte nicht zu gefährden. Die Übernahme der US-Wirtschaftszeitung Wall Street Journal im Jahr 2007 war der letzte spektakuläre Zukauf der News Corp. im klassischen Verlagsgeschäft. Seither fällt Murdoch vor allem durch forsche Vorstöße in digitale Geschäftsmodelle auf und drängt in Märkte, die weniger stark abhängig sind von Werbeerlösen.

Zehn Milliarden Euro bietet er dafür, den profitablen britischen Pay-TV-Konzern BSkyB komplett zu übernehmen; 39 Prozent der Anteile hält er bereits. Vor einer Woche hatte die britische Regierung Zustimmung zu dem Deal signalisiert - nun formiert sich breiter öffentlicher Widerstand gegen den wachsenden Einfluss des konservativen Medienunternehmers. Am Freitag betonte Murdoch daher noch einmal, es sei sein "wichtigstes Ziel, die Kooperation mit dem zuständigen Medienminister in dem laufenden Regulierungsverfahren fortzusetzen."

Murdoch braucht den Erfolg bei BSkyB. Anderenorts laufen die Geschäfte schleppend. Das Filmstudio 20th Century Fox etwa kann an den Erfolg des 3D-Blockbusters Avatar nicht anknüpfen, mit dem es Anfang 2010 alle Kassenrekorde brach. Zudem sinken die DVD-Verkäufe, da die Konkurrenz aus dem Netz wächst. Das Filmgeschäft hat sich zu einer Belastung entwickelt.

Ein Desaster erlebte Murdoch im Internet: 580 Millionen Dollar hatte sich der Konzern 2005 das auf Musik spezialisierte Netzwerk Myspace kosten lassen. Doch der Konkurrenz durch Facebook war es nicht gewachsen. Vorige Woche bezahlte die Werbefirma Specific Media gerade mal 35 Millionen Dollar für die Myspace-Überreste. Vor einem Jahr begann Murdoch damit, die Onlineangebote einzelner Zeitungen hinter einer Bezahlschranke wegzuschließen. Mittlerweile zählt etwa die Londoner Times rund 100000 zahlende Abonnenten im Netz - das ist ein Bruchteil der früheren Reichweite. Die unter großer Anteilnahme gestartete Online-Zeitung The Daily ist weit von der Profitabilität entfernt.

Einen Erfolg bei BSkyB erhofft sich der Konzernpatriarch auch aus familiären Gründen: Der Deal soll das Meisterstück für seinen Sohn James werden. Der 38-Jährige ist der Kronprinz und die Nummer Drei im Familienkonzern. Er verantwortet das Europa- und Asiengeschäft - und ist damit für die Entwicklung bei BSkyB zuständig. Und für die Vorgänge bei News of the World. Es war auch seine Entscheidung, das Boulevardblatt sofort zu schließen.

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