Peer Steinbrück bei Anne Will:Papst? Lieber Trainer beim BVB

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Klartext mit Peer Steinbrück: Der SPD-Kanzlerkandidat bei einer Rede in Kiel

(Foto: dpa)

Peer Steinbrück ist zwar nicht der Papst, doch beichten kann er auch: Bei Anne Will spricht der Kanzlerkandidat über die eigenen Fettnäpfchen und versucht, die Agenda 2010 mit dem Kurswechsel der aktuellen SPD zu versöhnen. Seine Glaubwürdigkeit? Eine Glaubensfrage.

Von Johannes Kuhn

Spätabends, als die römisch-katholische Bilderflut längst in der x-ten Wiederholung verebbt, darf der norddeutsche Protestant dann doch noch das Wort an die TV-Gemeinde richten. Doch zum Stellvertreter Jesu fühlt der Mann sich nicht berufen, er hat schon damit zu kämpfen, als würdiger Vertreter der deutschen Sozialdemokratie akzeptiert zu werden.

Peer Steinbrück ist bei Anne Will zu Gast, und dass der SPD-Kanzlerkandidat an diesem Abend nur eine Randfigur ist, hätte mancher Genosse noch vor kurzem als Geschenk des Himmels betrachtet - immerhin drohte bei Steinbrück immer akuter Fettnäpfchen-Alarm. Und heute? Die ersten Fragen pariert der Kandidat problemlos. Wie wäre es denn mit Peer als Papst, fragt Anne Will. "Dann lieber Trainer bei Borussia Dortmund", antwortet der Kandidat lächelnd. Gerne hätte man gehört, was Steinbrück zu einem Papst zu sagen hat, der den Spitzenkandidaten in sozialen Fragen locker links überholt. Einzig: Die Sendung wurde bereits am Nachmittag aufgezeichnet.

Doch auch abseits des Themas des Tages bringt das Gespräch durchaus Erkenntnisse. Gibt Steinbrück zu Beginn noch verklausuliert zu, dass seine Kandidatur ohne den Machtwechsel in Niedersachsen ziemlich gewackelt hätte, pirscht sich Will forsch und listig vor zum Kern des Steinbrück'schen Dilemmas - der Fragen nach Haltung und Glaubwürdigkeit.

Umstrittene Aussagen hochgespielt

Der Dialog wird dabei zwischenzeitlich zu einer Mischung aus Selbstverteidigung und Beichte. Seine umstrittenen Aussagen rund um Frauenbonus und Sparkassenchef-Gehälter seien zwar hochgespielt worden, ihm seien aber auch "Bilder verrutscht", gibt Steinbrück zu. Zudem habe er nicht registriert, dass seine Aussagen "auf der Folie des Kanzlerkandidaten gespiegelt werden". Kampagnenstrategie Versuch und Irrtum also? Die Kür zum Kanzlerkandidaten, so lässt Steinbrück deutlich erkennen, habe ihn unvorbereitet getroffen. "Auch wenn die SPD es später zur Strategie erklärt hat, war es das nicht."

Und wie ist es mit der Haltung zu Hartz IV, der klassischen Glaubensfrage der Sozialdemokratie? "Stolz" sei er auf die Agenda 2010, erklärt Steinbrück, "Schröders Prinzip Fordern und Fördern habe ich immer weiter vertreten." Um dann im nächsten Satz einzulenken: Man habe mit den Gesetzen allerdings auch Lohndumping und Leiharbeit Tür und Tor geöffnet, aber das werde er ja als Bundeskanzler ändern. "Wenn man diese Korrekturen für links hält, dann habe ich nichts dagegen."

Wie groß das Dilemma dieser Form der Dafür-und-dagegen-Politik für ihn und seine Partei sei, hakt Will nach. "Ich sehe darin kein Problem", sagt Steinbrück entschlossen. Die Tatsache, dass er gerade bei dieser Aussage besonders glaubhaft wirkt, lässt erkennen, warum mancher Genosse nicht weiß, ob er dem Kandidaten eine klare Haltung oder schlichte Sturheit attestieren soll.

Es ist nicht das einzige Dilemma ihres Gastes, das Anne Will aufzeigt. Die meisten davon kann er souverän auflösen: In einem Einspielfilm beschreiben eine Friseurin, ein Bäcker und ein Landwirt die ruinösen Folgen eines Mindestlohnes für ihre Kleinunternehmen. Die Tücke ist, dass ein Politiker solche an persönliche Schicksale geknüpfte Aussagen schwer widerlegen, sondern nur seine Position erklären kann. Das gelingt dem SPD-Mann: "Alle Menschen, die Vollzeit arbeiten, sollen auch davon leben können", proklamiert er. Das ein oder andere Produkt steige dann eben im Preis.

Steinbrück sichtlich genervt bei Nachfragen

Ähnlich gelassen reagiert er auf die etwas lieblos zusammengesammelte Einspieler-Kritik des traditionell schwarz-gelb angehauchten Bundes der Steuerzahler ("Das war ja ein sehr neutraler Beitrag") und der des Neoliberalen Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (Steinbrück zu Will: "Wir müssen in dieser Sendung ja nicht willkürlich sein"). Selbst für die Tatsache, dass er im Aufsichtsrat von Borussia Dortmund sitzt und mit einem Schal des Erzrivalen Schalke fotografiert wurde, kann er erklären ("Das Bild entstand vor zehn Jahren, als ich Ministerpräsident war") und hat sogar noch etwas Trost übrig, als Anne Will ihre Mitgliedschaft beim 1. FC Köln beichtet: "Das tut mir leid", entgegnet Steinbrück mit ironischem Mitleid.

Mit solcher Souveränität ist es allerdings vorbei, als es um die Steuerpläne der SPD geht. Wie bereits bei der Vorstellung des vorläufigen Wahlprogramms vor wenigen Tagen bleibt Steinbrück vage, was denn genau hinter der Floskel "einige Steuern für einige erhöhen" steckt. Jahreseinkommen von etwa 100.000 Euro und 200.000 bei Ehepartnern würden höher besteuert, "darunter wird man sehen", sagt Steinbrück und reagiert sichtlich genervt auf Nachfragen: Genauer werde er das erst als Kanzler erläutern, von den anderen Parteien "kriegen Sie ja auch nichts Konkretes". Da Steinbrück der Rorschach-Test der Berliner Republik ist, kann man diese Aussage als Ehrlichkeit, aber auch als Aufruf zum Kauf der Katze im Sack interpretieren.

Dass der knapp 75-minütige Auftritt dennoch harmonisch endet, hat auch mit den Ereignissen in Rom zu tun. Zum Ende der Aufzeichnung wird bekannt, dass weißer Rauch aus dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle aufsteigt. Damit sei der Papst-Job nun endgültig weg, witzelt Moderatorin Will. Steinbrücks Antwort: "Wenn dann am 22. September weißer Rauch über dem Willy-Brandt-Haus aufsteigt ..."

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