Wohnen: Phänomen Ikea:Hinter schwedischen Gardinen

Auspacken, aufbauen, geht nicht: Möbel von Ikea sind immer eine Herausforderung. Über schwedische Selbsterfahrungen sind viele Texte erschienen und auch ein Buch: "Wir Ikeaner".

Es ist immer das Gleiche: Man will nur ein Regal kaufen und kommt mit einem Auto voller Duftkerzen und Aufbewahrungsboxen zurück. Ein Besuch bei Ikea ist ein Abenteuer. Und das geht beim Aufbau der Möbelstücke erst so richtig los. Trotzdem können die Leute irgendwie von dem schwedischen Möbelhaus des Ingvar Kamprad nicht lassen.

Wohnen: Phänomen Ikea, Hinter schwedischen Gardinen

Wie - die Kreuzschrauben durch die Lasche ziehen? Wer ein Möbelstück von Ikea aufbauen möchte, steht oft vor einem großen Fragezeichen.

(Foto: Foto: sueddeutsche.de)

Das Phänomen hat Wirtschaftsjournalisten, Feuilletonisten und Lifestyle-Redakteure immer wieder beschäftigt. Es ist ja auch eine ganz eigene Welt, in der die schwedischen Vermöbler jeden mit "Du" ansprechen und ihre Produkte "Billy", "Ivar"oder "Sommar" taufen.

Gründer Kamprad selbst hat 1998 ein Buch über das Ikea-Geheimnis geschrieben, acht Jahre später gefolgt von Rüdiger Jungbluth, der gleich "elf Geheimnisse des Ikea-Erfolgs" entdeckt haben will.

Das Leben führt nicht am gelb-blauen Möbelhaus an der Autobahn vor der großen Stadt vorbei, weshalb Sebastian Herrmann, Wissenschaftsredakteur der Süddeutschen Zeitung, in seinem Buch von "Wir Ikeaner" spricht. Vor einigen Jahren hatte Bild ja behauptet, "Wir sind Papst", aber vermutlich eint die Hassliebe zu Kamprads Konzern Katholiken und Protestanten, Sozialisten und Kapitalisten in auffälliger Weise.

Ein Besuch beim schwedischen Möbelhaus kann nun mal leicht in einem Ehekrach enden, und Männer bekommen beim Aufbau von Regalen regelmäßig Wutanfälle. Und dennoch sind die Deutschen dem Möbelhaus treu ergeben.

Autor Herrmann hat sich selbst beobachtet: "Ich kann meinen Alltag offenbar nicht aus dem Griff dieses Möbelhauses befreien. Ständig kommt etwas Neues von den Schweden dazu und verstopft unsere Wohnung weiter - und wenn es nur die Klobürste "Viren" ist. Ich nutze jede Gelegenheit, um zu jammern, dass ich mit meiner Ikea-begeisterten Freundin wieder dorthin fahren soll. Und dann lasse ich mich aber doch immer von ein paar Köttbullars oder einem Hotdog mit vielen Röstzwiebeln besänftigen."

Ja, diese Köttbullars gibt es nur in diesen möbilierten Kommunikationszentren - genau wie irgendwelche Hängeteile oder lackierte Pressspanplatten. Es gibt viele aufgeklärte Deutsche, die in einem Moment der Selbsterkenntnis sagen: "Meine schlimmsten Samstage hatte ich bei Ikea!"

Danach geht der Stress erst los, wenn der Hobbymöbelbauer mit einem Spezial-Inbusschlüssel hantieren muss und sich dabei den Daumen verletzt. Vorausgesetzt, er hat die Piktogramme, die als Montageanleitung herhalten, verstanden. Die große Frage ist: Warum tappen wir trotzdem immer wieder in die Ikea-Falle?

Die Antwort des Feldforschers Herrmann: Weil wir die ganze Ikea-Folklore lieben. Ikea ist für uns das Sinnbild eines guten Unternehmens, wir betrachten keinen anderen Konzern von dieser Größe so wohlwollend. Das ist auch Ausdruck der generellen Skandinavien-Liebe der Deutschen. Michel von Lönneberga, Pippi Langstrumpf und die anderen Figuren von Astrid Lindgren begleiten uns durch die Jugend. Später schauen sich dann viele sonntags im ZDF Inga-Lindström-Schnulzen an.

Schweden war für die Deutschen einmal das Sinnbild für Freiheit und Fortschritt. Längst sind die Steuern dort so hoch, dass ein Ingvar Kamprad lieber mit seiner Stiftung in die Niederlande ging und persönlich in der schönen Schweiz residiert.

Und doch blieb es beim "Bullerbü-Syndom", wie das Berthold Franke, der Leiter des Goethe-Instituts in Stockholm, bezeichnet - gemeint ist diese Sehnsucht nach dem Guten und Unverdorbenen, die wir in Schweden erfüllt sehen. Das wird dann einfach auf einen Möbeldiscountkonzern übertragen.

Außerdem lieben die Menschen Dinge ganz besonders, die sie selbst geschaffen haben. Der US-Verhaltensökonom Dan Ariely hat dafür den Begriff "Ikea-Effekt" geprägt: Man liebt Billy, auch wenn das Ding wackelt - weil das Regal selbst zusammengeschraubt ist.

Wissenschaftlich gibt es also keinen Mangel an Erklärungen, warum die Deutschen und andere Völker so von dem Unternehmen abhängig sind. Wie aber kommen wir aus der Ikea-Falle wieder heraus?

Die Antwort von Autor Herrmann: Dazu müssten wir kollektiv in kleinere Wohnungen ziehen. Aber selbst das wäre vermutlich sinnlos, denn Ikea suggeriert uns doch allen das organisierbare Wohnen. Das heißt, wir würden noch mehr pfiffige Aufbewahrungslösungen kaufen, um den wenigen Platz noch effektiver für neue Ikea-Produkte zu nutzen. Wir werden ewig im Ikea-Hamsterrad den idealen Wohnbeispielen aus dem Katalog hinterherjagen - und zu Hause merken, dass unsere Wohnwirklichkeit noch immer nicht mit den Versionen eines perfekten Zuhauses aus der Ikea-Bibel übereinstimmt.

Das klingt nach einem Schrecken ohne Ende, nach einer lebenslangen Zwangsbeziehung. Offenbar kann dieses Lebensgefühl jede Phase überstehen, ja, eine existenzielle Krise scheint ausgeschlosen. Selbst an Nazi-Verstrickungen des Gründers Kamprad publik wurden, lebten linke Kreise weiter mit "Billy" und "Klippan". Diese Marke steht nun mal für ein Lebensgefühl, das man sich nicht zerstören lassen möchte.

Und so freuen sich alle, wenn der US-Soziologe Richard Sennett feststellt, dass Ikea nicht nur sehr gute Betten herstelle, sondern auch "die Kluft zwischen Produzenten und Konsumenten" verkleinert habe. Im Winter, wenn es kalt ist, soll es Singles verstärkt in die schwedischen Möbelhäuser treiben, auf dass sie jemanden finden, der ihnen "Billy" erklärt - von Ikeaner zu Ikeaner.

Und was ist Ihr schlimmstes Ikea-Erlebnis? Schreiben Sie uns!

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