"Aktenzeichen XY...ungelöst":Freund und Helfer am Tatort

Die Firma Securitel bringt echte Kriminalfälle ins Fernsehen - sie produziert "Aktenzeichen XY . . . ungelöst". Dabei ist die Polizei ihr wichtigster Partner und Themenlieferant - ohne den läuft beim "Behörden-Fernsehen" gar nichts.

Moritz Baumstieger

Aktenzeichen: XY... ungelöst

Rudi Cerne moderiert die ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY...ungelöst".© R.Friedl.

(Foto: OBS)

Die Kriminalität nimmt zu. Fünf Mal so schnell wie die Bevölkerung. Den rundlichen Mann mit der Mecki-Frisur beunruhigt das; Polizei und Gerichte seien überlastet, sagt er mit ernstem Blick in die Kamera. "Das Verbrechen hat sich gewandelt, neue Formen haben sich eingebürgert. Die Täter bedienen sich technischer Hilfsmittel und moderner Geräte." Auch die Gegenseite müsse deshalb mit der Zeit gehen.

Moderne Geräte? Technische Hilfsmittel? Nein, es geht nicht um Kreditkartenmissbrauch und Passwort-Phishing. Eduard Zimmermann sprach diese Sätze am 20. Oktober 1967 nach einem verspielten Vorspann, um das von ihm als Produzent, Chefredakteur und Moderator betreute Aktenzeichen XY . . . ungelöst im ZDF zu präsentieren. Das erste Verbrechen, das "mit dem Bildschirm" gelöst werden sollte, war ein konventionelles: Nach dem Fund einer Frauenleiche in Hessen wurde ein "Mann mit großen Händen" gesucht.

Wenn Ines Reize-Wildemann an Eduard Zimmermann zurückdenkt, tut sie das mit großer Ehrfurcht, aber auch mit einem kleinen Lächeln. "Wir leben eigentlich in einem friedlichen und sehr sicheren Land", sagt die 48-Jährige. Ihr ist das manchmal aufgeplusterte Pathos von Zimmermann fremd, von dem sie 1997 die Leitung der "DKF - Deutsche Kriminalfachredaktion" übernahm, einem Exoten in der deutschen Medienlandschaft. Es ist eine Abteilung der von Zimmermann gegründeten Filmproduktionsfirma Securitel, die hauptsächlich für das ZDF Aktenzeichen XY produziert, aber auch Dokumentationen wie Die Ermordung des Jakob von Metzler und Natascha Kampusch - 3096 Tage Gefangenschaft. Mit der Redaktionsleitung übernahm Reize-Wildemann die schwierige Aufgabe, ein TV-Format in die Gegenwart zu hieven, das schon vor 20 Jahren altbacken wirkte. "Wir müssen uns an Hochglanz-Produktionen messen lassen, aber gleichzeitig authentisch rüberkommen", sagt sie. Nach ein paar Durchhängern sind die Quoten der Sendung wieder stabil, zuletzt sahen 5,44 Millionen Menschen zu.

Behörden-Fernsehen vor grellem Orange

Als Reize-Wildemann vor mehr als 20 Jahren ein "bierernstes" Vorstellungsgespräch bei Eduard Zimmermann hatte, dienten der DKF noch drei nebeneinander liegende Reihenhäuser als Redaktionssitz. Inzwischen residieren die acht Redakteure in einem Stahl- und Glasbau in einem Gewerbegebiet in Ismaning bei München. In Reize-Wildemanns Büro steht das Kriminalisten-Fachbuch, auf ihrem Schreibtisch liegen Artikel aus der Boulevardpresse; Entführungen, Betrugsfälle, Morde. In die Milchglastüren der Büros sind die Namen der Redakteure und eine stilisierte Filmrolle eingeätzt, nur ein hölzernes XY-Logo aus einer Studiodekoration der Schwarz-Weiß-Ära erinnert an Zimmermanns Zeiten. Das Gebäude wirkt ein bisschen steril. Damit passt es vielleicht genauso gut zur heutigen Sendung wie die Reihenhäuser zu den Ausgaben unter Zimmermann.

Das grelle Orange im aktuellen Studio wird letzte Reste einer Anmutung von Behörden-Fernsehen nie überstrahlen können. Was auch daran liegt, dass die Aktenzeichen-Redaktion so eng mit Behörden kooperiert wie wohl keine andere: Die Polizei ist Partner und Themenlieferant, gegen deren Willen nichts laufen kann. Mal fragen die DKF-Mitarbeiter bei den Dienststellen nach, wie es mit gewissen Fällen steht, mal melden sich die Beamten, wenn sie in Ermittlungen nicht weiterkommen. Gibt die Staatsanwaltschaft ihre Zusage, liefern die Fahnder Informationen und Zugänge zu Opfern, von denen andere Journalisten oft nur träumen können.

Der Preis für diese Exklusivität ist, dass mit den Beamten jeder Tathergang erörtert und das auf dieser Grundlage entstandene Drehbuch der Polizei vorgelegt werden muss. Auch die Freiheit des Regisseurs am Set ist begrenzt, um keine falschen Spuren zu produzieren. Und dann sind da noch die Beamten, die für Live-Interviews ins Studio kommen. Ihren Moderator Rudi Cerne findet Reize-Wildemann "großartig im Umgang mit Menschen, die nicht ständig vor der Kamera stehen" - einen Kriminalbeamten mit Schnauzbart und Pfeffer-Salz-Sakko in einen Unterhaltungsprofi verwandeln, kann aber auch er nicht.

Der Mörder aus dem ersten Filmfall wurde übrigens geschnappt. Nicht, weil ein Zuseher Zimmermanns einen Hinweis lieferte. Der "Mann mit den großen Händen" verquasselte sich.

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