"Wie ich euch sehe": Chef-Assistentin:"Ich bin die Fee mit dem Zauberstab"

"Wie ich euch sehe": Chef-Assistentin: "Wie ich euch sehe" aus der Sicht einer Chefsekretärin

"Wie ich euch sehe" aus der Sicht einer Chefsekretärin

(Foto: Illustration Jessy Asmus/SZ.de)

Viktoria B. ist ein bisschen Vorzimmerdrache, ein bisschen gute Seele. Sie ist Assistentin des Chefs - eine wichtige Position. Wie sich das anfühlt, erzählt sie in einer neuen Folge "Wie ich euch sehe".

Von Barbara Vorsamer

In unserer Serie "Wie ich euch sehe" kommen Menschen zu Wort, mit denen wir im Alltag zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen: chronisch Kranke, eine Kontrolleurin, ein Pfarrer, eine Verkäuferin. Sie erzählen, wie es ihnen ergeht, wenn sie es mit uns zu tun bekommen - als Kunden, Patienten, Mitmenschen. Diesmal beschreibt Viktoria B. ihren Alltag als Assistentin der Geschäftsführung.

Ich halte meinen Beruf für einen der abwechslungsreichsten, den es gibt. Ich weiß nie, was der Tag bringt, lerne permanent dazu - und muss es auch. Eine typische Situation in meinem Alltag ist, dass jemand in der Tür steht und sagt: "Ich hab' da mal eine Frage." Ich habe so gut wie immer die Antwort, und wenn der Mitarbeiter sagt: "Mensch, danke, dich kann man fragen", freut mich das.

Meine Tür ist immer offen. Zum einen will ich Euch damit das Gefühl geben, dass ich immer ansprechbar bin. Zum anderen kann ich so die Leute, die direkt zu meinem Chef wollen, abfangen. Denn dafür braucht ihr einen Termin und den bekommt ihr von mir - oder auch nicht.

Naives Dummchen oder Vorzimmerdrache

Als Assistentin der Geschäftsführung ist es meine Kernaufgabe, dem Chef, aber auch allen anderen, das Arbeiten zu erleichtern. Klar gibt es blöde Fragen und manchmal denke ich mir schon, dass ihr selbst im Firmen-Intranet nachschauen könntet. Aber das würde ich Euch nie ins Gesicht sagen. Ich helfe immer und sage höchstens: "Ich glaube, darüber haben wir schon gesprochen."

Professionell zu reagieren, ist das A und O in meinem Job. Manchmal habe ich wütende Kunden am Telefon, da kann ich nicht sagen: "Schreien Sie mich nicht so an, ich kann doch auch nichts dafür." Selbst wenn das stimmt. Ich bin ein Aushängeschild für das Unternehmen, denn alle - Kunden, Mitarbeiter, Dienstleister - landen als erstes bei mir.

Es gibt drei gängige Klischees zu Assistentinnen: Entweder sind sie das junge, naive Dummchen, das sich den ganzen Tag die Nägel lackiert, gerade mal das Telefon bedienen kann und abends mit dem Chef Cocktails trinkt. Dann gibt es den bösen Vorzimmerdrachen, der eifersüchtig über Terminkalender und Wohlbefinden des Chefs wacht, und mit dem die Mitarbeiter es sich keinesfalls verscherzen sollten. Oder sie ist die gute Seele, die sich aufopferungsvoll um alle kümmert und stets Schmerzmittel und Schokolade in der Schublade hat.

Ein Dummchen bin ich nicht. Aber ein bisschen was vom Vorzimmerdrachen und der guten Seele steckt schon in mir. Meine Kollegen sagen über mich: "Die Vicky ist die Fee mit dem Zauberstab." Egal, was gebraucht wird, ich mache es möglich oder versuche es zumindest. Den Satz "Dafür bin ich nicht zuständig" werdet ihr nie von mir hören, genauso wenig wie "Das weiß ich nicht" oder "Ist mir doch egal".

Die Chemie muss stimmen

Wie gut ich meine Arbeit machen kann, steht und fällt mit dem persönlichen Verhältnis zu meinem Chef. Die Chemie muss stimmen. Ich brauche sein hundertprozentiges Vertrauen, er bekommt dafür meine uneingeschränkte Loyalität - und absolute Diskretion. Schließlich geht vieles über meinen Tisch, was eigentlich nur für seine Augen bestimmt ist. Besonders unangenehm ist das, wenn ein Mitarbeiter das Unternehmen verlassen muss. Das weiß ich oft schon vor den Betroffenen, weil da ganz schnell viele organisatorische Dinge in die Wege geleitet werden müssen.

Auch in die andere Richtung fließen kaum Informationen, denn in meiner Gegenwart wird nicht getratscht. Der Chef und seine Assistentin werden von den Mitarbeitern als Einheit wahrgenommen. Wenn der Chef bei den Mitarbeitern beliebt ist, ist auch die Assistentin beliebt. Wenn man dem Chef nicht vertraut, vertraut man auch der Assistentin nicht.

Blumen für die Kollegin besorge ich gerne, für die Ehefrau nicht

Was ich nicht so gerne mag, ist, wenn mir private Aufgaben aufgehalst werden. Ich hatte schon Vorgesetzte, für die habe ich den Familienurlaub gebucht, das Geburtstagsgeschenk für die Partnerin gekauft und die Hemden in die Reinigung gebracht.

Inzwischen bin ich der Meinung, dass so etwas nicht zu meinem Job gehört. Auch als Geschäftsführer könnt ihr selbst etwas im Internet bestellen - oder ihr sucht euch eine Partnerin, die alles Private für euch regelt. Dass ich für Euch den Dienstwagen zum Reifenwechsel fahre und ein Geschenk für die Kollegin im Mutterschutz organisiere, ist wiederum selbstverständlich. Das ist etwas ganz anderes.

Ich erledige eine Dienstleistung - und ihr auch

Es gehören so viele unterschiedliche Themen zu meinem Job, dass ich das Bild der Sekretärin als bloße Schreibkraft für verstaubt halte. Die Frau, die Diktate aufnimmt, Briefe tippt und am Telefon "einen Moment bitte, ich verbinde" sagt, gibt es nicht mehr. Natürlich: Kaffee kochen, Räume buchen, Büromaterial bestellen und Abrechnungen ausfüllen - mache ich alles, und noch vieles mehr. Doch ich hasse es, wenn ihr mich als Sekretärin bezeichnet, da fühle ich mich unterschätzt.

Überschätzt werde ich hingegen auch manchmal. Eigene Macht habe ich als Assistentin nämlich keine. Wenn etwas dringend ist, muss ich immer dazu sagen: "Herr XY braucht..." Es ist ein dämliches Klischee, dass der Chef das Unternehmen führt und die Sekretärin ihn. Natürlich fragt er mich hin und wieder nach meiner Meinung, und die sage ich auch. Aber die Entscheidungen trifft er, und es steht mir nicht zu, mich einzumischen.

Durch meinen Beruf habe ich gelernt, dass Menschen Entscheidungen selten sachlich fällen, selbst Geschäftsführer und Abteilungsleiter nicht. Ihnen geht es leider nicht immer nur darum, was das Beste für die Firma und die Mitarbeiter ist. Stattdessen versucht ihr, eure Macht auszubauen. Das finde ich schade. Ihr solltet eines nicht vergessen: Auch als Führungskräfte habt ihr eine Dienstleistung abzuliefern - genau wie ich.

In dieser Serie kommen Menschen zu Wort, mit denen wir täglich zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht und welche Rolle wir dabei spielen - als nervige Kunden, ungeduldige Patienten, ignorante Mitmenschen.

  • "Brauchen wir länger, tut uns das genauso weh"

    Ständig unter Strom und trotzdem meist zu spät: Ein Pizzabote erzählt, was er riskiert, um seine Lieferung möglichst schnell zum Kunden zu bringen. Und warum er sich oft wie ein Detektiv vorkommt.

  • "Die meisten wollen mich anfassen"

    Zum Jahreswechsel werden wieder kleine Schornsteinfeger-Figuren verteilt. Ein Kaminkehrer erzählt in einer Folge von "Wie ich euch sehe", wie es sich als rußüberzogener Glücksbringer lebt.

  • "Manchmal muss ich regelrecht die Tür verteidigen"

    Frauen, die sich um Ausscheidungen sorgen, Familien, die den Kreißsaal stürmen, Männer, die plötzlich umfallen: Eine Hebamme erzählt in einer Folge von "Wie ich euch sehe", was sie bei Geburten erlebt.

Wie nehmen Sie die Menschen wahr, mit denen Sie sich aufgrund Ihrer persönlichen Lebenssituation oder Ihres Berufes tagtäglich auseinandersetzen? Was wollten Sie schon immer einmal loswerden? Senden Sie ein paar Sätze mit einer kurzen Beschreibung per E-Mail an: leben@sueddeutsche.de. Wir melden uns bei Ihnen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: