Wenn der Frühling kommt:Sag' ich nicht nein

Begießen, gedeihen, gurren: Der Frühling ist ein Angebot, das man nicht ablehnen kann. Die exklusive Wahrheit über eine irre Jahreszeit

Christian Zaschke

I. Junger Hund

Frühling

Der Frühling: Wie eine Rede von Obama, alle Welt wäre verzückt

(Foto: Foto: dpa)

Im Grunde ist der Frühling die beunruhigendste Jahreszeit.

So empfinden es die Menschen, weil sie im Frühling plötzlich Gefühle kriegen, und so empfinden es auch seine Geschwister bei den Familientreffen, die selten stattfinden, sehr selten, weil dazu ja alle vier Jahreszeiten an einem einzigen Tag zusammenkommen müssten.

Der Frühling ist übrigens der Älteste, älter als Sommer, Herbst und Winter, er scheint immer schon da zu sein. Er ist eine schillernde Persönlichkeit, ja, sehr schillernd, und er ist nicht der, den alle so liebhaben. Klar, der Frühling ist der mit der Fülle an Pastelltönen, überall wächst und gedeiht es, alle freuen sich, die Dichter drehen durch, die Bäume schlagen aus, und wenn der Frühling dieser Tage eine Rede hielte: Sie wäre wie eine Rede von Obama, alle Welt wäre verzückt.

Der Frühling ist ein Angebot, das man nicht ablehnen kann, deshalb lieben ihn alle. Aber er ist es auch, der die Menschen der Neuzeit Ostereier aus Plastik in Sträucher stecken lässt; der sich anbiedert mit seiner guten Laune, weil er weiß, dass er auf die Menschen wirkt wie ein junger Hund: Keiner kann ihm böse sein, selbst auf die großen Misantrophen ist im Frühling kein Verlass; sie gurren.

Dabei ist es doch der Frühling, der den April erfunden hat, den der Dichter T.S. Eliot in einem scharfsinnigen Moment als den grausamsten Monat ausgemacht hat. Und er hat noch ein paar andere Sachen erfunden, der Frühling.

II. Früher oder später

Das ganze Jahr über sind sie unsichtbar oder vielleicht auch gar nicht da, aber im Frühling scheinen Gartencenter die Hälfte der bebauten Fläche der westlichen Welt zu bedecken.

Nicht wenige Menschen, unter ihnen aufgeklärte Geister, vermuten deshalb, dass es Gartencenter nur im Frühling gibt (wo die Gartencenter sich während des übrigen Jahres aufhalten, wer weiß das schon).

Das Gartencenter besteht zu gleichen Teilen aus einem gigantischen Zweckbau voller Gartenkram und einem ebenso gigantischen Parkplatz, der immer fast voll ist, aber nie so voll, dass man keinen Platz mehr findet. Jeder Mensch, der als Teil eines Paares firmiert, findet sich früher oder später auf einem dieser Parkplätze ein - früher im Frühling die Mehrheit, später erst die Vorsichtigen, die noch die Eisheiligen im Mai abwarten.

Unter Zuhilfenahme eines kreuzfahrtschiffgroßen Einkaufswagens bewegen sich die Paare, ihrem Gefühl folgend, durch breite Gänge bis in eine Gegend, in der sich von rechts bis links, viel weiter als das Auge reicht, eine nicht enden wollende Reihe an Kassen erstreckt, an denen viel los ist, aber nie so viel, dass es nicht doch zügig voranginge. Der ganze Gartenkram - Blumen, Blumenerde (Gärtnerqualität), Blumenkästen, Blumentöpfe, Blumentopfuntersetzer, Blumenkörbe, Blumendünger, zudem Kräuter (Oregano), veredelte Kräuter (Oregano, extra spicy), Fackeln, Lichterketten, Plastikostereier, Schaufeln, Schäufelchen, Rankpflanzen, Kletterhilfen für Rankpflanzen, Lampenöl, Zierpflanzenspray, Rasenlüfterschuhe (Euro 12,99), Grillkohle, an der Kasse noch schnell einen weiteren Topf Basilikum, man weiß nie - der ganze Gartenkram also kostet viel, aber nie so viel, dass es einen umhaut.

Aus zwei Gründen ist das Gartencenter aus der Gegenwart nicht wegzudenken. Erstens: Es ruft die Schönheit des Wortes Rankpflanzen immer wieder in unser Gedächtnis. Zweitens: Es ist der Beweis dafür, dass der Frühling ein Menschenfänger ist.

III. Angebot und Nachfrage

Nicht alle hat der Frühling einwickeln können mit seiner Lieblichkeit. Mörike, na gut, das war nicht schwer. Dem diktierte er: "Frühling lässt sein blaues Band/ Wieder flattern durch die Lüfte / Süße, wohlbekannte Düfte / Streifen ahnungsvoll das Land." Brentano, ja sicherlich, auch das war keine große Sache: "Frühling soll mit süßen Blicken / Mich entzücken und berücken." Da ist doch, wie man im Frühling so sagt, der Wunsch Vater des Gedankens.

Goethe hat er nicht geschafft. Nein. Hat er nicht, auch wenn Goethe als Kronzeuge für das Wunderbare am Frühling herhalten muss: "Vom Eise befreit sind Strom und Bäche / Durch des Frühlings holden, belebenden Blick." Das ist, zugegeben, sogar noch schöner als das Wort Rankpflanzen. Allerdings hat Goethe in den Frühling dann noch den Pudel hineingedichtet, auf dem Osterspaziergang von Faust und Wagner, den Pudel, der später in anderer Gestalt dem Faust ein Angebot macht, das dieser nicht ablehnen will, und klar, da kann doch der Frühling nichts dafür. Aber Goethe, der kann was dafür; der wusste genau, was er da tat. Goethe und der Frühling, die sind nie so recht Freunde geworden.

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Miss-Wet-T-Shirt und Arschklatschen

IV. Fortpflanzzeit

Als logische Fortsetzung des Gartencenters mit anderen Mitteln muss die amerikanische Tradition des "Spring Break" gelten, der Frühlingsferien.

Das Gartencenter wirbt in seinen Prospekten mit dem schönen Slogan: Frühling ist Pflanzzeit. Im Spring Break gilt dieser Satz in seiner erweiterten Variante: Frühling ist Fortpflanzzeit.

Alljährlich also im Frühling ziehen amerikanische College-Studenten nach Florida und nach Mexiko, um dort sehr viele Bücher zu lesen und darüber zu diskutieren. Nein, Moment, falsch.

Richtig heißt es: Alljährlich also im Frühling ziehen amerikanische College-Studenten nach Florida und nach Mexiko, um dort sehr viel Alkohol zu trinken, Drogen einzunehmen, und, wenn es denn noch geht, möglichst oft mit möglichst vielen Partnern zu vögeln.

In Panama City Beach, Florida, freut man sich zum Beispiel alljährlich über 400.000 Studenten. Die rollen sich gegen zehn Uhr aus dem Bett, fragen sich, wo sie sind und wie sie heißen, versuchen, feste Nahrung zu sich zu nehmen, um dann gegen elf mit dem ersten Bierchen an der Poolbar die Sonne zu grüßen.

Anschließend geht es an den Strand, wo absolut zufällig schon wieder ein Miss-Wet-T-Shirt-Contest läuft und nebenan der beliebte Arschklatsch-Wettbewerb. Hierbei lassen sich die männlichen Studenten von weiblichen Studenten den nackten Hintern versohlen, und zwar so lange, wie sie brauchen, um eine Dose Bier zu leeren. Mancher Student lässt sich auffallend, ja geradezu aufreizend lange Zeit mit dem Bier, aber natürlich nur aus sportlichem Ehrgeiz, denn es gewinnt der Mann mit dem rötesten Hintern.

Bald schon ist es Zeit für den ersten Tequila, und auch der unmittelbar folgende zweite erscheint als Angebot, das man nicht ablehnen kann, und wie gestern und vorgestern und dings, wann war das noch, stellt der Student fest, dass er wieder die Sonnenmilch vergessen hat und deshalb ausschaut wie ein Hummer. Übrigens haben die statistikverliebten Amerikaner ermittelt, dass die Männer während dieser Ferien im Schnitt täglich 28 Drinks zu sich nehmen, die Frauen zehn.

Wenn endlich die Dunkelheit einbricht, verfügt sich der Student nach einigen Stützbieren an der Hotelbar in eine Großraumdiskothek, wo er Drinks zu sich nimmt. Ist der Student ein Mann, schaut er sich die Frauen an. Ist der Student eine Frau, schaut sie sich die Männer an. Ausnahmen bestätigen im Spring Break die Regel. Zurück aus der Großraumdiskothek, versuchen die männlichen Studenten, sich Zutritt zu den Gemächern der weiblichen Studenten zu verschaffen, wobei sie nicht selten die etwas umständliche Außenroute über den Balkon wählen, was nach 28 Drinks bisweilen zu Abstürzen im wahrsten Sinne führt.

Diese erstaunliche Tradition geht zurück auf einen Schwimmtrainer der Colgate University namens Sam Ingram, der in den 1930er Jahren sein Team einmal zum Trainieren nach Fort Lauderdale brachte. Bald gab es in Fort Lauderdale einen Schwimmwettbewerb, nebenher wurde ein bisschen gefeiert. Etwas später - im Jahre 1985 - versammelten sich 350000 Studenten in Fort Lauderdale, sie ließen den Schwimmwettbewerb aber weg und konzentrierten sich auf das Wesentliche. Die Stadt erhielt den schönen Spitznamen Fort Liquordale (liquor = Schnaps) und erklärte die Studenten zu unerwünschten Personen.

Rasch organisierte der Frühling ein paar andere Locations, Panama City Beach eben, aber auch Cancún oder Cabo San Lucas in Mexiko, weil man dort praktischerweise schon ab 18 Alkohol trinken darf. Im Spring Break, wenn der Frühling ganz bei sich ist, sind alle außer sich.

V. Gelber Stecken

Der so genialische wie hellsichtige Kurt Tucholsky hat bereits 1929 die Worte gefunden, die den Studenten im Spring Break und den Frühling auf verblüffendste Weise gleichermaßen beschreiben: "Frühling? Dieser lange, etwas bleichsüchtige Lümmel, mit einem Papierblütenkranz auf dem Kopf, da stakt er über die begrünten Hügel, einen gelben Stecken hat er in der Hand, präraffaelitisch wie aus der Fürsorge entlaufen; alles ist hellblau und laut, die Spatzen fiepen und sie sielen sich in blauen Lachen, die Knospen knopsen mit einem kleinen Knall, grüne Blättchen stecken fürwitzig ihre Köpfchen . . . ä, pfui Deibel!"

Großer, uneinholbarer Tucholsky, nicht einmal der Frühling kriegt dich!

VI. Ein Garten in D.

In einer bayerischen Kleinstadt - nennen wir sie D. - gibt es einen Garten, der sich alljährlich zu Ostern mit Hasen verschiedener Größe bevölkert, deren Schöpfer nicht der Herr in den Himmeln ist.

Sie sind aus Stoff gefertigt, aus Stroh und aus Fell und aus Draht, sie blicken aus schwarzen Murmelaugen, sie stehen und sie liegen, einer hält eine Schubkarre, einer sitzt auf einem Stuhl, einer bewacht eine kleine Windmühle, sie bewegen sich nie, fast nie, und die größten unter ihnen überragen die menschlichen Passanten, die stehenbleiben, immer, jeder bleibt stehen, unmöglich, vor dem Garten in D. nicht stehenzubleiben.

Aus diesem Garten grüßt der Frühling in den Himmel.

VII. Alter Hund

Die seltenen Familientreffen - stets finden sie im April statt, natürlich im April, denn auf den April können sich die vier Jahreszeiten immer einigen, wenn sie zusammenkommen wollen. Der Sommer, der Herbst und der Winter, sie wissen nicht so genau, was sie von ihrem Bruder namens Frühling halten sollen. Als Ältester darf er ein bisschen eigen sein, natürlich, und seine Neigung zum Exzess, ach, über die sehen sie hinweg. Sie wollen es nicht so genau wissen, soll er halt machen.

Der Frühling: Ein Hund ist er schon. Und Goethe hat es gewusst.

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