Yves Saint Laurents Wirken:Haute Couture für alle

Lesezeit: 3 min

Yves Saint Laurent erfand die Mode, wie wir sie heute kennen und wie sie heute funktioniert. Nur eine Sache war ihm verwehrt: Er hätte so gerne die Jeans erfunden.

Rebecca Casati

Man könnte sagen, Yves Saint Laurent habe Maßstäbe gesetzt und Generationen beeinflusst, aber letztlich hat er viel mehr geschafft: Yves Saint Laurent hat die Mode, wie wir sie heute kennen und wie sie heute funktioniert, erfunden. Neben Coco Chanel und Christian Dior gehörte er zu der erlauchten Garde, die mit Säumen und Nähten Dinge bewegte, die man heute nur noch durch neue Technologien erreicht: massenwirksame, gesellschaftliche Umwälzungen.

Yves Saint Laurent 1936 - 2008. (Foto: Foto: Regina Schmeken)

Es ist schwer, jemanden zu finden, der Yves Saint Laurent nicht anbetet, inklusive seinem wohl größten Konkurrenten, Karl Lagerfeld. Die Pariser sind bis heute davon überzeugt, YSL habe ihre Vormachtstellung in der Mode gerettet, die nach dem zweiten Weltkrieg zu bröckeln begann.

Er war so oft der Erste

So entrückt der krankhaft Schüchterne im wahren Leben wirkte, so bodenständig war sein Ansatz: Eleganz, so lautete sein Credo, dürfe man auf keinen Fall mit Snobismus verwechseln. Er wollte die Mode demokratisieren. Nicht auf einem Level, wie es heute Kaufhäuser oder Billigketten tun, sondern auf dem höchstmöglichen.

Er war der erste Couturier, der 1966 eine Ready-to-wear-Boutique eröffnete. Vierzig Jahre später, im Sommer 1996, war er der erste Designer, der seine Schau live im Internet zeigte - im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen, die dieses Medium am liebsten ausgeschlossen hätten, weil es den großen Ketten erlaubte, Minuten später in Ländern wie Rumänien oder Bangladesh mit dem Schneidern von Billigkopien zu beginnen.

Der erste, der Yves Saint Laurents außergewöhnliches, universelles Talent erkannt hatte, war Michel de Brunhoff, Kreativchef der französischen Vogue. Als Juror eines Wettbewerb der Wollindustrie verlieh er dem jungen Mann 1954 für den Entwurf eines asymmetrischen Cocktailkleides den ersten Preis. Saint Laurents größer Förderer wurde Christian Dior, als der 1957 starb, wurde Saint Laurent sein Nachfolger. Gleich seine erste Show, die auf Kleidern in Trapezform basierte, verschlug der Presse den Atem. Hinterher zeigte er sich auf einem Balkon wie ein König, der sein Volk begrüßt - und als solcher wurde er auch bejubelt. "Saint hat Frankreich gerettet, die große Tradition Diors wird weiterleben", hieß es in den Schlagzeilen des darauffolgenden Tages. Das war 1958, und Yves Saint Laurent war 21.

Vier Jahrzehnte später, mit 65, dankte Yves Saint Laurent in Paris ab. Dazwischen liegen so viele wegweisende Innovationen, dass man sich eigentlich fragt, ob Yves Saint Laurent in der Mode irgendjemandem irgendetwas übriggelassen hat zum Neuerfinden.

Vor Saint Laurent definierte sich die neue Mode alle sechs Monate durch eine neue Silhouette. Yves Saint Laurent suchte sich für seine Kollektionen ganz andere Kontrapunkte, bezog sich auf Theater, Malerei, Geschichte oder die Literatur. 1960 entwarf er für Dior eine Beatnik-Kollektion, mit schwarzen Lederjacken und Strickrollis, die er dem Stil der Left-Bank-Intellektuellen entliehen hatte. Sich an den Menschen und ihrem Alltag zu orientieren, war ein absolutes Novum für einen Couturier, und Yves Saint Laurent ebnete damit den Weg für das, was wir heute Streetwear nennen. Die Welt war damals fasziniert, trotzdem kostete es ihn seinen Job bei Dior. Er klagte, und mit dem Geld aus dem gewonnenen Prozess eröffnete er sein erstes Modehaus unter eigenem Namen.

Ab sofort verging kein Jahr mehr, ohne dass Yves Saint Laurent eine neue, bahnbrechende Kollektion präsentierte. Seine Reisen nach Afrika, Zigeuner, Bücher von Marcel Proust - es gab nichts, was YSL nicht inspirierte. Er erfand 1966 den Smoking für Damen - legendär sind die Geschichten, wie einige der Trägerinnen aus Restaurants und Hotels verwiesen wurden. Er schockte mit dem transparenten Kleid. Er hatte als erster die Idee, Silhouetten aus den zwanziger, dreißiger oder vierziger Jahren in seinen Kollektionen zu zitieren, ein Prinzip, das die Modewelt von heute dominiert. Als einer der ersten erkannte er die Wichtigkeit des Branding und der Selbstvermarktung, als er nackt für die Anzeige seines ersten Männerduftes "Pour Homme" posierte. Er war der erste, der schwarze Models auf den Laufsteg schickte.

1989 war er der erste Designer, der mit seinem Modehaus an die Börse ging. 2002, mit 65, gab er seinen Rücktritt bekannt. Am 31. Oktober schlossen sich die Türen seines Ateliers in der Avenue Marceau in Paris. Seine Angestellten verteilten sich mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung über die Häuser Azzedine Alaia, Chanel und Jean Paul Gaultier.

Yves Saint Laurents Werk weckt heute Erinnerungen in uns wie sonst ein Musikstück oder ein Gemälde: Die späten sechziger Jahre in den satten Edelsteinfarben der Kostüme, die er für Catherine Deneuve in "Belle de Jour" schneiderte. Die Siebziger, in denen Helmut Newton seine rätselhaften androgynen Schönheiten in "Le Smoking" fotografierte. Die frühen Achtziger, die nach YSL Rive Gauche rochen, dem Parfüm, das unnahbaren Damen etwas Unvernünftiges verlieh.

Nur eine Sache war ihm verwehrt: Er hätte so gerne die Jeans erfunden.

© SZ vom 03.06.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: