"Wie ich Euch sehe" zu Kaminkehrer: "Die meisten wollen mich anfassen"

"Wie ich Euch sehe" zu Kaminkehrer: "Wie ich euch sehe" - diesmal aus der Sicht eines Kaminkehrers

"Wie ich euch sehe" - diesmal aus der Sicht eines Kaminkehrers

(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Zum Jahreswechsel werden wieder kleine Schornsteinfeger-Figuren verteilt. Ein Kaminkehrer erzählt in einer Folge von "Wie ich euch sehe", wie es sich als rußüberzogener Glücksbringer lebt.

Von Dorothea Grass

In unserer Serie "Wie ich euch sehe" kommen Protagonisten unseres Alltags zu Wort - Menschen, denen wir täglich begegnen, über die jeder eine Meinung, aber von denen die wenigsten eine Ahnung haben: eine Wiesnbedienung, ein Pfarrer, die Frau an der Supermarktkasse. Sie erzählen uns, wie es ihnen ergeht, wenn sie es mit uns zu tun bekommen - als Kunden, Gäste, Mitmenschen. Diesmal erzählt der Kaminkehrer Timo L., wie er seinen Alltag erlebt.

Die meisten Menschen freuen sich, wenn sie mich sehen. Von den Leuten in der Stadt höre ich oft: "Gibt es Sie auch noch?" Auf dem Land ist es herzlicher, viele kennen einen schon. Oft wollen mich die Leute anfassen, das soll Glück bringen. Manche wollen, dass ich ihnen eine schwarze Nasenspitze verpasse, denen streiche ich dann einmal mit dem Finger drüber.

Am Anfang fand ich es komisch, dass so viele Fremde zu mir kamen und angefasst werden wollten. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt. Einmal ist es mir aber zu viel geworden. Ich war noch in der Ausbildung und befand mich gerade in der Wohnung einer älteren Dame. Sie fragte, ob sie mich auch einmal drücken dürfe und langte mir dabei richtig fest an den Hintern. Wenn sie 25 gewesen wäre, hätte ich das vielleicht noch in Ordnung gefunden - aber so nicht!

Was ich überhaupt nicht leiden kann, sind Leute, die denken, sie wären was Besseres, nur weil sie in einem schicken Haus wohnen oder im Büro arbeiten, wo sie sich nicht schmutzig machen müssen. Man merkt es schon daran, wie sie einem die Tür öffnen. Manche fragen grantig: "Was wollen Sie hier?" Einer hat seiner Frau zugerufen: "Schatz, der depperte Kaminkehrer ist da, soll ich ihn reinlassen?"

Manche von euch denken, ich bin Kaminkehrer geworden, weil ich in der Schule nicht aufgepasst hätte. Ich wurde schon gefragt, ob es für den Beruf überhaupt eine Lehre gibt. Denen kann ich nur sagen: Nicht jeder kann Kaminkehrer werden. Wir kontrollieren und reinigen Lüftungs- und Feuerungsanlagen, messen Abgaswerte, beraten zu Energie und Brandschutz. Neben handwerklichem Wissen müssen wir die Verbrennungslehre beherrschen und mithilfe der Stöchiometrie chemische Reaktionen berechnen. Außerdem kennen wir uns mit Feuerungsverordnungen und Brandschutzkonzepten aus. Und wir sollten den Inhalt von fünf Gesetzesbüchern im Kopf haben - hinzu kommen die sich jährlich ändernden Verordnungen.

Es kann auch nicht jeder auf Dächer steigen. Wir machen das bei jedem Wetter. Besonders gefährlich sind Windböen. Wenn noch Morgentau hinzukommt, müssen wir wahnsinnig aufpassen, das kann wie Glatteis sein. Den Hausbesitzern unter Euch möchte ich sagen: Bitte schaut nach Euren Dächern und haltet die Sicherheitsvorschriften ein! Wenn Schindeln nicht richtig sitzen, haben wir keinen festen Tritt und geraten aus dem Gleichgewicht. Pfusch kann für uns lebensbedrohlich sein.

Für Beziehungsprobleme bin ich nicht zuständig

Wir Kaminkehrer sind stolz auf unseren Beruf. Zum einen, weil er eine lange Tradition hat und zum anderen, weil er selten ist. Wir erklären Hauseigentümern, wie sie mit ihrer Heizung und den Kaminen zu verfahren haben. Wir sorgen dafür, dass die Vorschriften zum Brand- und Umweltschutz eingehalten werden. Wenn der Kamin nicht gekehrt wird, kann er verstopfen und die Abgase entweichen in die Innenräume. Kohlenmonoxid kann man weder riechen noch schmecken, aber es ist ein lebensgefährliches Gift. Macht Euch das mal klar!

Meine Kollegen und ich sind übrigens nicht nur für offene Kamine zuständig. Wir kümmern uns um alle Vorrichtungen, bei denen Verbrennung entsteht, um zu heizen: Öl- und Gasheizungen, Feststoffheizungen, Heizungen durch Holzverfeuerung. Auch in Gasthermen und Durchlaufwasserheizern brennt ein Feuer. Und wenn Gasherde nicht nur zum Kochen sondern auch zum Heizen dienen, müssen wir uns auch die ansehen.

Ich mag meinen Beruf, weil ich damit etwas Sinnvolles tue. Am schönsten finde ich es, auf einem Hausdach zu stehen und die Berge zu sehen. Es kommt vor, dass ich zu Kaffee und Kuchen eingeladen werde, manchmal auch zum Frühstück. Wir reden dann über Gott und die Welt, ich bekomme mit, was im Dorf so läuft. Manchmal ist aber auch eine Grenze erreicht, wenn es um Politik geht etwa. Ganz heikel ist das Flüchtlingsthema. Nur, weil ich zu einer althergebrachten Berufsgruppe gehöre, muss ich noch lange nicht eine konservative Weltanschauung haben. Was mich überfordert, ist, wenn Kunden mit mir Beziehungsprobleme bereden wollen, dafür bin ich nicht der richtige Ansprechpartner.

Es würde mir übrigens sehr helfen, wenn Ihr mich meine Arbeit machen lasst, ohne an mir zu kleben. Hört auf, mir auf die Pelle zu rücken, so dass ich euren Atem im Ohr spüre. Das stört total. Gegen ein bisschen Aufräumen hätte ich auch nichts. Zumindest den Zugang zum Kamin könntet Ihr freiräumen, bevor ich komme. Es muss nicht total clean sein. Aber was mich stört, sind vollgekackte Katzenklos vor dem Heizungskeller, über die ich steigen muss. Ihr werdet alle rechtzeitig informiert, wenn der Kaminkehrer kommt, denkt also an die Termine! Die wenigsten wissen: Wenn die Frist abgelaufen ist, müssen wir das Landratsamt informieren und dann kommt ein Bußgeldbescheid.

Und bitte regt Euch nicht jedes Mal auf über meinen Besuch. Ich mache nur meine Arbeit, dabei geht es ausschließlich um Eure Sicherheit und Lebensqualität. Lasst bitte auch das Geschimpfe auf die Preise sein. Das, was auf der Rechnung steht, ist der Bruttopreis. Davon bleibt mir am Ende nur wenig.

Ach so, eines noch: In Bayern heißt es Kaminkehrer, nicht Schornsteinfeger.

Wie nehmen Sie die Menschen wahr, mit denen Sie sich aufgrund Ihrer persönlichen Lebenssituation oder Ihres Berufes tagtäglich auseinandersetzen? Was wollten Sie ihnen schon immer einmal sagen? Senden Sie uns eine kurze Beschreibung per E-Mail an: violetta.simon@sueddeutsche.de. Wir melden uns bei Ihnen.

In dieser Serie kommen Menschen zu Wort, mit denen wir täglich zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht und welche Rolle wir dabei spielen - als nervige Kunden, ungeduldige Patienten, ignorante Mitmenschen.

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