Tatort Leipzig "Todesschütze":"Auf ins sinnlose Gefecht"

Leipziger Tatort ´Todesschütze"

Rainer Piwek, Simone Thomalla, Wotan Wilke Möhring und Martin Wuttke am Set des MDR-Tatorts "Todesschütze" in Leipzig.

(Foto: dpa)

Der neue Tatort Leipzig erzählt auch die echte Geschichte vom Alexanderplatz und von allen Grenzgebieten, in denen Rauflust zu Mordlust wird und Bierrausch zu Blutrausch. Das kippt nur manchmal ins Sentimentale.

Von Holger Gertz

Diese Tatort-Rezension wurde erstmals zur Premiere von "Todesschütze" 2012 publiziert. An diesem Sonntag zeigt Das Erste den Fall anstatt Anne Will, weswegen wir den Text noch einmal veröffentlichen.

Dass der Tatort als solcher nicht aktuell wäre, ist ungefähr das Letzte, was man ihm vorwerfen kann. Manchmal ist er irritierend aktuell. Eine Episode vom Oktober hieß "Borowski und der freie Fall" sie begann ziemlich genau in dem Moment, als der Stratosphärenspringer Felix Baumgartner - ein Österreicher - wieder auf der Erde angekommen war. Borowskis freien Fall mit Baumgartners freiem Fall sozusagen zu verschmelzen, war ein Meisterstück prophetischer Programmplanung. Wobei das Publikum von Fall zu Fall unterscheidet: An Baumgartner erinnert sich jeder, an jenen Borowski erinnert sich kein Mensch mehr.

Diesmal ermitteln Eva Saalfeld und Andreas Keppler. Ein Ehepaar ist nachts auf dem Heimweg von Jugendlichen zusammengeschlagen und -getreten worden. Die fiktive Geschichte aus Leipzig erzählt auch die echte Geschichte vom Alexanderplatz und aus allen Grenzgebieten, in denen Rauflust zu Mordlust wird und Bierrausch zu Blutrausch. Regisseur Johannes Grieser hat das klar und hart inszeniert, er verlässt sich darauf, dass der Fußtritt gegen einen Menschenkopf das Publikum mehr berührt als eine Pistolenkugel, die irgendwo im Mantelfutter verschwindet. Kein albernes Mörderraten, der Zuschauer weiß mehr als die Ermittler.

Ein Mann (Stefan Kurt), der zum Witwer wird. Ein Polizist (Wotan Wilke Möhring), der dabei zusieht, wie sein Leben zerbricht. Drei junge Schläger, deren Verlorenheit einer von ihnen in den schönen Satz packt: "Leck mich doch am Arsch, ich hab' 118 Freunde." Und über allem schwebend die Frage: Wie eng verwandt sind eigentlich die Begriffe Rache und Gerechtigkeit?

Gelegentlich rutscht aber doch diese drombuschhafte Befindlichkeitssprache in den Dialog. "Es gibt immer weniger Leute mit Zivilcourage, die meisten kucken einfach weg", sagt eine Frau. Und die beiden Ermittler versuchen dem Ganzen eine heitere Note unterzujubeln. Sie hängen den Erinnerungen an ihre verwehte Ehe nach, sie veranstalten Wortspiele mit dem überaus dämlichen Modebegriff "Bingo!". Martin Wuttke als Keppler bellt leise: "Auf ins sinnlose Gefecht." Er scheint sich damit abzufinden, dass er den inoffiziellen Titel "Kaputtester Kommissar" längst an Dortmunds Faber verloren hat.

Manchmal sind Saalfeld und Keppler wie damals Haferkamp und seine Ex Ingrid. Manchmal kippt dieser sehr aktuelle Tatort dann kurz und etwas schmerzhaft ins Sentimentale.

ARD, Sonntag, 20.15 Uhr.

Was sonst noch im TV läuft, sehen Sie hier:

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: