"Wie ich euch sehe" zu Callcenter-Mitarbeiterin:"Eure Katastrophen sind für uns Routine"

"Wie ich euch sehe" zu Callcenter-Mitarbeiterin: Wünscht sich mehr Geduld von den Kunden: eine Mitarbeiterin im Callcenter.

Wünscht sich mehr Geduld von den Kunden: eine Mitarbeiterin im Callcenter.

(Foto: Illustration Jessy Asmus für SZ.de)

Sie bekommt nichts als Beschwerden, nie geht es den Kunden schnell genug: Eine Callcenter-Mitarbeiterin erzählt aus ihrem Alltag. Sie verrät, warum sie am Telefon manchmal schwindelt.

Protokoll: Kristiana Ludwig

In unserer Serie "Wie ich euch sehe" kommen Menschen zu Wort, denen wir täglich begegnen, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht, wenn sie es mit uns zu tun bekommen - als Kunden, Patienten, Mitmenschen. Diesmal erzählt Tanja L. von ihrem Alltag in einem Callcenter, in dem sie Anrufer einer Hotline für Fluggastrechte​ betreut.

Ich arbeite in einem Callcenter und beantworte täglich etwa 60 E-Mails und 40 Anrufe. Wir beraten Fluggäste, die sich von ihrer Fluggesellschaft schlecht behandelt fühlen. Manche melden sich, weil sie eine E-Mail von der Airline nicht verstehen. Viele rufen direkt vom Flughafen aus an, wenn sie sich in einer Notsituation befinden. Sie fragen, ob sie wirklich auf dem kalten Flughafenboden übernachten müssen oder nicht doch einen Anspruch auf ein Hotelzimmer haben.

Wir streiten für sie mit der Fluggesellschaft und bekommen eine Provision, wenn wir den Fall gewinnen. Doch dazu brauchen wir erst einmal die entsprechenden Informationen.

Einerseits macht ihr euch die Mühe, uns anzurufen, um euch zu beschweren. Doch warum nehmt ihr euch dann nicht die Zeit dafür? Manche von euch fahren Auto, während sie mit uns sprechen. Ihr habt die Freisprechanlage an, man versteht den Kunden kaum, der versteht uns kaum, man hört Hupen, man hört die Bahn im Hintergrund. Es ist unglaublich anstrengend und dann seid ihr genervt. Das sind Momente, in denen ich mir denke: "Oh je. Man könnte sich das Leben so viel einfacher machen."

Manchmal seid ihr laut oder sehr aufgewühlt, wenn ihr anruft. Kein Wunder, schließlich steckt ihr gerade in einer äußerst unangenehmen Situation. Für uns sind eure Geschichten allerdings die tägliche Routine. Ich muss mir immer wieder klarmachen, dass sich jeder von euch mit seinem Anliegen als Einzelfall sieht. Mir hilft meine Erfahrung, um euch wieder beruhigen. Wir werden dafür geschult und lernen Sätze, die euch runterbringen zum Beispiel: "Ich verstehe, was Sie meinen." Dabei signalisiere ich euch: Ich bin jetzt nur für dich da, ich höre jetzt nur dir zu.

Jeder von euch sollte das Gefühl bekommen, dass er der Erste ist, der heute anruft - auch wenn es für mich das dreißigste Gespräch ist. Manchmal sage ich: "Ich hätte genauso reagiert", oder auch: "Das höre ich zum ersten Mal!" Selbst, wenn das nicht immer stimmt. Denn wenn jemand anruft, der schon zum zweiten Mal am Flughafen feststeckt, ist das statistisch gesehen natürlich sehr selten. Auch wenn ich so etwas schon ein paar Mal gehört habe, sage ich trotzdem: "Das ist wirklich schlimm."

Schwierig wird es für mich, wenn ich schon beim ersten Satz am Telefon merke: Oh je, dem kann ich leider nicht helfen. Dann lasse ich ihn natürlich aussprechen, höre mir die ganze Geschichte an und versuche, mit sehr viel Feingefühl darauf einzugehen - wohl wissend, dass ich am Ende nur sagen kann: "Da kann man leider nichts tun."

Habt mehr Geduld!

Was in dem Zusammenhang wirklich hilfreich wäre: Bitte lest euch doch mal die allgemeinen Geschäftsbedingungen richtig durch. Kunden sind oft ganz überrascht über eine bestimmte Tatsache und dann sagt man: "Ja, das steht doch in den AGBs." Viele nicken die Verträge nur ab, denken, da steht immer dasselbe drin - aber das ist nicht so. Nehmt euch also die halbe Stunde Zeit, um sie einmal richtig zu lesen. Wenn ihr dann Fragen habt und etwas nicht versteht, könnt ihr ja nachhaken.

Ich glaube, die E-Mails, in denen mir ein Kunde einen Auszug aus den Geschäftsbedingungen schickt und Nachfragen zu bestimmten Punkten hat, kann ich in sechs Jahren an einer Hand abzählen. Klar, auch ich habe schon mal einen Vertrag nicht richtig durchgelesen und eine Kündigungsfrist verpasst. Aber dann musste ich dafür eben auch die Konsequenzen akzeptieren.

Gerade von Onlineportalen erwarten viele Kunden unbedingt innerhalb der nächsten Stunde eine Antwort, und die soll dann auch bitteschön möglichst ausführlich sein. Das mag für Stammkunden in der kleinen Boutique um die Ecke oder im Reisebüro des Vertrauens möglich sein. Nicht jedoch in einem Unternehmen, das 500 Kunden am Tag Dienstleistungen bietet.

Es gibt Menschen, die keinerlei Geduld haben bei nichts. Die wollen immer alles zack, zack, zack. Ihr habt sicher in eurem Alltag auch viel Stress, aber ihr googelt einmal kurz: Habe ich einen Anspruch auf Schadenersatz? Ja? Dann wählt ihr schnell unsere Nummer und wollt danach am liebsten gar nichts mehr damit zu tun haben. Wenn es euch bei uns dann nicht schnell genug geht, werdet ihr wütend. Auf einmal seid ihr der Meinung, dass wir euch sowieso nicht helfen können, dass ihr das alleine besser hingekriegt hättet.

Dabei versuchen wir nur, euch Details unserer Auseinandersetzung mit eurer Fluggesellschaft zu ersparen. Meist wisst ihr gar nicht, was wir im Hintergrund alles für euch klären und dass diese Prozesse eben Zeit kosten. Schließlich soll ich euch diesen Stress ja abnehmen.

Kritik ist erwünscht

Es gibt aber auch die große Dankbarkeit bei Kunden, wenn es geklappt hat, dass ihnen die Airline das Geld erstattet. Die erzählen dann ausführlich, wofür sie das Geld nutzen wollen und freuen sich über die Tatsache, dass da jemand ist, der sich des Problems angenommen hat.

Übrigens: Kritik ist nicht nur willkommen - sie ist Gold wert. Wenn ein Kunde sagt: "Die E-Mail, die ich da bekommen habe, das war ja wohl ein Witz", dann haben wir wenigstens etwas, mit dem wir arbeiten können. Eure Beschwerden helfen uns dabei, Prozesse zu verbessern. Wir freuen uns über positives Feedback, aber vom negativen kann man eigentlich viel mehr mitnehmen. Also beschwert euch ruhig, aber bitte in angemessener Form.

Nur eine Bitte: Werdet geduldiger! Überlegt euch mal, was ihr durch uns alles nicht machen müsst, was wir jetzt für euch tun. Wartet einfach ein bisschen ab. Und traut uns ruhig mehr zu. Wir sorgen schon dafür, dass eure Erwartungen so gut wie möglich erfüllt werden.

In dieser Serie kommen Menschen zu Wort, mit denen wir täglich zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht und welche Rolle wir dabei spielen - als nervige Kunden, ungeduldige Patienten, ignorante Mitmenschen.

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