Prozess Ottfried Fischer gegen "Bild":Im Ring

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Der Streit zwischen Ottfried Fischer und der "Bild"-Zeitung geht in die vierte Runde. (Foto: dpa)

Der Prozess um Ottfried Fischer gegen die "Bild"-Zeitung geht in die vierte Runde. Der Springer-Verlag argumentiert mit Pressefreiheit, der Kabarettist fürchtet "Erpresserfreiheit". Nun greift überraschend Ex-Verfassungsrichter Hassemer ein.

Von Hans Leyendecker

Im Boxsport ist die 4 mehr als nur eine Zahl. Amateure stehen bis zu drei Runden im Ring, Profikämpfe aber werden in der Regel auf vier bis zwölf Runden angesetzt. In Runde vier kann man schon erkennen, wem bald die Puste ausgehen wird. Manchmal ist dann auch Schluss; beispielsweise durch Technischen Knockout.

In die vierte Runde geht von Dienstag an vor dem Landgericht München ein Rechtsstreit, dessen Ausgang nicht nur für den Boulevardjournalismus Bedeutung haben kann. Angeklagt ist ein Bild-Journalist wegen "Nötigung u.a.", der mit zweifelhaften Methoden an Geschichten über den Schauspieler und Kabarettisten Ottfried Fischer gekommen sein soll. Der Bulle von Tölz (160 Kilogramm) hatte danach den Journalisten angezeigt. Fischer kämpft. Bild kämpft.

Er wolle verhindern, dass die "Pressefreiheit zur Erpresserfreiheit" verkomme, hat Fischer in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung gesagt. Dem Springer-Verlag, der als erfahrener Sekundant des Journalisten auftritt, geht es auch um nicht weniger als die Pressefreiheit. Recherchearbeit dürfe nicht kriminalisiert werden hatte Bild in eigener Sache gemeint.

Es geht um Geld und Dreck und die Klatschpresse

In diese Auseinandersetzung, die schon das Münchner Amtsgericht, das Landgericht und das Oberlandesgericht beschäftigt hat, greift jetzt der frühere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer, ein. Er hat für den Springer-Verlag "nach bestem Wissen und Gewissen", wie er schreibt, ein Rechtsgutachten "zum Gegenstand Strafbarkeit von Journalisten und Pressefreiheit" gefertigt, das den Bild-Journalisten in allen Punkten freispricht. Hassemer beklagt, dass die "verfassungsrechtliche Argumentation in diesem Verfahren bislang unterbelichtet geblieben" sei; er hält den Bild-Mann sogar für einen "sorgfaltsgemäß handelnden Journalisten".

Eigentlich geht es um Geld und Dreck und die vielfältige Bedeutung des alten Begriffs der Klatschpresse.

Im Herbst 2009 hatte Bild auf der Titelseite geschlagzeilt: "Otti Fischer Ärger mit vier Liebes-Mädchen" und im Innern fragte das Blatt: "Haben 4 Huren Otto Fischer um 32 000 Euro betrogen?" Anschließend soll sich der Bild-Redakteur bei Fischers Agentin gemeldet haben. Er soll gesagt haben, ihm sei ein kompromittierender Film zugespielt worden, der Fischer mit den Huren zeige. Die Agentin überredete den Schauspieler, exklusiv mit Bild über die Affäre zu reden. Falls der Schmuddelfilm irgendwo veröffentlicht werde, wäre Fischers Karriere schwer ramponiert. Er könne einen Werbevertrag verlieren und "sicher auch den Pfarrer Braun", teilte sie dem Schauspieler in einem Fax mit.

Nach Fischers Erinnerung soll sie ihm damals gesagt haben: "Das Video gibts". Die "haben drei Artikel über dich im Ofen. Die werden die Geschichte bringen - es sei denn, du kooperierst mit ihnen". Der Schauspieler ließ sich darauf ein. Das Exklusiv-Interview geriet zum peinlichen Seelen-Striptease, in dem der an Parkinson erkrankte Fischer von seinem "sündigen Treiben" berichtete: "Die Huren nutzten meine Krankheit aus" lautete die Schlagzeile. Viele haben sich damals gewundert, warum Fischer sich so etwas antat. Er kündigte dann der Agentin und begann seinen Kampf gegen Bild.

Ein Münchner Amtsrichter verurteilte den Reporter unter anderem wegen Nötigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 14 400 Euro (180 Tagessätze a 80 Euro); er wäre damit vorbestraft. Das Gericht ging von einer "konkludenten Bedrohung" aus.

Das Landgericht sprach den Reporter in zweiter Instanz klar frei und der für Revisionen zuständige 5. Senat des Münchner Oberlandesgerichts (OLG) hat dann dieses Urteil aufgehoben. "Widersprüchlich und lückenhaft" sei der Freispruch des Journalisten zustande gekommen. Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer wichtigen Zeugin und die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben sei "unvollständig und somit rechtsfehlerhaft erfolgt". Die Urteilsbegründung sei lückenhaft gewesen, es sei jedenfalls nicht auszuschließen, dass der Freispruch "auf den aufgezeigten Rechtsfehlern" beruhe. Eine andere Strafkammer des Landgerichts müsse über den Fall entscheiden. Eine Klatsche für die mit dem Fall betrauten Richter am Landgericht.

Hassemer - ein Schwergewicht der Rechtspflege

Dem Revisionssenat des OLG, der sein vernichtendes Urteil im April dieses Jahres über 15 Seiten aufführte, stand übrigens Manfred Götzl vor, der im kommenden Jahr als Vorsitzender Richter des Staatsschutzsenates über Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer und Unterstützer der Terrorvereinigung NSU zu Gericht sitzen wird.

Götzls Senat ging auch auf den Konflikt Pressefreiheit und Persönlichkeitsrecht ein. Es komme darauf an, ob die Presse "eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen" erörtere oder ob sie "lediglich die Neugier der Leser nach privaten Angelegenheiten prominenter Personen" befriedige. Der "höchstpersönliche Lebensbereich" sei dabei "grundsätzlich jeglicher Abwägung zwischen den Interessen der Allgemeinheit und dem Schutzinteresse des Einzelnen entzogen". Ausnahmen seien "kaum denkbar" und was nicht veröffentlicht werden dürfe, weil es zu diesem Kernbereich gehöre, sei "auch der Recherche entzogen".

Der von Springer beauftragte Gutachter Hassemer, ein Schwergewicht der Rechtspflege, kommt zu einem anderen Ergebnis. "Anders als das Revisionsgericht insinuiert", schrieb er, sei der Bereich der Sexualität nicht grundsätzlich einer Berichterstattung entzogen. Hassemer verwies dabei auf Urteile des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts. Der ehemalige Vize des Bundesverfassungsgerichts zitiert zweimal dieselbe Stelle aus einem Interview Fischers mit dem Tagesspiegel: "Mich reizt die Tagespolitik nicht so sehr. Mich interessiert mehr das Allgemeine, die Moral hinter dem Ganzen. Ich finde es wichtig, wieder eine Moral zu haben".

Auch dieses Zitat, so Hassemer, hätte "fraglos eine Veröffentlichung der Videoaufnahme" durch den Bild-Mann nicht gerechtfertigt. Aber der Journalist sei "sehr wohl befugt" und "sogar gehalten" gewesen, im Vorfeld zu recherchieren. Dazu gehörte dann auch die Beschaffung des Videos. Aus Sicht des ehemaligen Bundesverfassungsrichters war es sogar die "Pflicht" des Journalisten, früh zu recherchieren. Er sei "mit einer Problem-Situation konfrontiert" worden, die er "weder geschaffen noch beeinflusst habe".

Der angeklagte Bild-Mann, der das Blatt verließ, wiederkam und jetzt Ressortleiter ist, hatte das Video und anderes Material von Leuten aus dem Milieu für 3500 Euro einschließlich Auflagenerstattung gekauft. Sie hatten es angeboten. Für Hassemer war das "Informationshonorar zu Recherchezwecken". Die Summe sei "wohl branchenüblich", schreibt er, jedenfalls sei sie "nicht überhöht". Gehört man eigentlich noch zur Branche, wenn man nie Informationshonorar zahlt?

In der Branche ehemaliger höchster Richter ist es üblich geworden, dass sie nach dem Ausscheiden aus dem Amt Gutachten verfassen - zum Glücksspiel, zur Tagesschau-App, zu Problemen von Sat 1. Sie können sich dabei nicht nur auf ihre juristisches Können, sondern auch auf die Autorität des Amtes verlassen, das sie innehatten.

Hassemer hat dem Senat des Bundesverfassungsgerichts, der sich mit Pressesachen und dem Artikel 5 des Grundgesetzes befasst, der die Pressefreiheit regelt und "Artikel-5-Senat" genannt wird, nicht angehört. Eine mögliche Interessenkollision liegt also nicht vor. Der von der Axel Springer AG in den Ring entsandte Jurist langt sehr heftig zu: Eine strafrechtliche Verurteilung des Bild-Mannes wäre aus seiner Sicht ein "direkter und schwer wiegender Eingriff" in Artikel 5 des Grundgesetzes. Daran sei "nichts zu problematisieren und nichts weiter zu erklären".

Das Weitere wird Sache eines ordentlichen Gerichtes sein und nach vier Runden ist oft noch nicht Schluss.

© SZ vom 17.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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