Yogalehrer:Zweites Standbein

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Yoga macht inzwischen jeder. Wer im Trend sein will, wird Yogalehrer.

(Foto: REUTERS)

Sonnengruß, das kann längst jeder. Deswegen werden jetzt alle selbst Yogalehrer. Warum nur, bitte schön?

Von Laura Hertreiter

Vor dem Yoga war das Leid. Der Guru Bellur Krishnamachar Sundararaja Iyengar, elftes Kind indischer Eltern, wäre beinahe gestorben. An Tuberkulose, Typhus, Malaria und Hunger. Mit 15 Jahren entdeckte er nach eigenen Angaben gerade noch rechtzeitig die Heilkraft des Yoga. Er wurde selbst Großmeister der Körper- und Geistesübungen. Und 96 Jahre alt.

Monika Stahl, einziges Kind bayerischer Eltern, konnte mit 45 Jahren keine Treppen mehr steigen, Ärzte diagnostizierten eine schwere Arthrose im Knie. In einem Ayurveda-Urlaub zur Reha machte die Büroangestellte ihren ersten Sonnengruß. Ein Jahr später unterrichtet sie die Bewegungs- und Atemübungen selbst, beschwerdefrei.

Egal ob indischer Superguru oder bayerische Büroangestellte: Wer ein echter Yogi sein will, so scheint es, braucht eine anständige Genesungsgeschichte. Aber die sind nicht der einzige Grund dafür, dass Yoga nicht nur zum Massenfreizeitvergnügen, sondern auch zu einem magnetischen Berufsfeld wurde.

Etwa 20 000 Menschen arbeiten laut Schätzungen in Deutschland als Yogalehrer. Sie haben das Angebot vom Schwitzkurs bis zur Meditationsstunde aufgefächert, von der indischen Traditionslehre bis zum kraftoptimierten Körpertuning. Jedes Jahr kommen ein paar Tausend neue Ausbilder hinzu. Genau kann das niemand beziffern, denn der Beruf ist nicht geschützt, es gibt Dutzende Ausbildungswege und Zertifikate. Das Netz an Zentren, Schulen und Studios jedenfalls wird immer dichter, allein in Berlin gibt es mehr als 300 - Hobbykeller, Fitnessstudios und Volkshochschulkurse nicht mitgezählt.

Der Job muss uns erfüllen. Tut er das nicht, brauchen wir einen zweiten

Ein nasskalter Herbstabend im Münchner Stadtteil Allach. In einem vollen Übungsraum geht Monika Stahls Yogastunde zu Ende. Zehn Schüler liegen aufgereiht auf Gummimatten, eine Salzlampe taucht sie in kräuterteefarbenes Licht. Savasana, Entspannung. Monika Stahl, kurzes blondes Haar, großes Lächeln, schwebt auf Wollsocken zwischen ihnen umher. "Lasst euren Körper in die Matten sinken."

Eigentlich besteht ihr Arbeitsplatz aus einem Bildschirm und einem Telefon in einer Behörde, aus immer neuen Kalkulationen, Tabellen und E-Mails. Sie arbeitet in einem jener Berufe, vor denen Arbeitspsychologen warnen: Berufe, die so gut wie nie ein unmittelbares Ergebnis liefern - wie die fertige Torte eines Bäckers oder das schlüsselfertige Haus eines Architekten. Berufe ohne solche sichtbaren Ergebnisse bergen laut Experten das Risiko, schneller unzufrieden zu machen. Und sie passen meist schlecht zum Zeitgeist. Immerhin hat der Job längst nicht mehr nur das Konto zu füllen, er soll gefälligst auch Spaß machen. Und ausdrücken, wer wir sind.

Zwei Tage pro Woche tauscht Monika Stahl das Büro also gegen den Yogaraum. Heute hat sie dort ein Faszientraining angeleitet, abgewandelte Sonnengrüße mit federnden Bewegungen, Atemübungen, Meditationen. Sie hat erklärt, korrigiert, Mantras gesungen. Sie hat auf Manfreds Knieprobleme geachtet, auf Angelas Rücken, hat dafür gesorgt, dass Eva und Klaus den Ärger mit dem Chef vergessen und dass Lisa ihre Wiesn-Pfunde verbrennt.

Mainstream-Accessoire Mattenrolle

Und dann ist er da, ihr Torten-Moment. "Wir kommen langsam mit unserem Bewusstsein wieder hier im Raum an", sagt sie vorsichtig in die träge Stille. "Streckt und dehnt euch." Blinzeln, Gähnen, Rekeln, zufrieden-erschöpfte Gesichter. Angela setzt sich auf, faltet ihr Handtuch auf Kante und sagt, sie fühle sich "eingerenkt". Er schlafe nach der Stunde immer herrlich, sagt Jürgen mit kratziger Stimme.

Aus derlei Gründen ist Yoga zum Hobby von mehr als 2,5 Millionen Deutschen geworden, wie die Gesellschaft für Konsumforschung im vergangenen Jahr erhoben hat. Die in Großstädten allgegenwärtige Mattenrolle ist zum Mainstream-Accessoire geworden. Und zum Signal dafür, dass ihr Träger alles ist, was sozial erwünscht ist: fit, flexibel, gesund ernährt, leistungsfähig, ausgeglichen. Und wer als Lehrer die Yogamatten austeilt, kann das natürlich erst recht von sich sagen.

Monika Stahl hat vor drei Jahren ihre Basisausbildung im Sivananda-Zentrum in Kitzbühel absolviert. Vier Wochen lang hat sie dort in den österreichischen Bergen ab fünf Uhr morgens exerziert, Mantras auswendig gelernt, Anatomie, Sanskrit und Philosophie gebüffelt, schriftliche und praktische Prüfungen bestanden. Erst mal nur für sich selbst.

Seniorenyoga, Hormonyoga, Faszienyoga, Glücksyoga

Laut Schätzungen der Akademien nutzt etwa die Hälfte der Azubis den Lehrgang einfach als Intensivkurs für die eigene Praxis. Der Rest will unterrichten, meist als Nebenjob. Auch Monika Stahl entschloss sich dazu, als sie ihr Zertifikat in der Tasche hatte. Wenn die Kosten von 4000 bis 5000 Euro für eine vom Lehrerverband anerkannte Basisausbildung erst mal abbezahlt sind, ist der Einstieg relativ leicht: kein Startkapital nötig, freie Zeiteinteilung.

Monika Stahl mietete einen Raum an und begann, abends Stunden zu geben. Erst Freunden, dann Freunden von Freunden, dann Fremden. Die Wochenenden verbrachte sie mit Fortbildungen: Seniorenyoga, Hormonyoga, Faszienyoga, Glücksyoga. Die Schüler brachten immer mehr Schüler mit, bis sie ihren Bürojob reduzierte, erst um einen, dann um zwei Tage. Inzwischen hat sie etwa 35 Schüler pro Woche.

Yoga ist ein weltweiter Wachstumsmarkt

Yogalehrer: Yoga als zweites Standbein.

Yoga als zweites Standbein.

(Foto: Dan Borris/Yoga Dogs)

Überall im Land steigt die Nachfrage, befeuert von den Krankenkassen, die bis zu 150 Euro zuzahlen für Kurse bei Lehrern, die mindestens zwei Jahre und 500 Unterrichtseinheiten lang ausgebildet wurden. Das Wall Street Journal schätzt den Wert des "weltweiten Wachstumsmarktes Yoga" auf 42 Milliarden Dollar. Ein gutes Geschäft also? Geht so. "Im Büro würde ich mehr verdienen", sagt Monika Stahl, 700 Unterrichtseinheiten. Sie verlangt von ihren Schülern 13 Euro pro Einheit. Laut Verband speisen manche Studios ihre Lehrer mit nur 25 Euro und weniger für 90 Minuten Unterricht ab. Aber Geld ist ja nicht alles, alte Yogaweisheit.

Reich werden weltweit nur ein paar. Jordan Bloom aus Amerika etwa, Filmstarstatur und Sommersprossengesicht, kassiert für seine Viertagesworkshops in Miami, Berlin, Kopenhagen oder Tokio 2000 Euro, Flug und Hotel kosten extra. Vielerorts aber scheint die Ausbildung der Ausbilder das bessere Geschäft zu sein. Der gemeinnützige Verein Yoga Vidya mit Sitz im Teutoburger Wald und elf Millionen Euro Umsatz hat allein im vergangenen Jahr 1100 Trainer ausgebildet.

Anderer Herbsttag, andere Turnhalle. An der Yoga Academy München lassen sich zwölf Frauen zwischen verspiegelten Wänden zu Yogalehrerinnen ausbilden. Balance auf einem Bein, das andere angewinkelt wie Flamingos, die Wangen gerötet. Sie sind zwischen 25 und 55 Jahre alt, arbeiten als Ingenieurin, Texterin, Fitnesstrainerin oder Hausfrau. Gerade üben sie das Ansagen von Bewegungsfolgen. Eine spricht, die anderen turnen, dann Wechsel. Die Ansager verheddern sich in Sanskrit-Begriffen, in Reihenfolge, in Links-rechts-Unterscheidungen, die Schüler in ihren Extremitäten. Schallendes Lachen. Jeden Monat üben sie ein ganzes Wochenende über, mindestens ein Jahr lang.

Irgendwas sucht jeder

Ihre Gründe dafür klingen pragmatisch. Die Fitnesstrainerin möchte ihr Sortiment erweitern, die Mutter einen flexiblen Job. Die wahren Gründe aber, sagt Sheyda Schreiber, die Leiterin der Academy, "liegen meist tiefer". In vertrauten Gesprächsrunden am Anfang der Ausbildung tauchten sie nach und nach auf. Eine Schülerin sagte damals zum Beispiel mit feuchten Augen: "Ich arbeite in einem Männerberuf und möchte mich mehr als Frau fühlen."

Klar, irgendwas sucht jeder, immer. Und Yoga wird als Universalantwort für vieles verkauft. Zu den Ausbildungen melden sich laut Anbietern bisweilen auch Menschen an, die wegen psychischer Probleme eigentlich eine Therapie bräuchten. Sheyda Schreiber sagt: "Manche merken, dass Yoga innere und äußere Blockaden löst und versprechen sich deshalb zu viel." Sie rät ihnen von der Ausbildung ab. Das Heilsversprechen, es hat seine Grenzen.

Experten warnen auch vor Verletzungen in Kursen bei schlechten Lehrern, zum Teil selbst ausgebildet in einwöchigen Crashkursen - oder gar nicht. Ein autoritärer Meister zwang auch Bellur Krishnamachar Sundararaja Iyengar, den von vielen Leiden genesenen Yogi, so harsch in eine Übung, dass der jahrelang an den Folgen litt. Monika Stahl aber, die vor vier Jahren keine Stufe mehr schaffte, knipst nun im Münchner Turnraum die Salzlampe aus, schultert ihre Matten und läuft berufsbeschwingt die Treppe hinauf in den kalten Herbstabend.

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