"Wie ich euch sehe" zu Hausmeister:"Danke, dass ihr meine Überzeugungen erschüttert"

"Wie ich euch sehe" zu Hausmeister: Ein Hausmeister an einer Schule kümmert sich nicht nur um Reparaturen.

Ein Hausmeister an einer Schule kümmert sich nicht nur um Reparaturen.

(Foto: Illustration Jessy Asmus für SZ.de)

Von ihm braucht jeder irgendwas: Ein Schulhausmeister berichtet, warum er auf manche Kinder stolz ist, als wären es seine eigenen - und vom Phänomen schlüsselvergessender Spanischlehrerinnen.

Protokoll: Simon Hurtz

In unserer Serie "Wie ich euch sehe" kommen Menschen zu Wort, mit denen wir täglich zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen: ein Busfahrer, eine Polizistin, ein Stotterer, eine Kassiererin, ein Zahnarzt. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht, wenn sie es mit uns zu tun bekommen - als Kunden, Patienten, Mitmenschen. Diesmal erzählt ein Schulhausmeister aus seinem Alltag.

Zu uns Hausmeistern kommen Schüler, Lehrer und Besucher, wenn sie etwas brauchen: eine Mehrfachsteckdose, Kreide, eine Leiter. Die meisten haben den Schlüssel für ihr Schließfach vergessen - an sich kein Problem. Doch warum schafft es nur die Hälfte von Euch, sich ein "Hallo" oder "Guten Tag" abzuringen, wenn Ihr den Raum betretet - oder das Wort "Bitte" auszusprechen? Viele sind wohl einfach schüchtern, die trauen sich auch sonst kaum, mit fremden Erwachsenen zu sprechen.

Doch es gibt auch andere Fälle, etwa eine Zehnjährige, die hereinstürmte und nur das Wort "Schlüssel!" über den Tresen bellte. Solche Antragsteller bekommen Gelegenheit, durch Verlassen des Büros und kurzes Nachdenken ihren Auftritt beim zweiten Versuch sozialverträglicher zu gestalten. Sie zeigen durchwegs beeindruckende Lernfähigkeit. Ab und zu bekomme ich hübsche Anekdoten zu hören. Etwa die Geschichte vom Schlüsselbund, der in der Toilette heruntergespült wurde - ein Pendant zu den Hausaufgaben, die der Hund gefressen hat.

Aber auch Mitglieder des Kollegiums verlassen morgens offenbar oft in Hektik das Haus, ohne alle Schlüssel beisammenzuhaben. Aus irgendeinem Grund handelt es sich dabei mehrheitlich um Damen, darunter auffallend viele Spanischlehrerinnen. Ich habe leider auch keine Erklärung für dieses Phänomen, kann es aber empirisch belegen.

Die Hierarchie ist eher flach - niemand verscherzt es sich gern mit dem Hausmeister, schließlich könnte man schon morgen auf seinen guten Willen angewiesen sein. Das macht es mitunter schwer zu unterscheiden, wann Freundlichkeit auf Kalkül beruht und wann sie ehrlich ist. Aber letztendlich macht das für mich keinen großen Unterschied, solange ich respektvoll von Euch behandelt werde. Grund, mich über Schüler zu ärgern, habe ich selten. Vandalismus ist lästig und neue Graffiti auf der frisch gestrichenen Wand unerfreulich. Aber das kommt an unserer friedlichen Schule so selten vor, dass ich es gut verschmerzen kann.

Eingewöhnung - nicht immer leicht

Gelegentlich suchen uns Eltern in Begleitung ihrer Kinder auf, meist wenn diese etwas verloren haben. Oft schockiert mich der rüde Umgangston und das fehlende Verständnis für einen Zehn- oder Elfjährigen. Können Sie sich eigentlich vorstellen, wie schwer es für Ihr Kind ist, wenn es aus einer kleinen Dorfschule kommt und noch nicht alle Abläufe in so einer riesigen Schule verinnerlicht hat? Ich erzähle ihm dann beim Wühlen in der Kleiderkammer, wie ich letztes Jahr meinen eigenen Pullover dort wiedergefunden habe.

Den Schülern dabei zuzusehen, wie sie älter werden und reifen, ist oft spannend und erstaunlich. Viele verändern sich in der Pubertät elementar, oft erblühen unscheinbare Pflänzchen zu begabten, ausdrucksvollen Gewächsen. Manche bleiben sich treu und man ahnt, dass aus der einen eine selbstbewusst-freundliche Geschäftsfrau und aus dem anderen ein verschlossenes IT-Genie wird.

In einer Kleinstadt gehört es zum Alltag, Schüler auf der Straße oder im Supermarkt zu treffen. Für mich ist das meist erfreulich, denn als Hausmeister habe ich keine Konflikte mit den Kindern auszutragen und muss nicht über ihre Benotung streiten. So ist das Verhältnis fast immer freundlich. Was mich betrübt, sind Kinder, die ganz offensichtlich vernachlässigt werden und denen man anmerkt, dass sie lieber in der Schule als zu Hause sind. Die bleiben auch dann bis zum Schluss, wenn der Nachmittagsunterricht ausfällt. Das sollte nicht so sein, das macht mich traurig.

Dankbar für die Arbeit mit Kindern

Ein neues Thema sind die Flüchtlinge. Etwa 50 Kinder sind aus Syrien, Irak, Afghanistan, dem Westbalkan und anderen Ländern an unsere Schule gekommen. In zwei Sprachlernklassen werden sie von engagierten Kollegen und Kolleginnen gefördert. Alle sind sehr bemüht, Deutsch zu lernen und sich einzuleben.

Die Verständigung geht anfangs oft mit Händen und Füßen, aber es ist erstaunlich, wie schnell die meisten Deutsch lernen. Außerdem sind inzwischen so viele Muttersprachen vertreten, dass sich fast immer jemand findet, der übersetzen kann. Vielen merkt man die Traumata an, die sie in den Kriegsgebieten erlitten haben. Dennoch sehe ich hoffnungsvolle Gesichter, die offen sind für Kontakte und bereit sind, sich auf das neue Land, das neue Leben, die anderen Sitten einzulassen. Ich erlebe sie fast ausnahmslos als sehr freundliche, lernwillige und dankbare Jugendliche.

Wir betreiben eine Fahrrad-AG, in der einige der Flüchtlinge mitarbeiten, und sogar eine kleine "Fahrradfahrschule" mit einem Tandem und einem Laufrad für Jugendliche, denn viele können noch nicht Rad fahren, wenn sie nach Deutschland kommen. Das Tandem war beim ersten Einsatz eine Sensation für die Syrer, denn so etwas hatten sie noch nicht gesehen. Sie haben es sofort geentert und sind damit ausgelassen, vor Freude juchzend und zeitweise zu dritt über den Schulhof gerast. Und repariert man ihnen das Fahrrad, dann sind sie dankbar und man sieht ihnen die Freude an. Für mich ist es die schönste Belohnung, wenn ich sie auf dem Rad stolz durch die Stadt flitzen sehe.

Wenn jemand von Abschiebung bedroht ist, geht mir das nahe. Derzeit betrifft es eine Familie aus Montenegro, deren 16- und 18-jährige Söhne bei uns durch ihren Lernwillen, ihre bemerkenswerte Freundlichkeit und ihren Optimismus ein Paradebeispiel für gelingende Integration abgeben. Obwohl sich Freunde und Mitschüler sogar mit einer Demonstration für sie eingesetzt haben, haben sie kaum eine Chance auf einen dauerhaften Aufenthaltstitel.

Schön, wie glücklich Bildung machen kann

Am meisten freue ich mich, wenn Schüler zeigen, was sie gelernt haben: Wenn der Musikbereich ein Konzert gibt, wenn eine Abiturientin eine großartige CD mit eigenen Songs veröffentlicht, wenn eine Gruppe Mädchen einen Forscherpreis gewinnt oder die Fußballer wieder einen Pokal holen. Es ist so schön zu sehen, wie glücklich Bildung machen kann. Wenn etwa eine schüchterne, orientierungslose 16-Jährige zur souveränen Kassiererin gereift ist oder eine Hauptschülerin innerhalb kürzester Zeit Mechatroniker-Meisterin geworden ist und jetzt BWL studiert, dann bin ich stolz auf deren Leistungen, als wären es meine eigenen Kinder.

Oft ist es einfach unglaublich lustig, mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. Aber ich bin auch dankbar dafür, weil es mich davor bewahrt, mir meiner Ansichten zu sicher zu sein. Ihr bringt mich täglich dazu, mich mit den Meinungen und Standpunkten einer anderen Generation auseinanderzusetzen. Und ich finde es erfrischend, meine Überzeugungen von euch erschüttern zu lassen. Dafür liebe ich meinen Beruf.

In dieser Serie kommen Menschen zu Wort, mit denen wir täglich zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht und welche Rolle wir dabei spielen - als nervige Kunden, ungeduldige Patienten, ignorante Mitmenschen.

  • "Brauchen wir länger, tut uns das genauso weh"

    Ständig unter Strom und trotzdem meist zu spät: Ein Pizzabote erzählt, was er riskiert, um seine Lieferung möglichst schnell zum Kunden zu bringen. Und warum er sich oft wie ein Detektiv vorkommt.

  • "Die meisten wollen mich anfassen"

    Zum Jahreswechsel werden wieder kleine Schornsteinfeger-Figuren verteilt. Ein Kaminkehrer erzählt in einer Folge von "Wie ich euch sehe", wie es sich als rußüberzogener Glücksbringer lebt.

  • "Manchmal muss ich regelrecht die Tür verteidigen"

    Frauen, die sich um Ausscheidungen sorgen, Familien, die den Kreißsaal stürmen, Männer, die plötzlich umfallen: Eine Hebamme erzählt in einer Folge von "Wie ich euch sehe", was sie bei Geburten erlebt.

Wie nehmen Sie die Menschen wahr, mit denen Sie sich aufgrund Ihrer Lebenssituation oder Ihres Berufes tagtäglich auseinandersetzen? Was wollten Sie schon immer einmal loswerden? Senden Sie ein paar Sätze mit einer kurzen Beschreibung Ihrer Situation per E-Mail an: leben@sueddeutsche.de. Wir melden uns bei Ihnen.

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