Moderator Jan Böhmermann:Quatsch mit Pose

Jan Böhmermann spielt bei ZDF kultur seine Rolle als cleverer Klassenkasper perfekt. Doch die Frage ist: Kommt da noch mehr? Wird er seinen klugen Krawall irgendwann mit mehr Substanz anreichern?

Cornelius Pollmer

Jan Böhmermann beim Deutschen Fernsehpreis 2012

Fernsehen machen, das zunächst einmal gut sein soll: Charlotte Roche (links) und Jan Böhmermann Anfang Oktober 2012 bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises in Köln. 

(Foto: dpa)

Roberto Blanco irrt durch den Hinterhof der Wachsfabrik in Köln Rodenkirchen. Er trägt einen grün-rot-blau-gelb-gestreiften Pulli, und er sieht darin ein bisschen so aus wie Krusty der Clown, der sich als Ernie aus der Sesamstraße verkleidet hat. Blanco ist spät dran, sein Blick entsetzt bis suchend: Wo, bitteschön, bin ich hier? Er ist am Set der Talksendung Roche & Böhmermann, aber was das für ihn bedeutet, das wird Blanco jetzt noch nicht erfahren, er muss in die Maske.

Dabei täte Blanco gut daran, die Einführung in die Sendung nicht zu verpassen. Der Hinweis, den er bekommen hat und demnach Roche & Böhmermann eine Talkshow sei, ist schon sehr unzulänglich. Eine Talkshow, das bedeutet im deutschen Fernsehen ja in aller Regel, dass ein paar Leute beieinandersitzen und jeder zehn Minuten bekommt, um in eigener Sache zu reden: über das Buch, das er geschrieben, die Beziehung, die er begonnen, die Krankheit, die er toll überwunden hat.

Eine Weile zuvor ist Jan Böhmermann singend durch den Hof gezogen, das Pumuckel-Lied: "Am liebsten macht er Schabernack . . ." Jetzt sitzen er und Charlotte Roche mit allen Gästen, die nicht Roberto Blanco sind, zusammen und erklären ihre Sendung. "Wir haben kein Oberthema. Wir sind gut vorbereitet, aber wir sind nicht eitel. Wenn ihr Fragen stellen wollt in der Sendung, macht einfach", sagt Böhmermann. Und: "Kann sein, dass einer von euch zwei Minuten bekommt und ein anderer 55." So weit die Chaostheorie.

In der Praxis ist es oft so, dass die fünf Gäste auf einem hohen Niveau fast egal sind. Auf einem hohen Niveau, weil sie oft herrlich zusammenprogrammiert sind: Wilson Gonzalez Ochsenknecht neben dem Grünen-Politiker Boris Palmer, Britt Hagedorn neben Piratin Marina Weisband, Micaela Schäfer neben dem hauptberuflichen Nichtraucher und Volksentscheider Sebastian Frankenberger.

Fast egal, weil sie auf Nebenrollen gebucht sind und es im Wesentlichen immer um die Moderatoren geht und deren fröhlichen Versuch, die eigene Sendung zu sabotieren. Als der Rapper Ferris MC zu Gast war, blickte er irgendwann komplett ratlos in die Runde und sagte, "nicht mal, wenn man dabei ist, kann man die Sendung ertragen".

Später, in der Nachbesprechung der Blanco-Ausgabe, wird Charlotte Roche sagen, die Einspieler zu den Gästen hätten die Sendung gestört. Jan Böhmermann wird darauf antworten: "Weil du dich für das Gespräch interessierst. Das ist der Grundfehler, Charlotte."

Dass die Sendung mal großartig, mal kaum zu ertragen, und manchmal beides zugleich ist, liegt wesentlich an Jan Böhmermann, 31. Er ist, bewusst und aus Prinzip, immer ein bisschen zu schnell, ein bisschen zu vorlaut, und immer ein bisschen drüber. Womöglich war er das schon immer. Als Böhmermann vor zehn Jahren bei Radio Bremen volontierte, ließen sie ihn irgendwann keine Nachrichten mehr sprechen, nach einer Meldung über den Nahostkonflikt war Schluss. Er sei einfach nicht in der Lage gewesen, einen Text so vorzulesen, ohne dass es irgendwie ironisch klang.

Aus so einem wird kein moderierender Omnibus wie Markus Lanz, aber es ist im Fernsehen noch nicht alles verloren, wenn jemand wie Jan Böhmermann dann trotzdem seine Plätze findet. Im Radio bestand sein Erfolg auch darin, mehrfach von Lukas Podolski wegen Parodierens desselben auf 1Live verklagt worden zu sein. Im Fernsehen verdiente er sich drei Jahre im Ensemble von Harald Schmidt, er drehte hervorragende Beiträge und gab als Sidekick die richtigen Stichworte. Einmal erzählte Böhmermann vom Dschungelcamp, von Micaela Schäfer und von ihrem Venushügel. Schmidt verwandelte: "Venushügel. Ist das nicht da, wo Genscher gewohnt hat?"

Und nun, bei Roche & Böhmermann, sitzt er als Chef-Einpeitscher im Darkroom der deutschen TV-Unterhaltung. Streng genommen ist das Format keine Talkshow, vielmehr die Dekonstruktion einer solchen, eine fortwährende Performance, geprägt von tiefer Verachtung für die Künstlichkeit des Fernsehens. Wenn Sahra Wagenknecht kurzfristig absagt, dann wird ihr Einspielfilm trotzdem gezeigt und die Absage zum Thema gemacht.

Blick auf das Fernsehen mit Abstand

Wenn sich im Publikum zwei Zivilkontrolleure der Bezirksregierung Köln versteckt haben, weil sich mal wieder jemand beschwert hat, dass Gäste in der Sendung rauchen dürfen, dann werden die Kontrolleure ausgerufen und freundlich begrüßt. Und als ob alles sowieso egal wäre, was es nicht ist, moderiert Böhmermann seine Co-Moderatorin mit den Worten an: "hier ist Wetten, dass..?, und das ist die bezaubernde Jenny Elvers-Elbertzhagen."

Oft zerschneidet er Gesprächsfäden und hantiert mit schmutzigem Besteck in offenen Wunden seiner Gäste. Das ist eine neue Farbe im Fernsehen, eine ziemlich grelle, ein anstrengender Kontrast. Als Zuschauer, sagt Böhmermann, finde er "diese Unangreifbarkeit und diese Unnahbarkeit von sogenannten TV-Personalities nicht zeitgemäß.

Ich will als Zuschauer keinen Fernsehmoderator haben, der mir allen Ernstes erzählt, dass er weiß, wie's funktioniert." Es sei selbst in seiner Sendung entlarvend, "wenn Du so richtig gestandene Fernsehfuzzis da sitzen hast, die dir ohne mit der Wimper zu zucken die Unwahrheit ins Gesicht lügen. Für die es das Schlimmste ist, das Gesicht zu verlieren. Und ich finde es sehr reizvoll, nicht nur trotzdem, sondern deswegen zu bestehen, und gerade weil man das zulässt."

Wie das funktionieren kann, deutet schon die Mail-Adresse der Sendung an: zdf@rocheundboehmermann.de Es ist eben nicht andersherum, ZDF kultur ist nur der ausstrahlende Sender eines autonomen Formats. Produziert wird Roche & Böhmermann von der Bild- und Tonfabrik, einer kleinen Firma von Studenten der Medienkunst, die meisten noch vor dem Diplom. "Wir schauen mit einem gewissen Abstand aufs Fernsehen, und der ist noch nicht mal angedichtet", sagt Philipp Käßbohrer, einer der beiden Produzenten.

Man sieht diesen Abstand sofort, wenn man den Blick von Käßbohrer abwendet, und das Set betrachtet. Die gestrig-schicken Sennheiser MD441-Mikrofone oder all die Sperrholz-Umbauten, die die hochmodernen Kameras alt und klobig aussehen lassen sollen. Die Titelmelodie der Sendung, die kein von Dieter Bohlen komponierter Jingle ist, sondern die Fuge in g-Moll von Bach. Das ganze Studio, das Kubricks War Room zitiert und von gehängten Molton-Decken in ein endloses Schwarz getaucht wird.

Man sieht den Wunsch, Fernsehen zu machen, dass zunächst einmal gut sein soll - und bei dem es nicht egal, aber nachrangig ist, ob es dann auch noch gut ankommt. Das bleibt nicht ohne Wirkung. Lustig und ärgerlich, wie ähnlich die Deko von Richard David Prechts neuer Talksendung jener von Roche & Böhmermann ist.

Schön, dass Käßbohrer und Schulz neulich einen Fernsehpreis für Roche & Böhmermann gewonnen haben. Reizvoll, dass Tele-5Geschäftsführer Kai Blasberg gerade sein Interesse an der Sendung deutlich gemacht hat. "Wenn ein besseres Angebot kommt, von irgendeinem anderen Sender, sind wir sofort weg", hatte Böhmermann zuvor gesagt. Und auf die Frage, welche Mail-Adresse ihm die liebste wäre: tele5@rocheundboehmermann.de.

Bei allem Quatsch und bei aller Ironie, mit der sich Jan Böhmermann erstaunlich konsequent panzert, weiß man da natürlich schon wieder nicht, wie ernst er das meint. Klar ist, dass die Show in der Version zdf@rocheundboehmermann.de mit großer Mühe hergestellt wird, leider aber auch mit kleinem Geld, und dafür wiederum mit beachtlicher Aufmerksamkeit und einer Quote weit über dem zugegeben marginalen Senderschnitt.

Das kann man als Jan Böhmermann von einer Seite betrachten und sagen: "Mich nervt nichts mehr, als zu sehen, dass sieben festangestellte Techniker, 30 Kameramänner und 50 öffentlich-rechtlich durchgefütterte Redakteure ein vermeintlich hippes Jugendmagazin im Hauptprogramm machen und sich absolut offensichtlich gar keine Mühe geben und überhaupt nicht mehr wissen, was das überhaupt heißt: sich Mühe geben."

Die Frage ist aber auch, nicht wie viel, sondern in welche Richtung sich Jan Böhmermann in Zukunft Mühe gibt. Wie lange es funktionieren kann, den Gag konsequent für wichtiger als den Inhalt zu erachten, und ob er einmal Lust haben wird, seinen klugen Krawall mit etwas mehr Substanz anzureichern. Oder ob er weiter das Lied vom Pumuckel pfeift, von dem man ja nicht nur weiß, dass er am liebsten Schabernack macht. Für ihn gilt ja leider auch, dass kaum einer ihn sehen kann.

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