100. Folge von "Rosamunde Pilcher":Zum Schluss ein Kuss

Alles Kitsch, oder? Am Sonntag läuft zum 100. Mal Rosamunde Pilcher im ZDF. Die gefühlige Reihe mit schönen Menschen an zauberhaften Orten sehen regelmäßig bis zu acht Millionen Zuschauer. Warum nur?

Meike Mai

Es wäre jetzt ganz einfach, sich über die Fernsehversionen von Rosamunde Pilchers Büchern lustig zu machen. Ein bisschen über ihre tränenseligen Stories zu lästern, das gestriegelte Gefühls-Personal in den hochherrschaftlichen Häusern.

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Attraktive Frau vor einer traumhaft schönen Kulisse: Eve (Vivien Wulf) in der 100. Folge von Rosamunde Pilcher.

(Foto: ZDF/Jon Ailes)

Es wäre einfach zu behaupten, dass bei Pilcher-Schmonzetten der Himmel immer blitzeblau ist und der Kies in den Auffahrten stets frisch gerecht. Es wäre einfach. Es wäre zu einfach. Denn dann würde man nie verstehen, weshalb das abendliche Gefühlskino sonntags regelmäßig bis zu acht Millionen Zuschauer vor die Schirme lockt. Das tut es nämlich. Achtzehn Jahre nach ihrem Start im Oktober 1993 zählt die ZDF-Reihe zu den erfolgreichsten Marken im deutschen Fernsehen. Selbst Hollywoodstars wie Peter Ustinov wurden von Küstenwind und Schicksalsschlägen gebeutelt, viele junge Stars begannen mit Pilcher ihre Karrieren, wie etwa Axel Milberg oder Sophie von Kessel.

Doch was ist das Geheimnis der sonntäglichen Romanzen?

Zuerst einmal ist es wohl Frau Pilcher selbst. Die Queen of Romance ist in Wirklichkeit eine spröde, eigensinnige, starke Frau. Offizierstochter, Mutter von vier Kindern - und ganz und gar nicht zimperlich. Emotionen zeigt die Romanautorin nur beim Schreiben. Dann allerdings im Überschwang. 30 Bücher hat sie verfasst mit Titeln wie "Blumen im Regen" oder "Wolken am Horizont". Allein von ihrem Durchbruchsroman "Die Muschelsucher" verkaufte sie in Deutschland mehr als 1,7 Millionen Exemplare. 60 Millionen Menschen haben ihre Bücher weltweit im Regal stehen.

Am 30.10.1993 zeigte das ZDF die erste Verfilmung eines Pilcher-Romans: "Day of Storm" kam unter dem Titel "Stürmische Begegnung" auf den Bildschirm. 8,2 Millionen Zuschauer wollten das sehen. Der Auftakt einer langen Reihe, die mittlerweile vor allem auf Kurzgeschichten und Essays aus den früheren Jahren der Namensgeberin für die Serie basiert.

Erfolg durch Bilder

Rosamunde Pilcher selbst hat sich 2006 im Alter von 82 Jahren vom Schreiben zurückgezogen - und lässt doch zum Jubiläum wissen: "Ich bin richtig stolz. Das ist ein Grund zu feiern!" Dabei sind die erfolgreichen TV-Adaptionen gar nicht nur ihr Verdienst. Zweites Erfolgsgeheimnis sind nämlich die Bilder. Zu Pilcher gehören nun mal schwelgerische Kamerafahrten über die schönsten Küsten des Königreichs. Dazu mächtige Adelssitze und verwinkelte Cottages. Sehnsuchtsorte, die der Location-Scout Roger Elliot seit 60 Filmen in Südwestengland, Cornwall oder Schottland aufspürt.

Traum von wogenden Wiesen

"Wenn es um die Landschaft geht, dann muss sie irgendwie immer dramatisch aussehen. Idealerweise ohne andere Häuser in der Nähe, die das Kamerabild stören. Man darf keine Strommasten sehen, oder eine befahrende Straße," so der Illusions-Experte.

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Typische Pilcher-Story: Zwischen Kate (Mariella Ahrens) und George (Patrik Fichte) entflammen alte Gefühle.

(Foto: ZDF/Jon Ailes)

Schließlich dürfen und sollen die Zuschauer träumen. Von Klippen und Brandungen, von raspelkurzem Rasen und wogenden Wiesen wie im Reiseprospekt. Nicht umsonst boomen Cornwall-Trips auf den Spuren von Pilcher.

Zum Dank für den Besucheransturm wurde sie übrigens mit dem "British Tourism Award" ausgezeichnet.

Last but not least ist der Pilcher-Erfolg Drehbuchautoren wie Christiane Sadlo zu verdanken. Die Hamburgerin schrieb viele der Skripte, kennt sämtliche Kniffe, um den Geschichten Theatralik zu verleihen. Oder Martin Wilke und Silke Morgenroth wie jetzt beim 100. Pilcher "Der gestohlenen Sommer", in dem die beiden um die Familie des reichen aber todkranken Schiffsmaklers Edward (Helmut Zierl), seiner jungen Frau Kate (Marielle Ahrens) und Kates Verflossenem (Patrik Fichte) ein Rührstück samt unehelichem Kind und Segelunfall strickten. Und auch wenn in den anderthalb Stunden Film von einer verheimlichten Krebserkrankung, einer unterstellten Affäre, Eifersucht sowie einem letzten Wunsch alles abgehandelt wird, geht die Story eigentlich doch nur eines: Herzklopfen.

Natürlich ist das reaktionär, das Familienidyll kitschig und von annodazumal, die Rollenvorstellungen überholt und die Menschen in den Filmen immer nur edel, hilfreich und gut. Klar, wissen wir: Das ist nicht die Wirklichkeit. Trotzdem. Durchschnittlich sehen sieben Millionen Zuschauer zu. Sie wollen am Sonntagabend vor allem eines: Abschalten vom Alltag, ein bisschen Herz, Schmerz und wieder Herz. Attraktive Menschen in ihren zauberhaften Behausungen und ein Happy End.

Mit einer Überdosis Gefühl in die neue Woche

Wer die Sehnsucht nach dieser heilen Welt nicht versteht, der hat sich das übrige Programm nicht angeschaut. In direkter Konkurrenz läuft die Mörderjagd "Tatort", aber gern auch mal Action oder dusselige Shows. Was spricht da gegen eine Überdosis Gefühl zum Ausklang des Wochenendes, bevor Montag wieder die Tretmühle beginnt?

"Pilcher ist prüde", weiß auch Drehbuchautorin Sadlo. Bei Pilcher gibt es kein Sex and Crime. "Sie lässt die Geschichte gern mal nur mit einem Kuss enden." Zum Träumen. So simpel ist das also: Kuss. Und Schluss.

Rosamunde Pilcher "Der gestohlene Sommer", ZDF, Sonntag, 20.15 UIhr

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