"Roche & Böhmermann":Zwischen die Beine

Keine Haltung, fehlende Meinung: Charlotte Roche und Jan Böhmermann zeigen in ihrer neuen Talksendung, wie man ein Gespräch eine Stunde lang dröge dahinplätschern lassen kann. Doch beim ZDF hält man es wie bei der ARD: Bis Sommer steht das Konzept, ab Herbst steigt die Quote.

Christopher Pramstaller

Es gab Zeiten, da wurde im Fernsehen noch ordentlich gestritten. Gesprächsrunden gab es nur mit zünftiger Auseinandersetzung, das argumentative Kreuzen der Klingen gehörte zum guten Ton. Rhetorik hieß das Zauberwort, Debatten waren mehr als Phrasenhuberei und Schlagzeilenproduktion.

Studioaufzeichnung der Talkshow 'Roche und Boehmermann'

Gast- und Namensgeber Charlotte Roche und Jan Böhmermann.

(Foto: dapd)

Wenn Egon Hoegen allsonntäglich den Internationalen Frühschoppen mit der Standardformulierung "... mit sechs Journalisten aus fünf Ländern" ankündigte, erwartete den bundesrepublikanischen Fernsehzuschauer die Debatte zur Lage der Nation. Von 1953 bis 1987 ging das so. Einige große Fernsehmomente inklusive. "Talk" war noch nicht erfunden, "Show" gab es am Samstagabend bei Rosenthal und Kulenkampff.

Roche & Böhmermann, die neue Sonntagabend-Gesprächsrunde, die in einer ehemaligen Wachsfabrik im Kölner Süden für den Digitalsender ZDFkultur aufgezeichnet wird, stellt sich mit dem Motto "Fernsehen wie früher, nur neu gemacht" selbstbewusst in die Tradition solch großer Sendungen. Das Studio konsequent im Retrodesign gehalten, die Gäste um einen schwarzen Tisch, Schulter an Schulter. Vor jedem ein altes Tischmikro, darüber ein runder Deckenleuchter. Konspirativer APO-Schick meets Besprechung im Atombunker. Eine unkonventionelle Talkshow für alle, die keine Talkshows mögen, heißt es beim ZDF.

Bei Roche & Böhmermann soll das Gespräch im Mittelpunkt stehen, Talk um des Talkes willen, weil man sich eben gerne unterhält und manchmal auch etwas zu sagen hat. Keine Schlagzeilen-Produktion, keine Polit-Phrasen, keine hinlänglich bekannten One-Trick-Ponys. "Sie sind nicht vermittelnd, sondern Partei ergreifend, polemisierend, gerne provozierend, dabei jedoch meist charmant und freundlich - und immer sie selbst" meint das ZDF zu seinem neuen Duo.

Problem dabei: Wenn sich die fünf mehr oder minder prominenten Premierengäste (Rapper Sido, Piraten-Politikerin Marina Weisband, Model-Coach Jorge Gonzales, Sat.1-Talkerin Britt Hagedorn und Berghain-Türsteher Sven Marquardt) einfach so gar nichts mitzuteilen haben und über keinerlei Haltung verfügen, um zu den Themen, die sich in 60 Minuten träge aneinanderreihen, auch nur irgendetwas Gehaltvolles beizutragen, dann wird so eine Talkshow eine ganz schön dröge Angelegenheit. Da können auch die Moderatoren kaum noch etwas bewirken.

Ob Sido 10.000 Euro beim Pokern gewonnen hat oder Model-Coach Jorge Gonzales Schuhe mit reichlich Plateau trägt, ist indes noch von viel weniger Belang. Muss Sidos "Arschficksong" 2012 wirklich noch einmal thematisiert werden? Interessiert das x-te Geplänkel darüber, ob denn nun Alkohol oder Gras die bessere Droge sei und Britt gestehen muss, dass ihr immer so wahnsinnig schlecht davon werde und sie es deshalb lieber sein lässt?

Sven Marquardt, berühmt-berüchtigter Türsteher des Berliner Clubs Berghain, ist sichtlich anzumerken, wie Öde er die Runde findet, wenn ihm die Frage gestellt wird: "Wen lässt du denn eigentlich in den Club und wen nicht?" und er sich später ganz ausklinkt und nur noch beobachtet, was sich vor ihm abspielt. Zwar wird Marina Weisbrand zwischendurch sogar politisch und spricht über deliberative Demokratie und das Wirken der Piraten. Ihr Beitrag liefert aber kaum mehr Impulse als ein Kurzreferat in jedem x-beliebigen Politik-Proseminar.

Böhmermanns großer Auftritt

Langweilige Gäste fordern gute Moderatoren. Für Charlotte Roche soll es eine Wiederauferstehung im deutschen Talk-Fernsehen werden, nachdem sie andernorts nur allzu schnell gescheitert war. Dem NDR-Publikum von 3 nach 9 gefiel im Herbst 2009 auf Anhieb nicht, wie Roche den Gästen Fragen stellte. Für das ältliche Publikum war sie schlicht zu bunt, zu schrill, zu quäkig und ohnehin mit ihren Romanen immer etwas zu sehr zwischen den Beinen als am Puls der Zuschauer.

Und auch mit Böhmermann an ihrer Seite schafft sie es nicht, etwas mehr zu sein, als sie selbst. Nett und freundlich reicht eben nicht, wenn das Projekt dem ZDF schnellstmöglich und vor allem nachhaltig eine Zielgruppe zwischen 20 und 40 bescheren soll. Ein wenig Expertise im Führen von Interviews sollte auch bei ZDFkultur zum Handwerk zur Leitung von Gesprächsrunden gehören.

Deutlich besser macht es da der Ko-Gastgeber und Harald-Schmidt-Teilzeit-Sidekick Jan Böhmermann. Er ist derjenige, der sich nicht damit zufrieden geben will, dass das Gespräch eine Stunde lang nichtsagend dahinplätschert. Mal streitet er mit Sido, weil er eine ernsthafte Diskussion einfordert, wenn es um das Thema Ökostrom geht.

Seinen großen Auftritt hat er aber vor allem, wenn der 0,2-Prozent-Mann von ZDFkultur die 19-Prozent-Nachmittagstalkerin Britt Hagedorn angeht. Etwa wenn er sie fragt, wie man "Menschen am Rande der geistigen Behinderung" zur Flirtsendung einladen kann - und sie auch mit anderen Fragen vorführt. Sonst sei er gar nicht so "sozialdemokratisch unterwegs", aber gewisse Dinge, die würden einfach gar nicht gehen.

"Bis zum Sommer steht das Konzept, ab Herbst steigt die Quote", sagt Böhmermann in Anlehnung an die sich im Dauer-Tief befindliche Vorabend-Show von Thomas Gottschalk irgendwann. Ob die Talkshow die Erwartungen erfüllt, wird vor allem davon abhängen, ob es Roche und Böhmermenn gelingt, das richtige Maß zu finden. Das Maß zwischen bloßer Freundlichkeit und ordentlich Krawall, der mehr ist als ein kleiner Witz am Rande.

"Du hast mir gar nicht gesagt, dass du sie so hart rannehmen willst", sagt Roche im Abspann zu Böhmermann. "Aber was müssen wir denn besser machen?" "Ich werde nie wieder Gäste angehen, wie ich mir vorgenommen habe, es zu tun", erwidert Böhmermann. Es ist zu hoffen, dass er dieses Vorhaben nicht in die Tat umsetzt. Sonst braucht Roche & Böhmermann wirklich niemand.

Roche & Böhmermann, ZDFkultur, ab 4. März jeden Sonntag, 22 Uhr

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