TV-Vorschau: "Kehrtwende":Von Wölfen und Lämmern

Zwischen Aggression und Pein: Der ARD Film "Kehrtwende" beschreibt den Kreislauf häuslicher Gewalt. Der Plot hat viel von einem Tauziehen, beschönigt aber nichts. Ein kluges Experiment.

Cathrin Kahlweit

Ein Mann schlägt seine Frau. Sie sei schuld an den Schlägen und Tritten, brüllt er, weil sie immer so viel falsch mache. Sie weint, fühlt sich schlecht und schuldig; sie will sich ja bessern, weiß aber doch nicht, wie. Gleichzeitig ist sie empört, plant den Auszug, geht dann doch nicht. Er schämt sich und macht Geschenke, verspricht seinerseits Besserung, er liebe sie doch, beteuert er, aber sie provoziere ihn immer so - und doch will er sich jetzt zusammennehmen, der Familie zuliebe. Bis zum nächsten Mal, bis zum nächsten Schlag. Ein Klischee wird da beschrieben, das verdammt häufig der Wahrheit entspricht: häusliche Gewalt als Kreislauf aus Abhängigkeit, Scham, Demut, Schuld und Hass.

"Kehrtwende"

Ein großer Wolf mit seinem zarten Lamm: In "Kehrtwende" zeigt Dietmar Bär (rechts) den Lehrer Thomas Schäfer mit viel unangenehmer körperlicher Präsenz. Inka Friedrich spielt die verhuschte Ehefrau Viola, die es sich trotz Angst gut eingerichtet hat in ihrem Käfig.

Drehbuchautor Johannes Rotter beginnt Kehrtwende mit diesem Klischee, aber er setzt kein weiteres drauf und macht den Film damit zu einem klugen Experiment. Rotter entwickelt ein Familiendrama, in dem der Täter nicht nur ein Wolf ist und die Opfer nicht nur Lämmer sind. Regisseur Dror Zahavi wiederum hat die Hauptrolle, was ebenfalls ein kluger Schachzug ist, mit dem Sympathieträger Dietmar Bär besetzt, der im Kölner Tatort immer den brummigen Kommissar mit dem einigermaßen intakten Familienleben gibt.

Inka Friedrich, die als arbeitslose, alleinerziehende Mutter im Sommer vorm Balkon bekannt geworden ist, spielt die durchaus lebhafte und doch etwas verhuschte Ehefrau Viola als Dulderin mit aufkeimendem Selbstbewusstsein. Der nette Bär als ambivalent-fieser Schläger und die hübsche Friedrich als eingeschüchterte Hausfrau funktionieren gut als Paar, auch und gerade, weil der Wolf so groß und das Lamm so zart ist.

Bär zeigt den Lehrer Thomas Schäfer mit viel, oft unangenehmer körperlicher Präsenz; sein dickes, selbstgerechtes Ich changiert zwischen Aggression und Pein, Überheblichkeit und Einsamkeit. Aber keiner ist nur ein Schwein, auch dieser Thomas Schäfer natürlich nicht, er leitet seinen Schulchor mit glühender Leidenschaft, er sucht auch mit wachsender Leidenschaft Antworten auf die Frage, warum er tut, was er tut. Und kein Opfer ist nur arm dran; Viola Schäfer hat es sich trotz ihrer Angst ganz gut eingerichtet in ihrem Käfig, die Traumatisierung der Kinder will sie nur bedingt wahrhaben und den Schutz, den die beiden brauchen, verweigert sie - auch um des eigenen Vorteils willen.

Immerhin: In Kehrtwende weiß jeder der Beteiligten, dass Gewalt nicht geht, nichts wird beschönigt, niemand deckt den Täter. Nicht seine Schule, nicht die Freunde, nicht seine Ehefrau Viola, nicht die Kinder. Tochter Sofia nimmt zwar immer wieder Partei für den Vater, entzieht sich dann aber doch, Sohn Sven, das jüngste und verletzlichste Opfer, hasst diesen Vater, vor dem er sich so fürchtet, er flieht ihn, verweigert sich.

Zeitweilig ziehen Frau und Kinder aus - nicht weil Viola Schäfer das will, sondern weil ihre Freundin Gisa, Rechtsanwältin und Violas starkes Alter Ego, sie dazu überredet. Thomas Schäfer bleibt allein zurück, bisweilen terrorisiert von seiner verbitterten Mutter - und gelobt Besserung. Auch das ist ein Klischee und doch die verdammte Wahrheit: Wie viele prügelnde Männer versprechen wieder und wieder, dass dies das letzte Mal gewesen ist, dass sie von nun an nie wieder zuschlagen werden? Und dann passiert es doch.

Der Plot hat viel von einem Tauziehen: Mal finden Frau und Kinder Verbündete, flüchten, rächen sich, dann macht diese Seite ein paar Meter gut; dann wieder bemüht sich Thomas Schäfer um Versöhnung, er ringt mit sich, er sucht Hilfe, daraufhin macht er ein paar Meter gut. Hin und her wogt das, mit einigen überraschenden Volten und viel gut begründeter Skepsis. Immer dann jedoch, wenn eine Seite die gegnerische über die Mittellinie zu ziehen droht, läuft einer zum Gegner über, verstärkt die andere Seite - und das Ziehen beginnt aufs Neue, Ausgang offen. Das darf so sein, wenn der Gegner in einer Familie trotz allem auch ein Partner ist.

Kehrtwende, ARD, 20.15 Uhr

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