Letzte "Daily Show" mit Jon Stewart:Guter Mann

Jon Stewart

Am besten war Stewart, wenn er Dummheiten aus dem rechten Kanal Fox News entdeckte und kommentierte.

(Foto: AP)

Er war der gesunde Menschenverstand im täglichen Wahnsinn, 16 Jahre lang. Jetzt verlässt Jon Stewart die "Daily Show". Eine Hommage.

Von Nikolaus Piper

Kann Satire die Welt verändern? Ja, sie kann es. Jon Stewart hat es bewiesen, 16 Jahre lang, immer montags bis donnerstags von 23 Uhr bis 23.30 Uhr. Seit 1999 moderiert Stewart die Daily Show im Kabelkanal Comedy Central. An diesem Donnerstag hört er auf - ein Einschnitt für die Fernsehbranche und für ganz Amerika. Jon Stewart war so etwas wie der institutionalisierte Menschenverstand im Wahnsinn des ideologisierten Nachrichten- und Meinungszirkus.

In Deutschland gibt es seit einiger Zeit keinen legalen Weg mehr, die Daily Show aktuell zu sehen. Wer auf die Website geht und das neueste Video klickt, der bekommt die - nicht satirisch gemeinte - Auskunft: "You're so close, and yet so far away" - "Es tut und leid, aber dort, wo Sie sind, ist dieses Video nicht verfügbar."

Man muss sich die Daily Show so vorstellen, wie die Heute-Show im ZDF, deren Vorbild sie ist, nur eben besser. Es ist eine "Fake News Show", eine Sendung, die meist so tut, als sei sie eine ernste Nachrichtensendung, es manchmal aber auch ist: bombastische Eingangssequenz, verfremdete Berichte von "Korrespondenten", Interview mit prominenten Gästen, oft auch ernsthafter Art. Ende Juli etwa gab Präsident Barack Obama Jon Stewart ein Abschiedsinterview, in dem er für den Atom-Deal des Westens mit dem Regime in Teheran warb.

"Zu wem sprechen Sie eigentlich?"

Mit Abstand am besten ist Stewart, wenn er Dummheiten aus dem rechten Kanal Fox News entdeckt und kommentiert. Eines der schönsten Beispiele stammt aus dem Spätherbst 2013. Damals hatte sich die Moderatorin Megyn Kelly von Fox mit einer bemerkenswerten Aussage in die amerikanische Debatte um Rasse und Gesellschaft eingemischt: "Der Weihnachtsmann ist weiß, genauso wie Jesus."

Jon Stewart spielte das Video mit Kellys Aussage und sagt dann zunächst gar nichts. Er schaut, und schaut, verdreht die Augen, dann die Frage: "Zu wem sprechen Sie eigentlich? Zu Kindern, die erwachsen genug sind, um sich Nachrichtensendungen abends um zehn anzusehen? Und gleichzeitig unschuldig genug, um noch an den Weihnachtsmann zu glauben? Und rassistisch genug, um auszuflippen, wenn man ihnen sagt, dass der Weihnachtsmann nicht weiß ist?" Das saß und beschäftigte konservative Kommentatoren noch tagelang.

Vom netten Komiker zur Stimme der Vernunft

Stewart wurde 1962 in New York als Jonathan Stuart Leibowitz geboren. 2001 änderte er seinen Nachnamen in Stewart. Das hatte mit dem Show-Geschäft zu tun, aber auch mit dem schwierigen Verhältnis zu seinem Vater. Stewarts Eltern hatten sich scheiden lassen, als er acht Jahre alt war. In der Schule hatte er sich den Ruf eines Clowns erworben, vermutlich deshalb wagte er sich 1987 als Komödiant ins "Bitter End", einen Nachtclub im Greenwich Village. Auch Woody Allen und Bill Cosby hatten dort begonnen.

Im Jahr 1993 bekam Stewart seine eigene Sendung auf MTV, die Jon Stewart Show, sechs Jahre später schließlich die Daily Show auf Comedy Central. Dort trat er die Nachfolge des heute kaum noch bekannten Moderators Craig Kilborn an. Ein Glücksfall für Stewart war, rein beruflich gesehen, der Kurs der amerikanischen Politik: Am 20. Januar 2001 wurde George W. Bush als Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt.

Figuren wie Cheney und Rumsfeld forderten Satire geradezu heraus

Mit Bush blühte das auf, was der Publizist Richard Hofstadter schon in den 1950er-Jahren den "paranoiden Stil in der amerikanischen Politik" genant hatte. Figuren wie Vizepräsident Dick Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld forderten mit ihrer eigentümlichen Mischung aus Inkompetenz und ungezügelter Meinungsfreude Satire geradezu heraus. In der Ära Bush wurde Stewart von einem netten, linken Komödianten zu einer der Stimmen der Vernunft, ein Gewissen Amerikas.

Eine gewisse Parallele gibt es dabei zur Karriere des Ökonomen Paul Krugman. Auch er begann seine Kolumne in der New York Times kurz bevor Bush gewählt wurde. Auch er wurde dadurch als Vertreter eines "anderen", nicht paranoiden Amerika wahrgenommen.

"Den Menschenverstand wiederherstellen"

Stewart hatte nie Scheu, direkt in die Politik einzugreifen. Am 29. Oktober 2008, wenige Tage vor der Präsidentenwahl, trat der demokratische Kandidat Barack Obama bei Stewart auf, 3,6 Millionen Zuschauer sahen die Sendung. Zwei Jahre später kam Obama als erster amtierender Präsident in die Show, auch Hillary Clinton saß schon in Stewarts Studio. Höhepunkt des politischen Engagements Stewarts war der 30. Oktober 2010.

Hillary Clinton und Jon Stewart; Daily Show

Ehrensache, dass auch die womöglich erste Präsidentin der Vereinigten Staaten in der Daily Show zu Gast war: Hillary Clinton im Juli 2014.

(Foto: Frank Franklin II/AP)

Damals, zur Hoch-Zeit der Tea-Party-Bewegung in den USA, rief er zusammen mit seinem Kollegen Stephen Colbert zu einem Marsch nach Washington auf unter dem Titel "Restoring Sanity" ("Den Menschenverstand wiederherstellen"). Über 200 000 Menschen kamen auf die National Mall nach Washington. Der Marsch war eine Parodie und ein Gegenstück zu der Demonstration "Restoring Honor" ("Die Ehre wiederherstellen"), die der rechtskonservative Moderator Glenn Beck zuvor organisiert hatte.

Er erreichte die Jungen

Den Einfluss von Stewart unterschätzt, wer nur auf die offiziellen Zahlen schaut (durchschnittlich eine Million Zuschauer pro Show). Das sind deutlich weniger, als die Altstars des Genres Late Night Show, Jay Leno und David Letterman (beide mittlerweile im Ruhestand), verbuchen konnten. Stewarts Zuschauer waren jünger, und viele schauten die Sendung erst am nächsten Tag online an. Stewart hatte also ein wesentlich moderneres Publikum als die anderen. Außerdem hat Stewart Schüler, ehemalige Korrespondenten der Daily Show, die jetzt ihre eigenen Programme machen, in erster Linie John Oliver auf HBO und Stephen Colbert, Nachfolger von David Letterman bei der Late Show.

Nachfolger von Stewart bei der Daily Show wird der Südafrikaner Trevor Noah. Er wird im September antreten.

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