Online-Strategie des "Economist":"Wir können uns nicht verschenken"

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Die Entscheidung für eine Bezahlschranke im Netz sei "ganz leicht" gewesen, sagen sie: Das Wochenmagazin "The Economist" ist im Web erfolgreich - obwohl es das Gegenteil von dem tut, was alle machen.

Bernd Graff

Es ist eine Erfolgsgeschichte, das ja, aber sie macht stutzig. Die britische Wochenzeitschrift The Economist, 1843 gegründet mit Sitz im Londoner Stadtteil St. James, tut das, was man von einem guten, durch und durch liberalen Magazin verlangen kann: Es macht guten, verlässlichen Journalismus. Fein. Aber seit 1843 hat sich einiges getan. Moden und Geschmäcker wandelten sich. Nicht aber The Economist. Der machte einfach immer weiter. Mit wachsender Auflage.

Der schlimmste Einschnitt war der Eintritt der Medienlandschaft ins digitale Zeitalter. Geschäftsmodelle wechselten, mussten wechseln, die Menge an Information, die man dem Globus zumutet, wuchs ins Unfassbare. Für die Medienhäuser begann das Umdenken. Auflagen stagnieren oder sinken, Anzeigen verschwinden ins Internet, Abozahlen gehen zurück. Klar, die Medienhäuser sind im Web vertreten, keines, das sich da zurückgehalten hätte. Doch hier läuft der Hase anders. Die Anzeigenerlöse sind bedeutend geringer - und journalistische Inhalte werden verschenkt. Was aber macht in dieser Situation The Economist? Genau das, was er seit 1843 macht: Er verkauft seine Inhalte. Auch im Netz. Immer erfolgreicher. Wie bitte?

Yvonne Ossman ist Publisher von The Economist EMEA (Europe and Middle East Asia), denn der englischsprachige Economist verkauft sich weltweit, es ist immer dieselbe Ausgabe - in Sydney, New York und Stockholm. Nein, es sei "überhaupt keine schwierige Entscheidung" gewesen, antwortet sie auf die Frage, ob der Beschluss, den Economist-Journalismus hinter einer Pay-Wall im Web verschwinden zu lassen, intern als riskant eingeschätzt und kontrovers diskutiert wurde.

Für Netzverhältnisse geradezu spartanische Aufmachung

"Wir haben klar gesagt: Für Inhalt muss bezahlt werden. Unsere Arbeit hat eine bestimmte Marke entstehen lassen, und sie hat ihren Wert. Wir können uns nicht verschenken. Die Frage dann aber ist, was ist unsere Erfolgsaussicht? Wenn alle Alternativen mit einem Klick weiter kostenlos erhältlich sind? Die Antwort: Wir verändern überhaupt nichts an unserem Angebot, wir wollen im Netz keine tagesaktuellen Nachrichten bringen, solche Anbieter gibt es mehr als genug, sondern nur das, was im Economist auch gedruckt ist: Unsere Ideen und Meinungen."

So seien mehr als 70 Prozent der Nutzer Abonnenten des Print-Produktes, man gewährt ihnen automatisch Zugriff auf die Inhalte im Netz. Man habe eine Online-Community für Leser geschaffen, einen Debattierraum, den auch die Economist-Redakteure betreten, die anders als im Heft hier namentlich genannt werden.

Ansonsten sind die Inhalte von Print und Online identisch - mit einer für Netzverhältnisse geradezu spartanischen Aufmachung: was gedruckt ist, wird in fast demselben Layout ins Netz übernommen. Natürlich kann man damit keine riesigen Klickzahlen erwarten: Etwas mehr als 30 Millionen Page Impressions sind es im Monat. Das ist für ein englischsprachiges Angebot, das weltweit gelesen werden kann, bescheiden. "Wir verkaufen unseren Inhalt", sagt Ossman. "Ob uns jemand als Print-Titel liest, im Web oder zunehmend auch auf Tablet-PCs, iPads und Smartphones: Wir wollen gelesen werden. Egal, in welchem Medium."

Es zeichnen sich zwei Tendenzen ab

Darum kostet ein reines Online-Abo des Economist genauso viel wie ein Print-Abo. Und man glaubt es kaum, auch das wird erfolgreicher. Bei einer Auflage - und tatsächlich zählen die reinen Online-Abos offiziell in die Auflagenzahl hinein, da sie ja zu demselben Preis verkauft werden - von 1,55 Millionen weltweit nutzen mittlerweile an die 100 000 Leser nur das Online-Angebot, die Hälfte aller Leser liest sowohl Print als auch digital mit der Economist-App für Tablet-PCs.

Es zeichnen sich zwei Tendenzen ab: Die Einzelverkäufe an den Kiosken sinken, das ja, die Digital-Abos aber steigen, und zwar so, dass sie den Malus im Einzelverkauf mehr als wettmachen. Fast eine halbe Milliarde Euro setzt die Economist-Gruppe mittlerweile im Jahr um.

Mit einem inhaltlich völlig unveränderten Konzept, mit dem reinen Economist-Konzept also, wollen sich die Londoner verstärkt in Deutschland engagieren. 80.000 neue Leser hierzulande wären nett, finden sie. Eine Deutschland-Ausgabe wird es nicht geben, aber Werbe-Aktionen, die hyperlocal genannt werden: in Hamburg wird anders getrommelt als in Berlin. Doch überall will man die lesenden Menschen dort erreichen, wo sie normalerweise nicht lesen. Darum bedruckte man Kaffeebecher in Berlin - nicht mit Logos und kessen Slogans, sondern mit Texten aus der Economist-Redaktion. In Hamburg setzte man auf kreativ minimalistische Plakate. Für München - übt man noch.

© SZ vom 09.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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