Wie sich Krankenpflege wandelt:Wen kümmert's

Warum sieht man in Deutschland kaum alte Behinderte? Wieso sind Krankenschwestern so schlecht gestellt? Und weshalb sind Patienten in Krankenhäusern oft unterversorgt? Eine Ausstellung zum Thema Krankenpflege im Hamburger Museum der Arbeit sucht Antworten. Leider leicht einseitig.

Von Ruth Schneeberger, Hamburg

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(Foto: Museum der Arbeit Hamburg)

Warum man in Deutschland kaum alte Behinderte sieht, wieso Krankenschwestern und-pfleger so schlecht gestellt sind und dass Patienten in Krankenhäusern zunehmend unterversorgt sind, zeigt eine Ausstellung zum Thema Krankenpflege im Museum der Arbeit in Hamburg. Leider leicht einseitig. "Gesundheit lässt sich nicht kaufen und Krankheit nicht bezahlen." Der Franziskaner-Pater Peter Amendt bringt auf den Punkt, warum wir Krankheiten fürchten: Sie sind so schlecht zu steuern. Viele fühlen sich ihnen hilflos ausgeliefert, sobald es sie trifft. Umso wichtiger wäre es, sich zumindest dort aufgehoben zu fühlen, wo Krankheiten professionell behandelt werden sollen - im Krankenhaus. Was dem entgegensteht, wieso die Versorgung in Krankenhäusern auch im Jahr 2013 und selbst im hochentwickelten Deutschland so schwierig ist und woran das System krankt, darüber gibt eine Ausstellung Auskunft, die zurzeit im Museum der Arbeit in Hamburg zu sehen ist.

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(Foto: Albertinen Krankenhaus: Rauchen verboten/1948/Museum der Arbeit Hamburg)

"Who cares" lautet der Titel - und er ist durchaus zweideutig zu verstehen: Erstens liegt der Schwerpunkt der Ausstellung auf den Pflegenden, und zwar vor allem denen in Krankenhäusern. Zweitens deutet er zumindest eines der Probleme an: Wen kümmert's denn? Wie genau die Pflege abläuft, wie mit den Kranken umgegangen wird, ob der Patient am Genesungsprozess beteiligt oder doch eher verwaltet wird. Und wen kümmert's, wie es den Pflegenden dabei geht? Weil das Museum der Arbeit in Hamburg sich traditionell den Belangen der arbeitenden Bevölkerung widmet, liegt hier der Fokus eindeutig auf den Pflegern, definitiv nicht auf den Kranken. Doch auch für alle anderen Besucher ist interessant, wie sich die Krankenpflege in Deutschland in den vergangenen Jahrhunderten entwickelt hat. 

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(Foto: Christoph Weber/ BMM der Charité: Kinderrollstuhl um 1965)

Krankheiten gibt es, seit es Menschen gibt. Und genauso alt ist die Frage, wer sich der Kranken annimmt. Aus der griechischen und römischen Antike sind dazu nur spärliche Quellen überliefert. Bekannt ist, dass die Krankenpflege damals vor allem innerhalb des Familienverbundes stattfand - und zwar durch Frauen. Oder durch Sklaven. So richtig viel verändert scheint sich an diesem Erfolgsmodell durch die Jahrtausende nicht zu haben - abgesehen davon, dass die meisten akut Kranken heutzutage nicht mehr zuhause gepflegt werden. Frauen und Arbeitnehmer in vergleichbar prekären Verhältnissen sind jedenfalls immer noch vorwiegend in der Krankenpflege aktiv.

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(Foto: dapd)

Die Ausstellung beginnt mit dem 17. Jahrhundert, als sich staatliche Obrigkeiten zunehmend gesundheitspolitischer Fragen annehmen. Die Französische Revolution treibt auf dem europäischen Kontinent den gesellschaftlichen Wandel voran. Bis dahin hatten sich um die Kranken, die nicht in der Familie gepflegt werden konnten, christliche Verbände und Orden gekümmert, unter anderem die Johanniter, Franziskaner, die Beginen oder die Barmherzigen Brüder. Ihr Leitbild entstammte dem lateinischen Begriff der "Karitas" (Nächstenliebe, Wohltätigkeit). Schon in der Frühzeit des Christentums hatten viele feindlich gesinnte Herrscher die Christen gewähren lassen - denn wer kümmerte sich schon gerne freiwillig um die Kranken? So auch diesmal: Nach der französischen Revolution wurde die Religion kritisch beäugt, viele Orden wurden aufgelöst. Doch als den Herrschenden klar wurde, dass damit auch die Krankenversorgung darnieder lag, durften diese ihre Arbeit wieder aufnehmen.

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(Foto: Thomas Bruns: Körperpflege 2011/ Museum der Arbeit Hamburg)

In den staatlichen Krankenanstalten, die im 18. Jahrhundert vermehrt errichtet wurden, herrschten teils chaotische Zustände. Dort wurden vor allem Arme aufgenommen, gepflegt wurden sie von oft ungelernten Wärtern. Das Personal war knapp, die Arbeit schlecht bezahlt, die Missstände und Klagen mehrten sich.   Das Wiederaufleben der Ordenspflege zu Beginn des 19. Jahrhunderts war wichtig für die Entwicklung der Pflege in Deutschland - ihre Struktur prägte die Krankenpflege bis weit ins 20. Jahrhundert. Zu einer Zeit, da Krankenpflege in Deutschland noch völlig ohne Ausbildung erbracht werden konnte, stellten die Ordensleute einen Großteil des wenigen überhaupt geschulten Personals. Auch wenn viele Nonnen damals noch manchmal weniger Wert auf die körperliche als auf die seelische Unterstützung der Kranken legten, genauer: auf die Bekehrung zum Glauben. Die Ausstellung zeigt einen Rosenkranz, der gemeinsam gebetet, Singbücher, die zusammen aufgeschlagen, und Sinnsprüche, die gemeinsam zitiert wurden, so etwa Psalm 37,5 aus der Bibel: "Wälze die Last Deines Weges auf den Herrn und im Vertrauen auf ihn ruhe, er wird handeln." Gehandelt haben allerdings durch die Jahrhunderte vor allem andere.

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(Foto: Schwesternspeisezimmer an der Charité um 1900/BMM der Charité/ Museum der Arbeit Hamburg)

Nämlich: die Ärzte. Museumsmitarbeiter Jens Germerdonk erläutert bei einer Führung durch die Ausstellung, vor einer Schale zum Auffangen des Blutes bei Aderlass: "Im Mittelalter und der frühen Neuzeit gab es ja noch keine moderne wissenschaftliche Medizin, trotzdem hatten die Ärzte über die Jahrhunderte schon ein gutes Selbstbewusstsein entwickelt. Ärztliche Schriften kennen wir schon aus der Antike, die Bibliotheken sind voll davon. Heute sehen wir deren medizinische Erkenntnisse etwas anders, etwa in Bezug auf Säftelehre usw., aber damals dachte man: Aderlass hilft immer. Das war die Idee der Ärzte. Und die Pfleger folgten." Der Arzt als Schriftgelehrter, die Pflegerin als seine Assistentin, die ihm bereitwillig zur Hand geht - diese Rollenverteilung sei vor allem in Deutschland historisch gewachsen, sagt Germerdonk. Ein Grund: Das Mutterhaus-Prinzip der konfessionellen Orden. Die Regel, dass sich Krankenschwestern ihr Leben lang einem Orden verpflichten mussten, war lange Zeit eine der wenigen Chancen auch für bürgerliche Frauen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen - und eine Alternative zur Ehe. Das Leben als Ordensschwester bedeutete aber auch eine neue Form der Abhängigkeit und Unterwürfigkeit unter katholisch und hierarchisch geprägte Strukturen. Neben der konfessionell organisierten Pflege machten sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts die ersten freien Krankenschwestern, die "wilden Schwestern", selbstständig - und pflegten reiche Einzelpersonen in Haushalten, die sich das leisten konnten. Denn die Pflege in Krankenhäusern war weiterhin so unprofessionell, dass, wer es sich leisten konnte, seine kranken Angehörigen zuhause betreuen ließ. Darüber hinaus bildeten sich unter anderem für Kriegsversehrte auch unkonfessionelle Verbände, vor allem das Rote Kreuz. Erst 1907 beschloss der Reichstag in Berlin ein Gesetz, dass es Krankenpflegern empfahl, eine einjährige Ausbildung zu absolvieren. 1921 wurde die Ausbildung auf zwei Jahre verlängert.

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(Foto: dpa/Krankenhaus)

Gerade war die Pflege auf dem Weg der Professionalisierung und wollte aus dem Schatten der dominierenden Ärzteschaft heraustreten - da kamen ihr die beiden Weltkriege dazwischen. Der Nationalsozialismus mit dem Versuch der Gleichschaltung aller Lebensbereiche und mit der Vernichtung sogenannten "unwerten Lebens" hatte verheerende Auswirkungen. Unter anderem die, sagt Jens Germerdonk, dass, "wir heute kaum alte Behinderte auf der Straße sehen." Viele Behinderte wurden im Rahmen der Euthanasie damals ermordet. Erst in den 50er und 60er Jahren wurde der Berufsstand der Krankenpfleger aufgebaut und endlich als Ausbildungsberuf mit dreijähriger Lehre professionalisiert. Doch während in englischsprachigen Ländern die Pflege und ihre Ausbildung einen rasanten Aufstieg hinlegte, die Pfleger selbstbewusster und den Ärzten ebenbürtiger wurden, richteten deutsche Hochschulen erst Ende des 20. Jahrhunderts die ersten Pflegestudiengänge ein. Und auch heute läuft noch längst nicht alles rund mit der Krankenpflege - im Gegenteil: Eine Schautafel im Museum der Arbeit zeigt, wie die Entwicklung des Personalschlüssels in deutschen Krankenhäusern seit rund 20 Jahren aussieht: Während die Vollzeitkräfte beim ärztlichen Personal seit 1995 ein stetiges Plus verzeichnen (1995 plus neun, 2005 plus 20, 2007 plus 25 Prozent), wird das Pflegepersonal ständig abgebaut (1995 minus zwei, 2007 minus 15 Prozent). Das geht offenbar nicht ohne erhebliche Probleme vonstatten.

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(Foto: Christoph Weber/ BMM der Charité/Insulinspritze, nach 1970)

Eine der großen Stärken der Ausstellung ist es, dass in einem Ruheraum über Kopfhörer Krankenschwestern zu Wort kommen. So etwa die Schwester einer Intensivstation, die zwar anonym aber dafür umso eindringlicher schildert, wie immer wieder demenzkranke Frauen mit Oberschenkelhalsbrüchen eingeliefert werden, die nicht die einzigen sind, die keine Ahnung haben, was los ist: "Die haben Schmerzen, die wissen gar nicht, wo sie sind, hier ist ja alles ganz fremd für die", schildert die Schwester. Das noch größere Problem: "Und wir wissen von denen überhaupt nichts. Die Ärzte schreiben uns in der Regel nur die Bedarfsmedikation auf, keinen pflegerischen Bericht oder biografische Infos, dazu scheint keine Zeit zu sein. Und das hilft uns dann überhaupt nicht weiter. Die Chirurgen ignorieren häufig auch das, was in den Berichten steht, die haben ja eh nur ihr Fachauge."  "Manchmal erfahren wir dann erst Tage später, was die Leute für Vorerkrankungen haben - im schlimmsten Fall bekommen die dann Entzug, weil sie eigentlich irgendwelche Medikamente nehmen müssen, die werden dann ganz aggressiv und unruhig. Manchmal müssen wir die Patienten dann in die Isolationskabine schieben, mit Bettgitter, Bauchgurt und medikamentös abgeschossen." Die Schwester beteuert: "Ich weiß natürlich, dass das nicht richtig ist - aber was soll ich denn machen?" Sie sei "immer ziemlich erleichtert, wenn die Patienten hier heil davongekommen sind." Wohlgemerkt: in einem Krankenhaus. Und das nur wegen Zeitmangel und Personalknappheit.

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(Foto: Thomas Bruns/ Museum der Arbeit Hamburg/Ausbildung an der Übungspuppe, 2011)

Eine Schwäche der Ausstellung ist, dass sie ein recht einseitiges Bild der Krankenpflege liefert, nämlich die Sicht der Pflegenden. Weshalb es auch vor allem Pflegende sind, die sich hier als Besucher zwischen den spärlichen frühen Ausbildungsbüchern, der Berufskleidung im Wandel der Jahrhunderte und pflegerischen Utensilien wie 100 Jahre alten Blasenkathetern oder 70 Jahre alten Wattetupfern umsehen. Ihre Sorgen und Nöte ernst zu nehmen, ist ein guter und wichtiger Schritt. Immerhin werden etwa zehn Prozent der in Deutschland Beschäftigten dem Pflegebereich zugerechnet. Doch schon in der Ausstellung wird oft das Wohl des Pflegenden über das Wohl des zu Pflegenden gestellt - und in Krankenhäusern ist es manchmal nicht viel anders. Deshalb ist es mit der Professionalisierung des Berufsstandes trotz jahrhundertelanger Bemühungen offenbar immer noch nicht allzu weit her. Bis es die Gesellschaft schafft, dass tatsächlich der Patient im Mittelpunkt steht, müssen sowohl Ärzte- als auch Pflegerschaft und vor allem auch die Politik wohl erst selbst noch zu einem gesunden Miteinander finden. Die Ausstellung "Who cares" im Museum der Arbeit Hamburg läuft noch bis zum 15. September. Weitere Infos: www.museum-der-arbeit.de

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