Martin Sonneborn im Gespräch:"Ein Todesurteil gegen mich"

Politclown, Guerilla-Journalist oder Etikettenschwindler? Martin Sonneborn über naive Lobbyisten, Guido Westerwelle und die Vorwürfe des ZDF gegen den Satiriker.

Antje Hildebrandt

Seine Undercover-Filme sind eines der Aushängeschilder der heute-show im ZDF: Martin Sonneborn, 45, lockt Politiker und Normalbürger gerne in die Falle. Wegen eines Interviews mit einem Lobbyisten der Pharma-Industrie ist der ehemalige Chef des Satire-Magazins Titanic nun in die Kritik geraten. Es hieß, die ausgestrahlte Passage sei nicht autorisiert gewesen.

Martin Sonneborn

ZDF-Satiriker Martin Sonneborn im Gespräch.

(Foto: ag.ap)

sueddeutsche.de: Herr Sonneborn, kann es sein, dass Sie bei Ihren Auftritten als Außenreporter für die heute-show gar nicht so schmerzfrei sind, wie Sie immer tun?

Martin Sonneborn: Ich bedanke mich für diese Frage, ich hätte das sonst noch selbst angesprochen. Ich bin weitgehend schmerzfrei. Warum?

sueddeutsche.de: Vor und nach Ihrem jüngsten Interview mit einem Pharmalobbyisten haben Sie demonstrativ eine Handvoll Schmerztabletten eingeworfen - doch nicht nur zu Show-Zwecken?

Sonneborn: Das war ein Spaß für die Zuschauer. Es handelte sich aber nicht um echte Tabletten, sondern um Smarties. Wir mussten die Szene auf offener Straße mehrmals drehen, weil jedes Mal Autos vorbeifuhren. Es war furchtbar, ich hatte hinterher den ganzen Mund voller Smarties. Da bin ich doch weniger schmerzfrei.

sueddeutsche.de: Der Pharmalobbyist Peter Schmidt wurde inzwischen entlassen - unter anderem auch deshalb, weil er sich von Ihnen den Satz entlocken ließ, billigere Pillen aus Fernost seien genauso wirksam wie deutsche. Tut er Ihnen leid?

Sonneborn: Ja, Peter Schmidt war ein sympathischer Mensch. Es tut mir leid, wenn das Interview zu seiner Entlassung beigetragen hat. Andererseits ist Lobbyisten gegenüber alles erlaubt, finde ich. Schmidt war vor seiner Tätigkeit als Geschäftsführer des milliardenschweren Verbands "ProGenerika" Mitglied der Arbeitsgruppe "Gesundheit und Soziale Sicherung" der SPD-Fraktion. Und es ist auch diese Verbindung von Politik und Lobbyismus, auf die wir mit dem Beitrag gezielt haben.

sueddeutsche.de: Das ZDF wirft Ihnen jetzt Etikettenschwindel vor. Es heißt, Sie hätten Ihren Interviewpartner mit der Option geködert, das Interview könnte in Nachrichtensendungen ausgestrahlt werden. Können Sie den Ärger nachvollziehen?

Sonneborn: Zuerst einmal kann ich Herrn Schmidts Ärger nachvollziehen. Es ist nämlich häufig so, dass sich Leute hinterher echauffieren, wenn sie sich als Objekt von Satire wiederfinden und in Filmen auftauchen, die möglicherweise zum Lachen reizen. Das Verständnis für Satire geht immer nur so weit, wie man selber nicht betroffen ist. Auch die Reaktionen des ZDF-Programmdirektors kann ich verstehen, die Marke heute soll natürlich geschützt werden. Allerdings haben wir unsere Anfrage sehr präzise formuliert und Schmidt "um ein Interview für das ZDF" gebeten, "das wir nach Möglichkeit in einer der heute-Sendungen, bevorzugt im heute-journal platzieren m-ö-c-h-t-e-n".

sueddeutsche.de: Ganz schön tricky.

Sonneborn: Nee, ganz schön korrekt. Wir hätten das Interview tatsächlich gerne im heute-journal gesehen.

'"Bestechung mit Fresskörben und Kuckucksuhren"

sueddeutsche.de: Schon bei dem Namen Sonneborn hätten bei Herrn Schmidt die Alarmglocken läuten müssen.

Sonneborn: Könnte man meinen. Wir waren hinterher noch bei einem anderen Pharmavertreter. Dessen Pressesprecher hat uns aber gleich erkannt. Das passiert leider manchmal.

sueddeutsche.de: Mit einem Auftritt in den heute-Nachrichten dürfen Sie Ihre Opfer nicht mehr ködern. Müssen Sie sich jetzt verkleiden?

Sonneborn: Habe ich vorher auch schon getan. Zum Parteitag der Linken habe ich mir Perücke und Hornbrille aufgesetzt. Leider dachten die Politiker, ich sei der Journalist Theo Koll.

sueddeutsche.de: Muss man in Ihrem Job seinen wahren Auftraggeber bisweilen verschweigen, weil die Opfer sonst Lunte riechen?

Sonneborn: Ja, natürlich. Bei Titanic haben wir viele satirische Aktionen nur unter Vorspiegelung falscher Tatsachen durchführen können. Allein die Aktion, mit der wir die WM 2006 nach Deutschland geholt haben: Durch Bestechung mit Fresskörben und Kuckucksuhren konnten wir das Bruttosozialprodukt um 2,6 Milliarden Euro steigern und einen kleinen Babyboom auslösen ... Ich finde, Satire mit einem hohen moralischen Anspruch darf auch mit kleinen Unwahrheiten arbeiten.

sueddeutsche.de: Heißt das, Sie plädieren für den verstärkten Einsatz der Satire als Mittel der investigativen Recherche?

Sonneborn: Ja, lustigerweise tun wir schon seit Jahren Dinge, die eigentlich der Spiegel machen müsste. Wir üben Kritik an gesellschaftlichen Missständen mit irren Mitteln. Die Recherche ist eigentlich nicht unsere Aufgabe. Aber wir erledigen sie natürlich gerne mit.

sueddeutsche.de: Das ZDF ist nicht die Titanic. Sollte man nicht sauber zwischen Satire und Journalismus trennen?

Sonneborn: Ich bin kein Journalist, ich fühle mich eher an Titanic-Kodizes gebunden als an die, die derzeit als journalistische gelten.

sueddeutsche.de: Lässt Ihnen der Sender dabei genauso viele Freiheiten wie Sie beim Magazin Titanic hatten?

Sonneborn: Nein, gewisse Spielregeln müssen wir natürlich beachten. Wir schlagen Themen vor, und die Redaktion lässt uns weitgehend freie Hand. Wenn ein Film dann nicht ausgestrahlt wird, muss man darüber diskutieren.

"Was wir machen, dient unmittelbar der Weltverbesserung"

sueddeutsche.de: Ist das schon passiert?

Sonneborn: Ja, einmal. Es ging um die gehäuften Fälle von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche. Wir haben dazu ein extrem geschmackloses Bild gesucht und gefunden. Wie es aussah, kann ich aber nicht verraten. Vielleicht können wir diesen Scherz später noch mal beim Papst einsetzen.

sueddeutsche.de: Als was sehen Sie sich selber: Als Politclown, Guerilla-Journalist, Moral-Ikone - oder schlicht und einfach als Rampensau?

Sonneborn: Es ist mir eigentlich egal, wie ich bezeichnet werde, solange es extrem positiv klingt.

sueddeutsche.de: Sie haben die Frage nicht beantwortet: Als was sehen Sie sich selber?

Sonneborn: Ich greife da gern auf eine Charakterisierung des Stern zurück: als "Krawallsatiriker mit Profilneurose".

sueddeutsche.de: In erster Linie geht es Ihnen doch um Aufmerksamkeit?

Sonneborn: Vielen Dank für die charmante Beleidigung. Natürlich gibt es in der Satire ein paar richtungs- und ziellose Komponenten. Der Nonsens zielt eher auf einen Lacher oder auf eine Irritation ab. Alles andere aber, was wir machen, dient unmittelbar der Aufklärung und Weltverbesserung. Im besten Falle geht das Hand in Hand mit einem guten Witz.

sueddeutsche.de: Im Herbst 2009 gerieten sie schon einmal ins Visier der Kritik: Damals hatten sie chinesische Besucher der Frankfurter Messe mit Fragen zu Menschenrechtsverletzungen in China überrumpelt. Dabei verstanden Ihre Opfer kaum deutsch. Fanden Sie das fair?

Sonneborn: Ja, das waren handverlesene Chinesen, die nach Deutschland geschickt wurden. Wir wurden die ganze Zeit von Geheimdienstmitarbeitern fotografiert. Unser Film wurde später im chinesischen Fernsehen ausgestrahlt und von hoffentlich 1,4 Milliarden Chinesen gesehen. Natürlich war unsere Methode plump und drastisch, aber gerechtfertigt. Die Chinesen haben noch viel unfeiner nachgelegt, indem sie unseren Film als seriösen Nachrichtenbeitrag ausgewiesen haben.

sueddeutsche.de: Das klingt gefährlich.

Sonneborn: Es wurde sogar ein Todesurteil gegen mich gefordert. Was mir noch mehr Freude gemacht hat, waren die Dissonanzen mit dem Auswärtigen Amt. Die hatten zur Folge, dass Guido Westerwelle bei einem China-Aufenthalt zwei Wochen später nur ein sehr eingeschränktes Rederecht hatte. Das ist ein Zustand, den wir auch in Deutschland und Europa herstellen wollen.

"Jeder Dritte hat uns hereingelassen"

sueddeutsche.de: Als vermeintlicher Mitarbeiter von Google-Earth haben Sie sich Zugang zu den Schlafzimmern ahnungsloser Bürger verschafft. Kann man Laien genauso überrumpeln wie Medienprofis?

Sonneborn: Wir haben uns ja auch schon bekannten Politikern wie Frank-Walter Steinmeier oder Thorsten Schäfer-Gümbel gewidmet. Aber man darf nicht vergessen: Auch die kleinen Leute schlagen Ausländer oder wählen die FDP. Insofern ist es gerechtfertigt. Wir zwingen ja niemanden vor die Kamera.

sueddeutsche.de: Aber manche Leute müssen vor sich selber in Schutz genommen werden.

Sonneborn: Es ist immer eine Kamera zu sehen, das sollte als Warnung reichen. Ich habe allerdings festgestellt, dass es in Deutschland mittlerweile als normal gilt, dass, wenn zwei Leute sich unterhalten, ein Dritter mit einer Kamera danebensteht. Und zu "Google Home View": Offenbar hat Google eine Atmosphäre geschaffen, in der so eine Aktion, so ein Film möglich ist.

sueddeutsche.de: Wie lange waren Sie unterwegs, bevor Ihnen der erste Bürger die Tür geöffnet hat?

Sonneborn: Für uns war es ein kleiner Schock, dass uns gleich das erste Ehepaar zum Fotografieren in die Wohnung gebeten hat. Als wir sagten, wir kämen von Google Home View und müssten alles fotografieren, sagte der Mann: "Ich weiß." Jeder Dritte hat uns hereingelassen. Der Film war extrem schnell fertig.

sueddeutsche.de: Sind Sie selber schon mal auf einen ähnlichen Streich hereingefallen?

Sonneborn: Nein, ich bin aber auch kein typisches Opfer für Verstehen Sie Spaß?

sueddeutsche.de: Die Quote der heute-show war auch schon mal besser.

Sonneborn: Ja, auf einem besseren Sendeplatz. Ich finde es bemerkenswert, dass sich das ZDF eine derart anspruchsvolle satirische Sendung leistet ...

sueddeutsche.de: ... und das, ohne dass Sie als Zuschauer dafür bezahlen. Sie sind bekennender GEZ-Gebühren-Verweigerer. Ist diese Haltung nicht ein bisschen spätpubertär?

Sonneborn: Doch, und das ist auch eine gute Charakterisierung all dessen, was wir tun. Der Satiriker Hans Zippert hat mal gesagt, die Titanic ist eine gute Gelegenheit, die Pubertät bis ins hohe Alter aufzuschieben und einfach weiterhin das zu tun, was Spaß macht. Pubertäre Witze zu reißen und den Leuten auf die Füße zu treten.

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