"Parkour" im Gazastreifen:Über Trümmer hinweg

May 19 2015 Gaza gaza strip Palestine Palestinian youths practices his Parkour skills in the

Ihr Sport "Parkour" gibt den Jugendlichen aus Gaza Hoffnung auf ein Leben ohne Krieg.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Diese Jugendlichen leben an einem der gefährlichsten Orte der Welt: im Gazastreifen, wo oft Bomben explodieren. Mit kühnen Sprüngen zeigen sie, dass es dort mehr gibt als Krieg.

Von Peter Münch

Manchmal tut es weh. Dann läuft Mohammed eine Mauer hoch, als ob es die Schwerkraft nicht gäbe, dreht sich rückwärts zu einem Salto - und landet unsanft auf dem Hintern. Oder er hechtet über ein Hindernis, und wenn er Pech hat, bleibt er irgendwo hängen. Ein paar Knochenbrüche hat er schon hinter sich. "Man muss verrückt sein, um das zu machen", sagt er und grinst. "Also sind wir verrückt." Mohammed und seine Freunde Dschihad und Abdullah haben einen Sport für sich entdeckt, der "Parkour" heißt.

Waghalsig springen sie von Dach zu Dach. Furchtlos überwinden sie mit einem Salto oder einem gestreckten Sprung jedes Hindernis. Und Hindernisse gibt es mehr als genug, da, wo Mohammed und seine Freunde leben: im Gazastreifen. Dieser kleine Küstenabschnitt ist ein palästinensisches Gebiet (mehr dazu im nächsten Artikel). Drei Kriege mit Israels Armee hat es dort allein in den vergangenen sieben Jahren gegeben. Viele Menschen sind gestorben, viele Häuser wurden zerstört. Mohammed und seine Freunde trainieren zwischen Trümmern. "Alles, was wir brauchen, sind Mauern und Muskeln" sagt er. Doch die Mauern sind oft Ruinen.

Vor zehn Jahren schon haben sie mit Parkour begonnen. Im Internet hatten sie ein paar Videoclips dazu aus Europa gesehen und waren fasziniert. Anfangs sind sie Einzelgänger gewesen, und wenn sie von Dach zu Dach gesprungen sind, dann haben manche sie für Diebe gehalten. Doch mittlerweile sind sie bekannt im Gazastreifen, und für viele Jugendliche sind sie richtige Stars und Vorbilder. So haben sie ein Team gegründet, das "PK Gaza" heißt und regelmäßig trainiert. Sie stellen selbst gedrehte Videos ins Internet, auf denen ihre schönsten Sprünge zu sehen sind - und ihre größten Sorgen.

Denn Parkour mag gefährlich sein, aber noch gefährlicher ist manchmal das Alltagsleben im Gazastreifen. Es gibt ein Video, auf dem sie vorne Saltos schlagen im Wüstensand - und hinten am Horizont explodiert eine Bombe. Doch von all dem lassen sie sich nicht abhalten. Der Parkour-Sport ist für sie auch eine Flucht vor dem bedrückenden Leben ringsherum. "Wir wollen zeigen, dass es im Gazastreifen mehr gibt als Schießereien und Tote", sagt Mohammed.

Parkour ist für sie ein Lebensstil, und dazu gehört auch die Musik. Sie hören Hip-Hop, tragen möglichst coole Klamotten und Wollmützen auf dem Kopf, selbst wenn es im Sommer brütend heiß ist. Auch damit fallen sie auf im Gazastreifen, der von einer Gruppe beherrscht wird, die Hamas heißt. Das sind radikale Männer, die strenge Regeln durchsetzen wollen und sich dabei auf den Islam berufen - mit Religion hat ihr Machtanspruch aber nichts zu tun. Unterstützung haben die Jugendlichen von den Islamisten jedenfalls nicht zu erwarten, sie können schon froh sein, wenn ihnen ihr westlicher Stil nicht verboten wird.

Bei ihren Sprüngen über alle Hindernisse suchen sie die Freiheit, die es in Gaza nirgends gibt. Sie träumen von Reisen ins Ausland, von Auftritten als Stuntmen in Filmen. Doch es gibt keinen Weg heraus aus dem Gazastreifen. Die Grenzen nach Israel und Ägypten sind schon lange geschlossen. Israels Regierung hat den gesamten Gazastreifen mit einem Stacheldrahtzaun und einer acht Meter hohen Betonmauer von der Welt abgetrennt. Diese Mauer ist selbst für Mohammed und seine Freunde unüberwindbar.

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