Samuel Koch bei Günther Jauch:"Ich kann ja nicht einmal meine Hände bewegen"

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Millionen Zuschauer verfolgten bei "Wetten, dass ..?" live den tragischen Unfall von Samuel Koch. Bei Günther Jauch sprechen er und andere über das Leben im Rollstuhl, den Glauben und Selbstmordgedanken. Doch wichtige Fragen werden nur angetippt.

Christopher Pramstaller

Samuel Koch hatte einen genauen Plan davon, wie der Abend des 4. Dezember 2010 für ihn ablaufen sollte. Mit Sprungstelzen wollte der damals 23-jährige Rheinland-Pfälzer fünf auf ihn zufahrende Autos überspringen. Der Ausgang des waghalsigen Unterfangens in Thomas Gottschalks 192. "Wetten, dass..?"-Ausgabe ist bekannt.

Beim Sprungversuch über das vierte Auto, einen von seinem Vater gesteuerten Audi A8, scheitert Samuel Koch. Er rollt sich zum Salto, touchiert die Windschutzscheibe, verliert die Kontrolle und prallt auf den Hallenboden. Der junge Mann bleibt liegen - regungslos. Millionen Fernsehzuschauer sind live dabei, als Koch verunglückt. Sie sehen mit an, wie er sich so schwer verletzt, dass er für den Rest seines Lebens vom Hals abwärts querschnittsgelähmt sein soll.

Es folgte eine Debatte über die Sensationsgier der Fernsehmacher und darüber, ob ohne Run auf die Quote all dies nicht geschehen wäre. Die Medien informieren anhaltend über den aktuellen Gesundheitszustand aus dem Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil. Verbessert hat sich nur wenig. Immerhin kann Koch selbständig atmen, mit Bewegungen seiner Schulter seinen Rollstuhl steuern - und reden.

Nun, gut eineinhalb Jahre später, sitzt dieser Samuel Koch im Schöneberger Gasometer neben Günther Jauch im Rollstuhl. Die blonden Haare akkurat gescheitelt, graues Hemd, schwarze Krawatte. Neben ihm seine Schwester Rebecca und Vater Christoph. "Schicksalsschläge - Samuel Kochs zweites Leben" heißt das Thema, über das Günther Jauch mit den Kochs, dem Mediziner Maximilian Keil, Nikolaus Schneider, dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland und dem ehemaligen MDR-Intendanten Udo Reiter spricht, der seit einem Autounfall in den sechziger Jahren querschnittsgelähmt ist.

Dort, wo am Sonntagabend bei Sabine Christiansen, Anne Will und auch bei Günther Jauch über Jahre hinweg stets Politik oder Gesellschaft im Mittelpunkt standen, geht es heute um das Schicksal eines Einzelnen. Per se kein schlechter Ansatz, den Günther Jauch gewählt hat. Schon lange sind die Zuschauer müde, Politikern dabei zuzusehen, wie sie mit Plattitüden Parteipolitik betreiben, ohne in den Diskussionen Stellung zu beziehen. Geklärt wird an dieser Stelle meist ohnehin nichts. Zu viel Show und Talk statt ernsthafter Auseinandersetzung.

Ein Einzelschicksal hat das Potential, die Agenda auf die menschliche Ebene zurückzuholen. Im Fall Samuel Koch hätte diese heißen können: Welche Hürden baut unsere Gesellschaft für Querschnittsgelähmte auf? Wieso werden Querschnittsgelähmte so oft allzu früh in Rente geschickt? Verändert ein Film wie "Ziemlich beste Freunde", den alleine in Deutschland 7,5 Millionen Zuschauer in den Kinos gesehen haben, unser Bild des Schicksals im Rollstuhl?

Doch Jauch, der bei RTL in knapp zwei Jahrzehnten 953 Mal "Stern TV" moderierte und dort gerade mit der Schilderung von Einzelschicksalen Quote gemacht hat, nutzt die Chance nicht. Statt Agenda gibt es Betroffenheit, statt Inhalten nur Emotionen. Es mag für den Einzelnen von Interesse sein, wie sich Samuel Koch gerade fühlt, wie seine Heilung voranschreitet und welche Ängste und Hoffnungen er für seine Zukunft hat - er fühlt sich relativ wohl, langsam geht es voran, er kämpft, so gut es geht.

Doch wer darüber genau informiert sein will, der kann auch seine am heutigen Montag erscheinende Biografie zur Hand nehmen (die Bild-Zeitung hatte in der vergangenen Woche an drei aufeinanderfolgenden Tagen mit Vorabdrucken die PR-Maschinerie bedient). Wirklich wichtig sind knapp eineinhalb Jahre nach Samuel Kochs Unfall andere Fragen. Fragen mit gesellschaftlicher Relevanz. Diese werden bei Jauch jedoch kaum in die Runde geworfen.

Akkurat frisiert, graues Hemd, schwarze Krawatte: Der querschnittsgelähmte Samuel Koch (links) bei Günther Jauch. (Foto: dpa)

Nachdem die Rolle des Glaubens bei der Bewältigung von Schicksalsschlägen (Schneider: "Du sollst Gott fürchten und lieben"), Selbstmordgedanken (Reiter: "Ich hatte mir schon eine Smith&Wesson 38er Spezial besorgt"; darauf Koch: "Ich kann ja nicht einmal meine Hände bewegen") und der Film "Ziemlich beste Freunde" (Reiter: "verzuckerter Gelähmten-Kitsch") durchgesprochen sind, dauert es bis fünf Minuten vor Sendungsende, bis Jauch die Situation von Querschnittsgelähmten hierzulande thematisiert. Und diese fünf Minuten bringen mehr Fakten als der Rest der Stunde.

Denn wenn der Mediziner Maximilian Keil finanzielle Zuständigkeiten anführt, die dazu führen, dass Querschnittsgelähmte frühverrentet werden, ist das durchaus skandalös. Krankenkassen würden allzu oft negative Erwerbsprognosen stellen, damit die Rentenversicherung in der Pflicht stehe und der Fall nicht mehr die Bücher der Krankenkassen belaste. Oder auch wenn er mitteilt, dass der Rotstift so radikal angesetzt wird, dass für viele Querschnittsgelähmte nicht einmal mehr die Treppenhilfen bereitgestellt werden. Udo Reiter stellt fest: "Die finanzielle Situation ist entscheidend für das Leben im Rollstuhl."

Der Unfall von Samuel Koch hat auch nach mehr als einem Jahr nichts von seiner Tragik verloren. Es ist schwer mitanzusehen, wie der junge Mann sich mit brüchiger Stimme den Fragen der Öffentlichkeit stellt, die ständig an seinem Heilungsprozess Anteil nimmt, jedoch immer nur mit guten Neuigkeiten gefüttert werden will. Doch es stellt sich im selben Moment die Frage, welchen Grund es gibt, Samuel Koch einem Fernsehpublikum vorzuführen, das die Verantwortung für seinen heutigen Zustand mitträgt. Eine Frage, die sich sowohl die Redaktion Günther Jauchs als auch Samuel Koch selbst stellen müssen.

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