Studie zur Medienselbstkontrolle:Deutsche Journalisten sind wenig selbstkritisch

Sind deutsche Medienmacher Zimperlieschen? Eine Studie der TU Dortmund zeigt, wie Journalisten mit Kritik umgehen. Die Antworten im internationalen Vergleich überraschen.

Von Katharina Nickel

Wie selbstkritisch sind die deutschen Journalisten? Mit dieser Ausgangsfrage startete das Erich-Brost-Institut für internationalen Journalismus an der TU Dortmund 2011 eine Umfrage innerhalb der Branche. Dabei ging es vor allem um die Bedeutung, die deutsche Journalisten im europäischen Vergleich der Medienselbstregulierung beimessen. Die Ergebnisse wurden am Donnerstag in Berlin veröffentlicht.

Die TU befragte in einer Online-Erhebung in den Jahren 2011/2012 Journalisten aus zwölf europäischen und den zwei arabischen Ländern Jordanien und Tunesien. Die 1.682 Befragten aus den Bereichen Print, Rundfunk, Online und Agentur liefern mit ihren Aussagen überraschende Ergebnisse: Deutschland bildet im europäischen Vergleich das Schlusslicht in puncto Erfahrung mit Selbstkritik. Deutsche Journalisten sind zimperlich.

Obwohl die Journalisten regelmäßig Politiker, Manager und andere Entscheidungsträger in die Mangel nehmen, haben sie selbst kaum Erfahrung mit Kritik. Ein Drittel der deutschen Befragten kritisiert selbst nie oder fast nie Kollegen, umgekehrt werden zwei Drittel nie oder fast nie von Kollegen kritisiert. Auch andere Kritikinstanzen spielen der Studie nach eine Rolle für die Medienselbstkontrolle. So schätzen deutsche Journalisten den Einfluss von Presseräten oder Medienblogs als durchschnittlich ein. Damit stehen sie immerhin im europäischen Mittelfeld.

Deutsche Journalisten sehen sich stärker als "Gatekeeper"

Das Erich-Brost-Institut bezog sich auch auf den "Leveson Report", einen Bericht zu Praktiken und Ethik der Presse Großbritanniens. Er entstand aus der Leveson Inquiry, der Untersuchung im Zusammenhang mit den Telefonabhör-Aktivitäten durch die Medienhäuser von Rupert Murdoch im Frühjahr 2012. Sie wurde als News of the World-Skandal bekannt.

Der Report des britischen Richters Brian Leveson zeigte wesentliche Schwachpunkte in der britischen Medienselbstkontrolle und stellte Vorschläge zur Presseregulierung vor, allerdings moderater als erwartet. Unter anderem hätten Presse und Politiker zu eng zusammengearbeitet, die Korruption der Polizei sei nicht medienkritisch aufgearbeitet worden und das Presseverhalten allgemein wäre "empörend". "Journalisten müssen das Thema Selbstkontrolle endlich ernster nehmen. Der News of the World-Skandal in England hat gezeigt, welche dramatischen Folgen es hat, wenn das System der Selbstkontrolle versagt", so die Leiterin der Studie, Prof. Dr. Susanne Fengler.

Erste Instanz: das Gewissen

Den redaktionsinternen Leitlinien und Presse-Kodizes messen die Befragten noch die größte Verantwortung zu, wenn es um Selbstregulierung geht. So bewerten europäische Journalisten Medienverantwortung allgemein als positiv. Sie sei immerhin die Voraussetzung für Pressefreiheit. Doch traditionelle Instrumente wie Presseräte oder digitale wie Medienblogs sind für sie kaum entscheidend. Zwar schätzen sie die Publikumskritik via Facebook oder Twitter, trotzdem sehen sich deutsche Journalisten, laut Studie, noch stärker als in anderen Ländern als "Gatekeeper": Die Antwortmöglichkeit, Redaktionen sollten Nutzern die Möglichkeit geben, online an der Produktion von Geschichten mitzuwirken, fand nur schwache Resonanz. Sie fühlen sich sogar häufiger ihren Quellen anstatt ihrem Publikum gegenüber in der Verantwortung. Als erste Instanz nannten alle Befragten ihr Gewissen.

Warnsignal Journalistenausbildung

Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass in Deutschland unterschiedliche Kulturen der Medienverantwortung herrschen. Der Arbeitgeber spielt offenbar eine große Rolle dabei: So ist für deutsche Journalisten bei Printmedien, Agenturen und öffentlich-rechtlichen Sendern die Medienselbstkontrolle wichtiger als für private Konkurrenten.

Laut Studie fehlt es an Lob aus der Redaktion, an mäßig geförderten Debatten mit den Lesern durch das Management und noch ausbaufähiger Ausbildung. Die Situation von Journalistik-Studiengängen wie in Leipzig bewertet die Branche als Warnsignal. Dort stand die Ausbildung von Redakteuren 2011 kurz vor dem Aus, weil PR-Professoren ihren Fachbereich ausweiten wollten.

Wenn vor allem deutsche Medienmacher die Selbstkontrolle als durchschnittlich bedeutungsvoll ansehen, wie kann man das ändern? Während die Studie zum einen die Mängel in Redaktionen aufzeigt, stellt sie zum anderen Lösungsansätze vor. Gefragt seien nach dieser Bilanz nun Medienhäuser und Chefredakteure. Sie sollten Sanktionen verhängen, wo Selbstkontrolle nicht ernstgenommen wird, so die Studie. Das Erich-Brost-Institut fordert mehr Transparenz in den Verlagen, denn die "Menschen vertrauen eher solchen Medien, die Korrekturen und Entschuldigungen veröffentlichen". Diese Antwortmöglichkeit erhielt unter deutschen Journalisten die meiste Zustimmung im europäischen Vergleich.

Ebenso große Zustimmung erhielt der Vorschlag, dass Medienhäuser ihre Eigentümerstrukturen und auch politische Verbindungen offenlegen sollten. Süd- und osteuropäische sowie arabische Journalisten sehen das allerdings anders. Die Studie begründet dies mit der Vermutung, dass sich dort zahlreiche Medien in Staatshand oder im Besitz politischer Bewegungen befänden.

Zur Frage, ob sich der Staat in Medienangelegenheiten einmischen soll, machen sich deutsche Journalisten im europäischen Vergleich die meisten Sorgen. Das resultiere, so die Studie, noch aus der Zeit der NS- und der DDR-Regime, die Medien für ihre Zwecke missbrauchten.

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