"Absolute Mehrheit" auf Pro Sieben:Raab hätschelt die Piraten

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Pro-Sieben-Entertainer Stefan Raab widmet seine "Absolute Mehrheit" den Piratenthemen Politikverdrossenheit und bedingungsloses Grundeinkommen. Ungewöhnlich sanft geht er mit Spitzenkandidatin Cornelia Otto um. Die präsentiert sich zwar als große Idealistin - wird aber von der schnöden Realpolitik eingeholt.

Eine TV-Kritik von Hannah Beitzer

Wären die Piraten eine christliche Partei, sie könnten ihre Anhänger gut und gerne dazu aufrufen, Stefan Raab in ihr Abendgebet einzuschließen. Denn er scheint im Moment der Einzige zu sein, der sie noch politisch ernst nimmt. Denn warum sonst sollte er seine Sendung "Absolute Mehrheit" ganz typischen Piratenthemen widmen?

Dort ging es nämlich um das bedingungslose Grundeinkommen, das die Piraten als einzige Partei in ihrem Wahlprogramm stehen haben. Auch der Rest der Sendung passte zum parteien- und politikerverdrossenen Piratenpublikum: Kann die Politik vom Fußball lernen? Und: Warum haben die Wähler "keinen Bock auf Politik"?

Darüber diskutierte die Piraten-Spitzenkandidatin Cornelia Otto mit Klaus Ernst (Linke), Lasse Becker (Junge Liberale), Garrelt Duin (SPD) und Fußballkommentator Wolff-Christoph Fuss. Otto hatte dabei allen Grund nervös zu sein, waren die Piraten doch in jüngster Zeit für alles Mögliche in die Schlagzeilen geraten, nur nicht für ihre Politik: Streitereien, Misstrauen, wüste Beschimpfungen, peinliche verbale Aussetzer.

Keine leichte Aufgabe für Otto, dagegen zu bestehen. Erst recht, da sie selbst in eines der jüngsten Skandälchen verwickelt war: Sie hatte gemeinsam mit einigen anderen Spitzenkandidaten einen PR-Berater engagiert, dessen Auftreten auf dem Bundesparteitag der Partei - gelinde gesagt - für einige Irritation gesorgt hatte und gegen den laut Spiegel Online auch noch wegen Bestechlichkeit und Untreue ermittelt werden soll.

"Puh, da kenn' ich mich nicht so aus"

Doch Otto ist diesen Berater bereits losgeworden. Und das hat ihr sichtlich gutgetan. Deutlich gelöster als bei ihren ersten Auftritten präsentierte sie sich bei Raab. Auf die Frage, ob dies ihr erster Fernsehauftritt sei, entgegnete sie nüchtern: "Ich war schon mal in der 'heute show'." Und auf die Frage, welcher Fußballverein die Piraten wären, antwortete sie mit einem Piratenklassiker: "Puh, da kenn' ich mich nicht so aus." Und die Leute? Stehen drauf. Das denkt wenigstens Welt-Journalist Robin Alexander, der in der Sendung nach jedem Diskussionsblock die Redebeiträge der Teilnehmer analysiert.

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Und recht hat er: Otto liefert sich fortan ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Klaus Ernst, der mit hochrotem Kopf gegen die SPD vom Leder zieht: Hartz IV, Aufstocker, Bankenrettung, das ganze Programm. Die selbsternannten Stimmen der Vernunft, verkörpert durch JuLi Lasse Becker und SPD-Mann Duin, haben da natürlich keine Chance, ebenso wenig Fußballkommentator Fuss, der angesichts des Ernst'schen Wortschwalls wie erschlagen in seinem Sessel hängt.

Wo Stefan Raabs Sympathien liegen, ist nicht schwer zu erraten. Er hat nicht nur seine Themen ganz auf Cornelia Otto und ihre Nicht-mal-fünf-Prozent-Partei zugeschnitten. Er nimmt Otto mehrmals in Schutz und bittet sogar einmal die versammelte Herrenrunde, sie doch auch einmal zu Wort kommen zu lassen. "Ich muss Frau Otto ein bisschen helfen, weil sie ein Neuling in der Runde ist", rutscht es ihm heraus - wer einmal gesehen hat, wie Raab sich sonst mit seinen Studiogästen in allen erdenklichen sinnlosen Disziplinen kloppt, der kann nur verwundert den Kopf schütteln.

Er kann aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nach dem netten Start für Otto bergab geht - ausgerechnet beim bedingungslosen Grundeinkommen, einem jener Themen, mit dem die Piraten im Wahlkampf punkten wollen, gelingt es ihr nicht zu punkten. Zwar erzählt sie einiges von einer immer stärker automatisierten Gesellschaft, in der Vollbeschäftigung nicht mehr das oberste Ziel sei. Sie schwärmt vom Wert kreativer Leistung und sozialer Arbeit, die auf diese Weise aufgewertet würden.

Doch sie scheitert letztlich an einem ganz einfachen Problem: Ihre Partei hat zwar das bedingungslose Grundeinkommen im Programm stehen. Doch auf ein konkretes Modell haben sich die Mitglieder noch nicht geeinigt. Das soll, so schwebt es den Piraten vor, in einer Enquetekommission im Bundestag entwickelt werden. Den anderen Talkgästen, die alle aus dem einen oder anderen Grund gegen ein Grundeinkommen sind, gibt das natürlich reichlich Munition in die Hand: Wer soll das denn alles zahlen? Und von welchem Geld? Wem soll das letztlich nutzen? Alles Fragen, die schwer zu beantworten sind, solange die Piraten sich darum herumdrücken, konkrete Zahlen in den Ring zu werfen.

Sieg für den Oberpolterer

Mit Sätzen wie "Die Menschen in meinem Weltbild sind aktiv und wollen arbeiten" kommt Otto zwar sehr idealistisch rüber. Es wird mehr als deutlich, dass die Piraten ungewöhnliche, ja, sogar visionäre Ideen haben. Aber gleichzeitig drängt sich der Eindruck auf, dass sie noch nicht das nötige Rüstzeug haben, diese auch im politischen Wettkampf zu platzieren.

Und so ist es bezeichnend, dass Otto letztlich doch nur auf dem zweiten Platz landet und den ersten Platz ausgerechnet ein bekennender Gegner des bedingungslosen Grundeinkommens einfährt: Oberpolterer Klaus Ernst.

Mit der tatsächlichen Wahlentscheidung haben die Pro-Sieben-Zuschauervotings wenig zu tun. Sonst müsste die Linke, nachdem bereits Fraktionschef Gregor Gysi die letzte Sendung Absolute Mehrheit für sich entschied, demnächst den Bundeskanzler stellen.

Doch über die Wahlkampftauglichkeit der Piraten sagt die Sendung dennoch einiges aus. Am Schluss, so stellt es Absolute-Mehrheit-Analyst Alexander fest, fehlte Cornelia Otto einfach die Puste. Und ihrer Partei, das lässt sich ergänzen, die eine oder andere klare Antwort.

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