Wahl in Deutschland:Junge Menschen, geht wählen!

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Wie eine junge Frau Gleichaltrige in Brandenburg für die Kommunalwahl am Sonntag begeistern will.

Constanze von Bullion

Es geht dann ein wildes Rätselraten los vor dieser Pappwand, an der Fotos von Politikern hängen. "Wer kommt aus welcher Partei?", steht obendrüber, und eine Horde Schüler drängelt sich vor den Bildern und versucht rauszukriegen, wer da wer ist. Der Herr mit der altmodischen Brille? "Bisschen dick" murmelt einer, "bestimmt von der CDU." Er klappt ein Schild unterm Foto auf und heult auf: "Oh nein, DVU!" Und der Lehrertyp mit dem Schnauzbart? "Den kenn' ich vom Plakat, der ist SPD!" Würde er den wählen? "Nö. Der guckt so komisch." Und diese attraktive Dame? "Die ist von der FDP", sagt einer, und dann johlen sie los. Auf dem Bild ist die Schauspielerin Angelina Jolie zu sehen.

Clara Anders: Koordinatorin der Potsdamer Erstwählerkampagne "Ich wähle, weil...". (Foto: Foto: Rolf Walter)

Ein Vormittag am Humboldt-Gymnasium in Potsdam, in der Aula sind drei zehnte Klassen unterwegs, sie stauen sich vor Schautafeln mit Politikergesichtern, beantworten Quizfragen, drehen am Glücksrad und füllen Fragebögen aus. Das hier ist eine Aktion des Kinder- und Jugendbüros Potsdam, das mit einer engagierten Erstwählerkampagne junge Leute zum Wählen motivieren will. Das ist nicht ganz einfach in Brandenburg, wo am Sonntag Kommunalwahlen sind, aber die Wähler abhanden zu kommen drohen, vor allem die jungen.

Zur letzten Kommunalwahl sind nur 45,8 Prozent der Wahlberechtigten gegangen, und besonders wenig Interesse an demokratischer Mitbestimmung haben Brandenburgs Erstwähler gezeigt. Nach einer Umfrage ist drei von vier Wahlberechtigten zwischen 18 und 24 Jahren die aktuelle Kommunalwahl egal, und es gibt Leute in Potsdam, denen diese Haltung nicht egal ist.

Clara Anders ist so eine, sie ist 20, eine muntere, aufgeweckte Person, die überm fuchsroten Schopf gern dicke Wollmützen trägt und in der Nase einen kleinen Ring. Jetzt sitzt sie am Humboldt-Gymnasiums an einem Infostand und korrigiert im Rekordtempo Fragebögen. Clara Anders ist die Koordinatorin der Potsdamer Erstwählerkampagne "Ich wähle, weil...", sie hat sie sich die Aktion ausgedacht, als sie ihr freiwilliges soziales Jahr beim Stadtjugendring absolvierte, und wenn sie gefragt wird, was sie da antreibt, sagt sie: "Ich hab eine fürchterliche Abneigung gegen Menschen, die alles nur doof finden und nörgeln."

Keine alten Knacker

Es ist nicht lange her, da war Clara Anders noch selbst Gymnasiastin und Politik war ihr suspekt. "Dieses Undurchsichtige, so viele Parteien, das habe ich gar nicht begriffen." Ihre Mutter hat ihr da nicht weitergeholfen, sie interessiert sich zwar für Politik, "für sie ist Wählen so ein Grundbedürfnis wie morgens aufstehen und arbeiten gehen", aber geredet hat sie eben nie darüber, "sie ist da sehr verschwiegen". Clara Anders wusste eigentlich nur, dass sie selbst gegen Nazis ist, aber sie wusste nicht, dass es im Rathaus Leute gibt, die das ähnlich sehen. Es gibt in Potsdam einen lokalen Aktionsplan für Toleranz und Demokratie, also ein Netzwerk gegen Rechtsextremismus, dem auch der Oberbürgermeister angehört, und eines Tages spuckte dieses Netzwerk eine fünfstellige Summe für eine Erstwählerkampagne aus.

Clara Anders hat das Geld dankend angenommen - und sich dann zügig abgesetzt von den Herrschaften im Rathaus. Statt mit alten Knackern wollte sie mit Schülern und Azubis werben, sie hat im Internet eine Abstimmung organisiert, bei der Jugendliche den Satz "Ich wähle, weil..." vervollständigen sollten. "Ich wähle, weil es ja sonst keiner tut", heißt einer der 30 Sprüche, die sie mitsamt den Fotos ihrer Erfinder auf Postkarten gedruckt und in der Stadt verteilt wurden. Das kam wie eine Casting-Show daher, und gewonnen haben am Ende vier blonde Mädchen. Nicht, weil sie blond sind, sagt Clara Anders, sondern weil sie am eifrigsten geworben haben, "so funktioniert das doch auch in der Politik".

Am Potsdamer Humboldt-Gymnasium hält die Kampagne an diesem Tag eine U-18-Wahl ab, eine Wahl für Unter-18-Jährige. In der Aula hängen ein paar Jungs an einem Tisch rum, alle zehnte Klasse, alle lässig in Kapuzenpullis oder alten Jeans. "Wir wollen heute eine Wahl simulieren", sagt der Lehrer. "Ich hab' Bauchweh", sagt Richard. "Ich hab' ne Entzündung am Auge, ich kann nicht lesen." Sein Vater, erzählt er später, geht gar nicht erst hin zu Wahlen, obwohl er Politik studiert hat und Philosophie, "der findet alle schlecht". Richard zuckt die Schultern und kaspert noch bisschen rum, aber er ist dann doch der erste, der an einer Tafel ankreuzt, was ihm wichtig ist in der Politik. Mehr alternative Energien "finde ich ganz gut", entschlossenes Auftreten gegen Rechtsextremisten "super", Stadtschloss aufbauen "bin ich dagegen", neue Synagoge bauen "bin ich dagegen". Sie diskutieren noch eine Weile und überlegen, was eigentlich so eine Kommunalwahl ist. Würden sie hingehen, wenn sie dürften? "Doch, naja, vielleicht irgendwie doch", sagt einer hinterher. Clara Anders sieht zufrieden aus.

© SZ vom 27.09.2008/jüsc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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