Oktoberfest-Sanitäter: "Ich wünsche mir, dass ihr eure Grenzen kennt"

Oktoberfest-Sanitäter: Das Münchner Oktoberfest - diesmal aus der Perspektive eines Rettungssanitäters.

Das Münchner Oktoberfest - diesmal aus der Perspektive eines Rettungssanitäters.

(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Als Sanitäter auf der Wiesn rettet Fried K. Menschen, die sich in Lebensgefahr gebracht haben. Schlimmer sind für ihn nur solche, die ihn beleidigen. Oder anpinkeln.

Von Max Sprick

In unserer Serie "Wie ich euch sehe" kommen Menschen zu Wort, mit denen wir im Alltag zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen: ein Obdachloser, eine Kontrolleurin, ein Pfarrer, eine Kassiererin. Sie erzählen, wie es ihnen ergeht, wenn sie es mit uns zu tun bekommen - als Kunden, Patienten, Mitmenschen. Diesmal erzählt der Rettungssanitäter Fried K. von seinen Erlebnissen auf dem Oktoberfest.

Für mich bedeutet die Wiesn vor allem eins: anderen Menschen in einer Notlage zu helfen. Der positive Stress ist für mich ein Ausgleich zum Berufsalltag, ich bin als Sanitäter gefordert, schnell und richtig zu reagieren. Abseits der Wiesn habe ich einen eher trockenen Beruf: Ich gebe IT-Zeitschriften heraus und organisiere IT-Kongresse. Mit richtigen Handgriffen ein Menschenleben zu retten, ist für mich Herausforderung und Erfüllung zugleich. Wenn ihr auf der Wiesn Spaß habt, freut mich das. Aber manchmal frage ich mich schon, ob's noch geht.

Vor zwei Jahren haben wir jemanden im Bierzelt versorgt, zu viert knieten wir um einen am Boden liegenden Mann. Er befand sich genau unter der Balustrade. Während wir uns um ihn kümmern, bemerke ich plötzlich etwas Nasses. Da stand tatsächlich ein Betrunkener auf dem Balkon und pinkelte auf uns herunter. Während wir einen Menschen in Not versorgt haben! Das sind Momente, in denen man viel Geduld braucht, um nicht auszuflippen.

Immerhin: Diese Momente sind selten. Zudem ist es auf der Wiesn nicht mehr so exzessiv wie früher, dass Menschen unter Alkoholeinfluss jeglichen Anstand verlieren. Seit mehr als 30 Jahren bin ich jedes Jahr an fünf oder sechs Tagen dort und übernehme unterschiedliche Funktionen für das Rote Kreuz. Ich bin häufig mit der Trage unterwegs oder im Rettungswagen, oft übernehme ich auch Aufgaben im Innendienst der Einsatzführung.

Eines habe ich in dieser Zeit definitiv gelernt: Natürlich gehören Bier und Trinken zur Wiesn dazu. Wichtig ist aber auch, dass ihr dabei nicht vergesst, etwas zu essen. Ihr müsst euch eine Grundlage schaffen, damit der Rausch nicht zu heftig wird. Wenn euer Zuckerspiegel sinkt, kann zudem eure Aggressivität steigen. Bier alleine führt zu Stress - manche werden ausfallend, andere gewalttätig. Gönnt euch also bitte eine kräftige Brotzeit zum Bier.

Die meisten macht Alkohol müde und träge. Es gibt aber auch welche, die dann die Kontrolle über sich verlieren. Ich würde mir wünschen, dass ihr das einseht, eure Grenzen kennt und sie akzeptiert. Die meisten schaffen das, manche leider nicht.

Vor allem: Bleibt ruhig! Das gilt besonders für brenzlige Situationen, wenn euch einer anpöbelt, provoziert oder sonstwie dumm kommt. Hört weg und geht nicht darauf ein! Ihr werdet den anderen sowieso nicht besänftigen. Geht lieber einen Schritt oder zwei zurück, informiert das Sicherheitspersonal oder eine Bedienung und überlasst das denen, die wissen, wie sie mit Pöblern umgehen müssen.

Viele Schlägereien enden fatal

Wir fahren täglich 80 bis 250 Tragen-Einsätze. Oft haben wir dabei auch Verletzte - und es gibt kaum eine Verletzung, die da nicht dabei ist. Häufig sind es die Folgen von Prügeleien - so ein Schlag mit dem Maßkrug auf den Kopf kann schwerste Schädel-Hirn-Verletzungen verursachen. Ich erinnere mich an einen Mann, dem ein Maßkrug bei einer Schlägerei die Halsschlagader aufschnitt. Sofort war überall Blut. Der Mann hat nur überlebt, weil Sanitäter in der Nähe waren und auch einer unserer Ärzte schnell vor Ort war.

Die Ausbildung zum Rettungssanitäter habe ich nach meinem Zivildienst gemacht, über die Bergwacht kam ich dann zum Wiesn-Dienst. Viele von euch wissen nicht, dass wir das Ganze ehrenamtlich machen - die Tage auf dem Oktoberfest muss ich wieder rein arbeiten. Manche denken, sie haben aufgrund ihrer Krankenversicherung ein Anrecht auf unsere Dienstleistung. Viele sind aber auch überrascht, dass es eine so gute medizinische Versorgung auf einem derart großen Fest gibt. Für die ist das etwas Besonderes, und sie sind sehr dankbar, wenn wir ihnen helfen.

Noch viel mehr als etwas Anerkennung wünsche ich mir von euch aber, dass ihr uns unsere Arbeit machen lasst. Es passiert oft, dass Schaulustige herumstehen und uns bei unserem Einsatz behindern. Macht uns bitte Platz in diesem Gedränge. Am besten wäre es, wenn ihr wie auf der Autobahn eine Rettungsgasse für uns bildet. Wenn ihr uns mit unseren gelben Bananen (Tragen mit gelbem Sichtschutz, Anm. d. Red.) seht, wenn ihr unsere Trillerpfeifen oder Rufe hört, mit denen wir auf uns aufmerksam machen, macht Platz! Leider fehlt manchen von euch dafür das Verständnis.

Aber auch von euch als Patienten wünsche ich mir manchmal mehr Verständnis von euch. Manche wollen unter Alkoholeinfluss nicht wahrhaben, dass sie Hilfe brauchen und verweigern sich unserer Behandlung. Wir dürfen aber erst helfen, wenn ihr zustimmt. Und wir kommen nur zu euch, wenn offensichtlich ist, dass ihr es nötig habt. Am Kotzhügel können wir ohnehin nur mit geschlossenen Augen vorbeilaufen - sonst müssten wir wirklich fast jeden dort einsammeln. Es ist aber alles kameraüberwacht, und im Notfall ruft uns die Polizei dorthin.

Am schönsten ist für mich die Zeit zwischen den Einsätzen. Wenn ich mich mit anderen Helfern austauschen kann, die ich manchmal lange nicht gesehen habe, und mit ihnen über die Erlebnisse sprechen kann. Jeder einzelne Einsatz ist für uns eine neue Herausforderung. Und das Oktoberfest an sich hat seine eigene Magie, die ganze Welt schaut in diesen zwei Wochen auf die Münchner Theresienwiese. Menschen in Not zu helfen und damit Teil dieses Ganzen zu sein, macht mich stolz.

Wie nehmen Sie die Menschen wahr, mit denen Sie sich aufgrund Ihrer persönlichen Lebenssituation oder Ihres Berufes tagtäglich auseinandersetzen? Was wollten Sie in der Hinsicht schon immer einmal loswerden? Senden Sie ein paar Sätze mit einer kurzen Beschreibung per E-Mail an: leben@sueddeutsche.de. Wir melden uns bei Ihnen.

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