25 Jahre "MTV Europe":Augenfutter für das Ohr

Kein cooles Video, keine Chance in den Charts. Vor 25 Jahren startete "MTV Europe" sein Musikprogramm für ganz Europa - und veränderte nicht nur das Fernsehen, sondern auch die Musikindustrie. Doch inzwischen hat das Internet-Zeitalter begonnen. Junge Menschen suchen sich ihre Videos getrost selbst.

Bernd Graff

Es ist 25 Jahre, schon ein Vierteljahrhundert her, dass Heranwachsende hierzulande Musik im Fernsehen nicht mehr mit der Hitparade des Dieter Thomas Heck, der Formel Eins der Stefanie Tücking oder der fast noch flotteren Disco des Ilja Richter in Verbindung bringen mussten. Denn vor 25 Jahren war eine Nachfolge erwachsen. Und sie wurde sogleich für ziemlich obercool befunden.

25 Jahre MTV Europe

Das Signet des Musikkanals MTV im Jahr 1996. Vor 25 Jahren (am 1. August 1987) ging MTV Europe auf Sendung. 

(Foto: dpa)

MTV Europe startete am 1. August 1987 von London aus sein Musikprogramm für ganz Europa. Der Muttersender MTV (Music Television) war sechs Jahre zuvor in das US-Kabelfernsehen eingespeist worden - ein Spartenprogramm. Es zeigte fast ausschließlich Musik-Filmchen, die eigens für die Songs gedreht worden waren.

Diese hießen nun Musikvideos und wurden bald zum unabdingbaren Genre für alle Pop-Künstler. Anders als die Auftrittsverfilmungen (meist mit Playback), die man bis dahin aus Shows mit derlei Musikeinlagen kannte, wurden die visuelle Ästhetik der Videos und die Professionalität ihrer Herstellung bald zum Gradmesser für den möglichen Erfolg der Songs. Kein cooles Video - kaum Chance auf eine Chartplatzierung. Denn nun wurden die gleich sehr durchgeknallten, schrecklich schnell geschnittenen Bewegtbilder zum Augenfutter für das sonst allein geforderte Ohr.

Dass die Videos einen so wüsten Schnitt aufwiesen, lag daran, dass sie wegen der Songs kurz sein mussten und dass man mit Popstars keine spielfilmtauglichen Inszenierungen wuppen kann. Die sollten und konnten bis dahin nur musizieren, mickjaggernd gestikulieren, headbangend auf der Bühne rumstehen. Jetzt aber wurde viel mit Wasser gearbeitet, mit Rauch und Windmaschinen. Hauptsache, es kam mehr rüber als die damals noch breiten Schulterpolster und Trümmerfrisuren der Künstler.

MTV Europe sendete zuerst auf Englisch. Was wumpe war, weil es um die Moderationen gar nicht ging. Die Hits waren eh englisch. Aber natürlich war es deshalb schwierig gewesen, den Sender überhaupt ins Programm zu bekommen. Denn die Musikindustrie zickte, weil sie eine Veramerikanisierung der hiesigen Populärkultur fürchtete. MTV machte einen Knicks, indem der Sender mit Peter Maffay, Udo Lindenberg und anderen Lokalmatadoren auch Hausmannskost ins Programm hievte.

Der Gänseblümchen-Konkurrent rieb sich die Hände

Die "heavy rotation", die ständige Titel-Wiederholung, von MTV nahm ein fast jähes Ende, als man in London beschloss, vom 1. Juli 1995 an den Empfang kostenpflichtig zu machen. Der deutsche Sender Viva, bis dahin der Gänseblümchen-Konkurrent, rieb sich die Hände und übernahm Marktanteile. MTV ruderte 1997 zurück, wurde wieder frei und regionalisierte sich.

Allein, es war zu spät. Mittlerweile hatte das Internet-Zeitalter begonnen. Die jungen Menschen, diese Racker, hatten Napster, Filesharing und dann auch YouTube entdeckt. Da gibt es alles, nicht nur das, was die Sender gerade ausstrahlen. 2005 übernahm der MTV-Mutterkonzern Viacom alle europäischen Viva-Sender. Im deutschen Free-TV gab es bald keinen Platz mehr für zwei Musikkanäle der selben Firma; 2011 wurde MTV wieder ein Bezahlsender.

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