Weihnachten:Mehr Mut zum Geschenk!

Weihnachten: Vielleicht praktisch, aber so unromantisch: ein Gutschein zum Fest der Feste.

Vielleicht praktisch, aber so unromantisch: ein Gutschein zum Fest der Feste.

(Foto: Imago Stock&People)

Beides führt die schöne romantische Idee ad absurdum: Gutscheine verschenken, um ja nichts falsch zu machen. Oder die Tochter ihr Geschenk gleich selbst aussuchen lassen. Warum nur trauen sich viele Menschen nicht mehr zu, zu entscheiden, was ihren Liebsten gefallen könnte? Ein Plädoyer.

Von Oliver Klasen

Es läuft ganz klar etwas schief in unserer Gesellschaft, wenn jetzt sogar meine Mutter damit anfängt. "Ich schenke dem R. zur Hochzeit lieber einen Gut­schein. Da kann ich am wenigsten falsch machen", sagte sie neulich am Tele­­fon. Es ist dann ein Gutschein für ein romantisches Dinner zu zweit gewor­den, bei einer dieser Event-Geschenkagenturen, die im Radio so viel Werbung machen.

Ich war fassungslos. Meine Mutter. Die sich schon im November Gedanken über Weihnachtsgeschenke macht. Die es liebt, in der Stadt durch Geschäfte zu bummeln, und stundenlang nach Dingen zu suchen, die ihren Liebsten gefal­­len könnten. Immer mit sicherem Geschmack und einem guten Gespür für die Menschen, die sie beschenken will. Sie will jetzt plötzlich nichts mehr "falsch machen", kein Risiko eingehen beim Hochzeitsgeschenk für jenen R., der ein ganz alter Freund ist, den sie seit mehr als 35 Jahren kennt.

Noch schlimmer: Kollegin Z. Sie erzählt mir im Aufzug, dass sie sich ihre Weihnachtsgeschenke selbst kauft. Sie geht in die Stadt, sucht etwas aus, das ihr gefällt, verpackt es in schönes Papier und legt das Paket am 24. unter den Baum. Das Geld dafür bekommt sie dann von ihrer Mutter zurück, was sie "praktisch" findet, wie sie sagt.

Die Sache mit dem Dinner-Gutschein und der weihnachtlichen Selbstbeschenkung - es wird jetzt kurz ein bisschen kulturpessimistisch, bitte um Verzeihung - ist deshalb so dramatisch, weil sie gleich zwei Grundprobleme unserer Zeit berührt. Erstens die Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen, also die Sucht, sich nicht festzulegen und sich alle Optionen offen zu halten. Zweitens die Angst, ein Risiko einzugehen und bei Entscheidungen auch mal falsch zu liegen.

Tränen unterm Weihnachtsbaum

Beides führt die schöne romantische Idee des Schenkens ad absurdum. Etwas auszusuchen, von dem der Beschenkte eben nicht weiß, was es ist, also überrascht wird. Sich in einen anderen Menschen hineinzuversetzen, seine Wünsche zu erahnen. Ja, dabei kann man falsch liegen. Ja, vielleicht kauft man ein Geschenk, das dem Empfänger nicht gefällt. Und ja, im schlimmsten Fall wird es sogar peinlich oder es gibt Tränen unterm Weihnachtsbaum.

Aber ist das nicht alles noch besser als die geheuchtelte Freude eines Menschen, der schon weiß, was er bekommt? Und was gibt es schöneres, als jemanden mit einem geschmackvollen Geschenk zu überraschen? Wie beglückend ist das Gefühl, echte Rührung zu spüren, weil sich jemand Gedanken über den anderen gemacht hat und damit seine Liebe und Zuneigung zelebriert?

Stattdessen regiert unter deutschen Weihnachtsbäumen offenbar ein kalter Geschenke-Pragmatismus, ins Extrem getrieben von der schlimmsten aller Unsitten, nämlich, sich Geld zu schenken.

Weit von Altruismus entfernt

Vielleicht - wie gesagt, dieser Text ist kulturpessimistisch - helfen ein Blick in frühere Zeiten und ein bisschen Hilfe aus der Wissenschaft. Vom französischen Soziologen Marcel Mauss zum Beispiel. Der hat Anfang der zwanziger Jahre in einem berühmten Essay das Schenkverhalten archaischer Stämme untersucht und daraus Folgerungen für die soziale Bedeutung des Geschenks in der Moderne gezogen.

Dummerweise hat Mauss herausgefunden, dass das Schenken in allen Gesellschaften weit von reinem Altruismus entfernt ist. So sei bei manchen Indianerstämmen das Schenken in einen Wettbewerb um Großzügigkeit und Verschwendung ausgeartet, bei dem weniger der Beschenkte im Mittelpunkt stand, sondern vor allem der Schenkende, der mit einer pompösen Gabe seine soziale Überlegenheit deutlich machen wollte.

Aber trotzdem, sagt Mauss, ist das Schenken etwas anderes als das, was der stets auf seinen Vorteil bedachte Homo oeconomicus im Kapitalismus macht. Dort geht es darum, für ein Produkt eine bestimmte Summe Geld zu erhalten, völlig unabhängig davon, wer der Käufer ist. Schenken ist aber kein nüchterner Warenaustausch, weil jeder mit dem Geschenk immer auch einen Teil seiner Person verschenkt und viel über sich verrät.

Vielleicht ist das die große Angst des verunsicherten, entscheidungsunfähigen Gutscheinschenkers, allzu viel von sich zu verraten. Trau Dich!

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