Neue Sendung von Guido Knopp:Geschichte aus der Gruft

Guido Knopp mit neuer Sendung "History Live" auf Phoenix

Der frühere ZDF-Chefhistoriker Guido Knopp ist zurück. Die neue Sendung "History live" läuft sonntags auf Phoenix.

(Foto: dpa)

Guido Knopp hatte sich eigentlich in den Fernsehruhestand verabschiedet. Seit Sonntag ist er aber wieder da, mit der Live-Diskussion "History live" auf Phoenix. Es geht natürlich wieder um Historisches. Vor allem aber geht die Sendung daneben.

Von Gustav Seibt

Auch auf Phoenix war der Presseclub, der sich mit den verstörenden Enthüllungen über amerikanische Lauschprogramme gegen befreundete Regierungen befasst hatte, erst ein paar Minuten vorbei, als Guido Knopp, der in Ruhestand gegangene Oberhistoriker des ZDF, zum ersten Mal sein neues Sendeformat vorstellte: History live, ein Gespräch unter vier Herren zu einem, nun ja, mehr oder weniger aktuellen Thema aus den Weiten der Geschichte.

Wie es zuweilen so geht in der Weltgeschichte: Die Dinge entwickeln sich überraschend, und manche Aktualität wird sogar noch aktueller als in der Programmplanung gedacht. Die Programmplanung hatte das Zusammentreffen von Obamas Berlin-Besuch mit dem 50. Jubiläum von John F. Kennedys "Ich bin ein Berliner"-Rede zum Anlass genommen, eine geschlagene Stunde über die USA als den "fremden Freund" der Deutschen, ja über "die USA und wir" anzusetzen. Vertane Chance! Es dauerte ganze 53 Minuten, bis die aktuellen Zerwürfnisse - Guido Knopp, der immer gern "nur Stichworte" nennt, hatte "Drohnen, NSA, Prism" gesagt - überhaupt erwähnt wurden.

Michael Stürmer, der aus uralten Helmut-Kohl-Zeiten stammende Weltpolitik-Analytiker und Knopps redseligster Gast zu dieser Mittagsstunde, hatte freilich nur Spott für allfällige Aufgeregtheit übrig. Das sei doch alles ein offenes Geheimnis gewesen: "Wer glaubt, dass es ein Telefongeheimnis gibt, der glaubt an den Weihnachtsmann."

Hö, hö - einverständiges Gelächter auch vom amerikanischen Kollegen Bryan van Sweringen, der, ebenso weißhaarig wie Stürmer, nun schon 53 Minuten lang differenzierend zugestimmt hatte. Die Miene des Sozialpsychologen Harald Welzer, dem in der Runde die Nebenrolle des Wahrnehmungshistorikers zufiel, war in dem Augenblick leider nicht zu sehen.

Kein Kampfgeist, dafür Gründerzeitdekos

Seit Marcel Reich-Ranicki 1988 höchst ungern in den FAZ-Ruhestand ging, fällt Ruheständlern, denen gar nichts mehr einfällt, ein, sie könnten irgendwo ein Quartett machen. Eine wilde erste Geige, eine bedächtige zweite Geige, ein brummender Bass und eine freche Bratsche - irgendwie so müsste es funktionieren, und bei Reich-Ranicki hat es funktioniert. Bei Knopp hat es nicht funktioniert.

Vielleicht, weil zwar an diesem Sonntag live gesendet wurde aus Clärchens Ballhaus in Berlin, aber ohne Publikum. Es kam kein Kampfgeist auf. Eigentlich sah man eine abgefilmte Radiostudio-Sendung mit gelegentlichen Kameraschwenks zu gruftig beleuchteten Gründerzeitdekors. History findet bei gedimmtem Licht statt, da bleibt Knopp sich treu

Mittagsschlaf der Geschichte

Das Interessanteste der Sendung war der Einspieler, ein Lehrfilm für amerikanische Soldaten 1945, der vor den Deutschen warnte und Fraternisierung verbot. Wie da bestes Nazi-Propaganda-Material gegen die Urheber, die möglicherweise nur scheinbar geschlagene Herrenrasse, gewendet wurde, das war beeindruckend. Denn es zeigte die andere Möglichkeit, die nach dem Zweiten Weltkrieg von vielen immer noch erwartet wurde: ein Deutschland, das unbelehrbar bleibt und auf Dauer niedergehalten werden muss.

Dass und warum es anders kam, wurde dann vom aufmunternd über die Halbbrille blickenden Knopp und seiner kleinen Seminargruppe überraschungsarm abgearbeitet: Eiserner Vorhang, Fräuleinwunder, Kalter Krieg, Luftbrücke nach Berlin, Mauerbau, Mauerfall, Wiedervereinigung, dann der tiefe Einbruch im Irak-Krieg von 2003.

Dass dieses deutsch-amerikanische Verhältnis interessanter sein könne als eine im Wesentlichen gut funktionierende Interessengemeinschaft, schien nur in wenigen Momenten auf: Michael Stürmer, der gut sein kann, wenn er als Historiker redet und nicht als Leitartikler, erwähnte, dass die USA als einzige Macht in der Welt schon die revolutionäre Paulskirchenregierung von 1848 anerkannt hatten; es gab eine lange zurückreichende amerikanische Sympathie für die deutsche Demokratie.

Retten konnte aber auch er die Plauderrunde nicht. Knopp und die Phoenix-Macher hatten "kontroverse Standpunkte" versprochen, History live solle "Geschichte erlebbar machen" und "junge Zuschauer für Zeitgeschichte begeistern". Das hier ließ sie in einen Mittagsschlaf versinken - die jungen wie die alten.

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