Weltgewandte Deutsche:Wir Kosmopoliten

Von wegen provinziell: Eine Studie beweist, dass die Deutschen viele Kontakte zu Menschen im Ausland pflegen.

Steffen Heinzelmann

Sie sind Reiseweltmeister - doch in der Fremde fühlen sie sich am wohlsten, wenn es deutsches Bier und die Bild-Zeitung gibt. Sie lieben London und Paris - aber nur, wenn im Hotelfernseher RTL 2 läuft. Die Deutschen im Ausland, das ist Stoff für Klischees und schöne Anekdoten. Und nun auch für eine ernsthafte Untersuchung. Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) hat herausgefunden, wie international die Deutschen sind. Das Ergebnis: Fast jeder zweite Deutsche hat Freunde oder Angehörige im Ausland. 58Prozent der befragten 2700 Deutschen reisen regelmäßig ins Ausland, 18 Prozent haben schon einmal mehrere Monate in der Ferne gelebt.

Weltgewandte Deutsche: Fast jede sechste Ehe in Deutschland ist international.

Fast jede sechste Ehe in Deutschland ist international.

(Foto: Foto: Istockphoto)

Der Bundeskosmopolit bleibt dabei lieber unter seinesgleichen: Die Hälfte seiner Kontakte im Ausland sind andere Deutsche oder ausländische Verwandte. Mit ,,Mein Freund ist Ausländer'' meinen Bundesbürger vor allem Bekannte in Nordamerika, Europa und Australien; wahrscheinlich kennen die meisten Deutschen mehr US-Amerikaner in Übersee als Migranten in der eigenen Straße.

Besonders häufig knüpfen Deutsche Kontakte zu Menschen aus den USA, Frankreich und Großbritannien, dahinter folgt Spanien als Reiseland und Rentnerruhesitz. In Asien und Afrika kennen die Deutschen statistisch keine Menschenseele. Auch zur Türkei sei die soziale Distanz größer als zu weit entfernten Ländern wie Australien und Kanada, erklärt Wissenschaftler Steffen Mau.

Wie weltgewandt sind die Deutschen? Welche Sprachen sprechen sie, wohin fahren sie in Urlaub, welche Ausländer heiraten sie? Eine Spurensuche in der Statistik.

(Quellen: Eurostat, Eurobarometer, Europäische Union, Statistisches Bundesamt, World Tourism Organization)

Wir Kosmopoliten

1) Liebe international

Die Liebe lockt die Deutschen in unterschiedliche Himmelsrichtungen: Während deutsche Frauen ihr Glück mit Ehemännern aus dem Süden und Westen suchen, finden deutsche Männer ihre Braut vor allem in Osteuropa, Asien oder Brasilien. Die meisten Ehen schlossen deutsche Frauen im Jahr 2005 mit Türken (4108), Italienern (1813) und US-Amerikanern (1347); deutsche Männer heirateten Polinnen (4479), Thailänderinnen (2054) und Russinnen (2021). In Europa liegt Deutschland bei binationalen Ehen mit den baltischen Ländern und den großen Einwandererstaaten vorne. Im Jahr 2005 lebten in Deutschland 1,3 Millionen deutsch-ausländische Paare, jede sechste geschlossene Ehe ist international.

Wir Kosmopoliten

2) Studium international

Aus keinem EU-Mitgliedstaat gehen so viele Studierende in die Fremde wie aus Deutschland: Mehr als 22000 Deutsche hielten sich im Studienjahr 2004/2005 mit einem Erasmus-Stipendium an einer Universität im Ausland auf. Aus bevölkerungsärmeren Staaten wie Frankreich und Spanien sind es allerdings kaum weniger. Im Verhältnis zur Zahl der Studierenden liegt Deutschland im europäischen Vergleich etwa in der Mitte. Die aktivsten Grenzgänger sind Österreicher, Belgier und Finnen, in ihrer Heimat bleiben Studenten aus Großbritannien und Griechenland. Ins Ausland gehen aus Deutschland vor allem Studierende der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Ihre Ziele: Spanien vor Frankreich, Großbritannien und Schweden.

Wir Kosmopoliten

3) Arbeit international

Die Europäische Union will den Bürgern ihrer Mitgliedstaaten Beine machen. Weniger als zwei Prozent der Europäer, bemängelt zumindest die EU-Kommission, arbeiten außerhalb der eigenen Landesgrenzen, darunter sind viele Pendler in Grenzregionen. Wirklich umfassende Daten, wie viele Deutsche in welchen Staaten arbeiten, werden in der Bundesrepublik nicht erfasst, die Zahlen der EU sind lückenhaft.

Nach Angaben der Union verdienten im Jahr 2005 aber 50100 Deutsche in Großbritannien ihr Geld, dahinter folgten Österreich (49100), Spanien (45700), Niederlande (38200) und Frankreich (33000).

Wir Kosmopoliten

4) Urlaub international

Die Deutschen gaben für Urlaub nach Angaben der World Tourism Organization umgerechnet 71 Milliarden Dollar aus, knapp dahinter liegen die USA. Mit 2,3 Urlaubsreisen pro Tourist lag die Bundesrepublik im Jahr 2004 über dem EU-Schnitt von 2,1 Reisen, am häufigsten fuhren Franzosen (2,7 Reisen) und Finnen (2,6) in die Ferien.

Bei zwei Dritteln der Reisen erholen sich die Deutschen im Ausland; damit liegen sie zwischen kleinen Staaten wie Luxemburg (99 Prozent Auslandsreisen) und Ländern mit Sonne und Küste wie Griechenland (zehn Prozent), Spanien (zwölf Prozent) oder Frankreich (17 Prozent). Lieblingsziel der reiselustigen Deutschen bleibt die Heimat. Dahinter folgen Spanien, Italien, Österreich und die Türkei. Die Urlaubsplanung überlassen die Bundesbürger am liebsten den Reisebüros: 86 Prozent der Deutschen wählen Pauschalreisen, nur in Tschechien sind es mehr.

Wir Kosmopoliten

5) Fremdsprachen international

Bei Fremdsprachen besteht in Deutschland Nachholbedarf. Nur in Frankreich, Malta und Großbritannien ist das Interesse daran noch geringer. Wichtigste Sprache an den Schulen bleibt Englisch: Im Schuljahr 2005/2006 lernten es 7,6 Millionen Schüler. Dahinter folgen Französisch (1,7 Millionen), Latein (770000) und Spanisch (243000). Zwei Drittel der Deutschen sprechen mindestens eine Fremdsprache, 27 Prozent sogar zwei oder mehr.

EU-weit liegt die Bundesrepublik damit im Mittelfeld: Besonders viele Fremdsprachen sprechen die Luxemburger und Niederländer, Einsprachigkeit herrscht besonders in Irland, Großbritannien und Italien. Ein Tipp für Deutsche ohne Fremdsprachenkenntnisse: Deutsch wird vor allem in den Niederlanden (86 Prozent), Slowenien (80 Prozent), Slowakei (77 Prozent) und Dänemark (72 Prozent) gesprochen.

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