Zum Vatertag:Zwischen Patriarch und Kumpel

Lesezeit: 8 min

Ein Vätergespräch mit drei Männern der Familie Thomae über Rollenbilder, Brad Pitt und Alexander Mitscherlich.

Alex Rühle

Ein Arbeitszimmer in Leipzig, die Wände ringsum voller Bücher, darunter eine Freud-Gesamtausgabe mit 450 Lesezeichen darin. Hier arbeitet Helmut Thomae, der 88-jährige Psychoanalytiker und langjährige Mitstreiter Alexander Mitscherlichs. Sein Sohn Dieter Thomae ist zu Besuch. Er hat vor kurzem ein schönes Buch über den Wandel der Vaterrolle seit der Französischen Revolution geschrieben ("Väter - Eine moderne Heldengeschichte", Hanser-Verlag) und noch den Enkel Jakob Thomae im Schlepptau, der eigentlich gerade in London studiert. Von der Wand lächelt Alexander Mitscherlich das Trio an.

Machte Adoption gesellschaftsfähig: Brad Pitt mit Pax Thien Jolie-Pitt. (Foto: Foto: Getty Images)

SZ: Am morgigen Donnerstag ist Vatertag. Vielleicht können Sie, Großvater, Vater und Sohn, zunächst mal eine Definition geben, was Ihrer Meinung nach einen guten Vater ausmacht?

Helmut Thomae: Es fällt mir leichter zu sagen, was einen schlechten Vater ausmacht, weil ich rückblickend denke, dass ich selbst ein ungenügender Vater war.

SZ: Warum?

Helmut Thomae: Weil ich in der Erziehung kaum eine Rolle gespielt habe. Meine Frau war zum Glück eine wunderbare Mutter und hat mir ermöglicht, meinen beruflichen Verpflichtungen voll nachzukommen. Ich habe die beiden Kinder in die Schule gebracht, war bis abends um sieben aus dem Haus, kam zum Abendessen und habe dann ab und zu noch Geschichten am Bett vorgelesen.

SZ: Das deckt sich leider ziemlich mit der heutigen durchschnittlichen Vaterrolle.

Helmut Thomae: Was?! Heute noch? Ich dachte, das sei besser geworden.

SZ: Vielleicht besteht die kleine, schmerzhafte Verbesserung darin, dass viele Väter ihre Abwesenheit nicht erst rückblickend als Defizit erleben, sondern schon währenddessen. Dieter Thomae, was macht für Sie einen guten Vater aus?

Dieter Thomae: Ein guter Vater muss anwesend sein. Natürlich nicht immer, aber er muss da sein. Und dann kommt es meines Erachtens noch auf eine Mischung aus Stärke und Zärtlichkeit an, aus Großsein und auch mal Schwachsein. Für die Kinder ist es etwas Kostbares, wenn sie in dem Vater auch etwas was sehen, was sie bewundern, ohne dass das etwas Überwältigendes hat.

SZ: Haben Sie Ihren Vater vor allem als abwesend in Erinnerung?

Dieter Thomae: Absolut. Aber es gibt dadurch die Aufwertung gemeinsamer Momente, zum Beispiel erinnere ich mich ganz intensiv an das gemeinsame Skatspielen. An das abendliche Vorlesen erinnere ich mich dagegen überhaupt nicht.

Jakob Thomae: Ich denke, ein guter Vater ist jemand, der gute Kinder erzieht. Und ich denke, dass man Vater vom ersten Tag sein muss. Ich kann nicht nach zehn Jahren plötzlich sagen, oh, ich habe ja ein Kind, na dann stelle ich doch mal meinen Beruf zurück und kümmer' mich.

SZ: Das entscheidende Merkmal in allen drei Definitionen ist die Anwesenheit. Die Bereitschaft, möglichst viel Zeit mit den Kindern zu verbringen. Helmut Thomae, Ihr Bedauern klingt ganz typisch für Ihre Generation. Können Sie als Psychoanalytiker der These etwas abgewinnen, dass heutige Väter auch deshalb ihre Rolle so viel emphatischer auszufüllen versuchen, weil die Väter Ihrer Generation ihnen diesen geheimen Wunsch mit auf den Weg gegeben haben?

Helmut Thomae: Das kann sein. Wobei ich den Mangel damals ja gar nicht gemerkt habe. Ich war selbst so sehr auf der Suche nach einem Vater oder einem Vorbild. Sowohl privat als auch beruflich, wir Psychoanalytiker haben ja in Deutschland 1945 bei null angefangen.

SZ: Inwiefern war Alexander Mitscherlich, mit dem Sie lange eng zusammengearbeitet haben, für Sie ein Vorbild?

Helmut Thomae: Mitscherlich war ein mutiger Mann. Er trat bei den Nürnberger Prozessen als Beobachter auf. Danach gab er "Medizin ohne Menschlichkeit" heraus, obwohl er wusste, dass er in der deutschen Ärzteschaft für immer als Nestbeschmutzer gelten würde.

SZ: Besonders bekannt wurde er mit seinem Buch über die "Vaterlose Gesellschaft", in dem er schreibt, dass durch den Zerfall familiärer Hierarchien und prägender väterlicher Vorbilder neuartige neurotische Verhaltensweisen entstehen: Indifferenz, Aggressivität, Destruktivität - stimmen Sie dieser These zu?

Dieter Thomae: Mitscherlich war auch deshalb so erfolgreich, weil er mit weltanschaulichem Weichzeichner gearbeitet hat: Komischerweise spricht er ja nicht über die vaterlosen Kinder nach 45, obwohl natürlich jeder dachte, bei dem Titel würde es um all die kriegszerrütteten Familien gehen. Aber nein, es geht um die grundsätzliche Eigenschaft moderner Gesellschaften: dass der Vater im Beruf verschwindet und die alten Familienstrukturen zermahlen werden. Er fängt mit dem Ende der Handwerker an, was mit den Lebensverhältnissen des Wirtschaftswunder-Deutschlands nicht viel zu tun hatte. Vielleicht war das Buch gerade deshalb so erfolgreich, weil er nicht direkt über dieses Thema sprach, sondern daraus ein höheres Missgeschick machte.

SZ: An meinem Schreibtisch treiben jede Woche mehrere Väter-, und Familienbücher vorbei. Warum wird heute so viel über Familie geschrieben wie nie zuvor?

Dieter Thomae: Man schreibt immer dann so viel, wenn man nicht weiß, wo's hingeht. Um 1900 wurden jedes Jahr unzählige Väter in der Literatur geschlachtet. Es gab damals eine ungeheure Diskrepanz zwischen der alles umwälzenden Dynamik der Moderne und der vergleichsweise unerschütterten Selbstgewissheit der Väter, die als Offiziere mit stolzgeschwellter Brust dachten, sie wüssten noch immer alles besser. Der große Unterschied zu damals ist aber noch ein anderer: Damals schrieben die Söhne und überlegten, wie lasse ich das alles hinter mir, heute schreiben die Väter, die überlegen, was sie weitergeben.

SZ: Warum haben Sie selbst denn Ihr Buch über die Krise der Väter in der Moderne geschrieben?

Dieter Thomae: Das Thema Familie ist eine Riesenbaustelle. Die Arbeit an meinem Buch war eine Art Ratsuche in der Vergangenheit. So war es auch eine Vatersuche, eine Suche nach Vorbildern.

SZ: Und? Wen haben Sie gefunden seit der Französischen Revolution?

Dieter Thomae: Väter, die von Anfang an wussten, was sie machen wollten, das bejaht und es auch praktiziert haben, findet man kaum in der Geschichte. Aber es gibt viele, die sozusagen erstmal mit dem falschen Fuß aufstehen und dann trotzdem noch die Kurve kriegen.

SZ: Zum Beispiel?

Dieter Thomae: Nehmen Sie den Dramatiker Friedrich Hebbel. Der hatte einen völlig verbitterten Vater, der die Kinder jedes Mal verprügelte, wenn sie lachten. Hebbel macht den Vater nach, kümmert sich nicht um seine unehelichen Kinder, schreibt aber gleichzeitig ein Drama, in dem er genau so einen schrecklichen Vater schildert. Er ist also hin- und hergerissen zwischen seiner eigenen schlechten Vaterrolle und dem schrecklichen Vater, den er hatte. Und dann endet er als Vater, der mit seiner pubertierenden Tochter als gutmütiger Anstandswauwau durch die Wiener Bälle zieht und beschreibt eine ganz große Nähe zu diesem Kind. Solche Bekehrungsgeschichten finde ich stark.

Jakob Thomae: Naja, bisschen spät. Klingt wie diese Politiker, die nach ihrem Rücktritt erzählen, dass sie sich ab sofort nur noch ihrer Familie widmen wollen. Alan Greenspan sagt mit neunzig Jahren, dass er jetzt erst merke, wie toll Familie sei. Schon billig, jetzt ist er noch drei Jahre ein guter Vater, und dann stirbt er.

Helmut Thomae: Also, etwas früher hab ich ja glücklicherweise angefangen.

Prominente Söhne und ihre Väter
:Ganz der Papa?

Wie der Vater so der Sohn - das trifft zumindest optisch nicht immer zu. Welcher Vater gehört zu welchem berühmten Sohn? Eine Bildergalerie zum Vatertag.

Merlin Scholz

SZ: Heutzutage definieren sich viele Stars als begeisterte Familientiere, Brad Pitt schwärmte gerade wieder von dem überwältigenden Gefühl, Vater zu sein.

Wie der Vater so der Sohn - das trifft zumindest optisch nicht immer zu. Welcher Vater gehört zu welchem berühmten Sohn? Eine Bildergalerie zum Vatertag. (Foto: Foto:)

Dieter Thomae: Das ist ja auch wirklich wunderschön. Schwierig wird es, wenn die Väter sich als Freunde inszenieren. Manche sagen, Eltern sind heute so verständnisvoll, dass die Pubertät abgeschafft werden kann. Aber es muss Reibereien geben zwischen den Generationen, alles andere wäre unnatürlich. Die Lebensumstände sind anders, die Menschen sind dreißig Jahre später geboren, also müssen sie unterschiedliche Sichtweisen haben. Es muss einen Mix geben aus Innigkeit und Streitereien. Wenn alles friedlich abläuft, ist mir das suspekt.

Helmut Thomae: Das ist nichts Neues, das beklagte Alexander Mitscherlich schon in der "Vaterlosen Gesellschaft": Dass sich die Jungen nicht mehr an den Alten reiben. Dass sich der Generationenkonflikt, der eine Konstante des Erwachsenwerdens ist, verflüchtigt.

SZ: In Ihrem Buch zeigen Sie, wie lang die Geschichte von Schlagworten wie antiautoritär oder Jugendkultur ist.

Dieter Thomae: Der Begriff der Vaterlosigkeit stammt sogar schon von 1789. Und die "Jugendkultur" hat Gustav Wyneken erfunden, der 1920 sagte, die Jugendkultur müsse verteidigt werden. Er sagte, wir sollten nicht gegen die Eltern kämpfen, sondern sie einfach vergessen; wir verlassen das Haus der Familie und bauen unser eigenes. Die Familie ist nicht zuständig, nicht die richtige Instanz für die Erziehung. Die Eltern fahren sowieso auf dem falschen Dampfer. Schon verhängnisvoll, dass gerade diese Tendenz heute so stark ist.

SZ: Warum?

Dieter Thomae: Weil man dumm bleibt, wenn man sich immer nur an Leuten orientiert, die so sind wie man selbst. Weil man sich die kreative Reibung zwischen den Generationen schenkt. Die letzte Wendung in diesem Spiel sind die unsicheren Eltern, die sich mit sich selbst nicht wohl fühlen, Peer Group spielen und Berufsjugendliche werden. Schon Wyneken sagte, geben wir es doch zu, wir würden alles dafür geben, könnten wir noch einmal richtig jung sein. Damit demontiert man dann sich selbst.

SZ: Jakob Thomae, Ihr Vater war 24, als Sie auf die Welt kamen. Sie sind 20. Wollen Sie bald Vater werden?

Jakob Thomae: Nein, noch nicht. Heute wird man ja erst mit Mitte 30 Vater.

SZ: Ihr Vater spricht in dem Zusammenhang vom Drückebergerverhalten.

Dieter Thomae: Naja Drückeberger... Ich denke nur, die Leute sitzen einem Trugschluss auf, wenn sie meinen, sie können das Risiko Familie erst angehen, wenn alles in trockenen Tüchern ist. Als Berufsanfänger ist es besonders schwer, Job und Familie zu vereinen. Wenn der Chef sagt, ich habe da einen Auftrag, drei Tage Polen, und gleichzeitig hat das Kind Fieber, ist das schwerer zu managen, als wenn man noch studiert. Ich habe studiert, als ich Vater wurde, das war leichter. Außerdem ist die Vorstellung, dass man alles perfekt regeln muss, bevor man Familie hat, fatal, weil darin eine Vorstellung von totaler Lebensverplanung steckt. Familie ist sowieso nicht planbar, wenn man mit der Vorstellung der perfekten Übersicht an die Sache rangeht, wird man Probleme kriegen.

Jakob Thomae: Ich glaube aber auch, dass meine Generation zögerlich ist, weil wir nicht so konfliktfähig sind. Heutzutage haben die meisten in meinem Alter schon fünf, sechs Beziehungen gehabt. Sobald ein Streit kommt, wirft man die Hände hoch , sagt, das ist jetzt echt zu viel für mich und geht. Ist ja auch praktisch, da hat man vielleicht zwei Wochen Stress, weil man sich in der Schule anhören muss, dass man eine Pfeife ist, aber dann ist das auch wieder vergessen. Die Strafe dafür, dass man so lange echte Konflikte scheut, kommt erst, wenn man eine Familie gründet und plötzlich muss man streiten können. Das haben wir ja nicht gelernt.

Helmut Thomae: Die Leidtragenden der Nichtübernahme dieser Rolle sind dann die alleinerziehenden Mütter.

SZ: Die Scheidungsraten gehen stetig nach oben.

Dieter Thomae: Klar läuft da viel schief. Aber mir ist es auch suspekt, wenn man die privaten Mühen immer mit gesellschaftlichen Missständen erklärt und Fragen der inneren Haltung mit dem Problem des Outgesourct-Werdens übertüncht. Das Fatale ist der Mix der äußeren Zwänge und der inneren Gleichgültigkeit. Wenn man abends von der Arbeit kommt, stellen sich doch quer durch alle Schichten alle dieselbe Frage: Mache ich was mit den Kindern oder setze ich sie vor die Glotze? Da hat man immer einen Spielraum. Es ist nicht alles nur ein Zwangsverhängnis, dann könnten wir ja gleich sagen, wir müssen aussterben.

SZ: Sie haben beide davon gesprochen, wie wichtig es war, dass Sie als Väter eine gewisse Sicherheit geben konnten. Aber wie soll man ein guter Vater sein, eine stetige Hintergrundstrahlung und warme Mauer, wenn man arbeitslos wurde? Oder wenn man kaum Zeit hat, da zu sein?

Dieter Thomae: Gute Frage. Insofern passen übrigens die harten Ratgeber hervorragend in die Zeit. Mit dem "Lob der Disziplin" wird man bei einem Vater, der jeden Tag nur zehn Minuten Zeit hat für die Kinder, auf offene Ohren stoßen. In den zehn Minuten kann man natürlich leicht Disziplin durchsetzen, weil man dazu nur Befehle erteilen muss. Mit seinem Kind zu spielen, dauert nun mal länger. Man will sich durch solche Bücher den inneren Konflikt wegerklären lassen. Und dazu noch eine klare Ansage, was man machen soll in den paar Minuten, die man täglich Zeit hat.

SZ: Erklärt sich also daraus der große Erfolg der ziemlich schwarzen Pädagogik von Bernhard Bueb?

Dieter Thomae: Ja. Und aus der Freude an der simplen Antwort. Eine Art Ermüdungsbruch, nachdem man jahrelang immer Zwischentöne gehört hat. Dieser diskursive Pendelschlag wird umso deutlicher, je weiter man in die Geschichte zurückguckt. In den sechziger Jahren kam die antiautoritäre Erziehung, dann kam als Antwort darauf 1979 "Mut zur Erziehung", das war ja der Vorläufer von "Lob der Disziplin". Dann haben sich wieder die Kinderläden durchgesetzt mit Matschen und freiem Spiel, auf die wieder streng warnende Fibeln folgten. Innerhalb von nicht mal vierzig Jahren sind wir jetzt mit dem Pendel zweimal hin- und hergegangen. Und die Pendelausschläge laufen immer schneller ab, irgendwann schlägt das Pendel in beide Richtungen gleichzeitig aus. Aber ich glaube nicht, dass es dazu kommen wird. Als Berufsoptimist bin ich vielmehr der Meinung, dass wir gerade begreifen, dass es Zeit für einen Neuanfang ist.

© SZ vom 20.05.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: