Vom Paparazzo zum Promi:Der Scharfschütze

Zu Besuch bei "Mister Paparazzi": Darryn Lyons hat mit Fotos von Stars ein Vermögen gemacht - nun will er selber einer werden.

Marten Rolff

Auch noch im Sterben ist die Prinzessin von Wales wunderschön: Diana hat ein Lächeln auf den Lippen und das Antlitz eines Engels, wie sie dort in sich zusammengesunken im Fond des Mercedes-Wracks sitzt. Minuten zuvor ist ihr Wagen im Pariser Alma-Tunnel gegen die Mauer gebrettert. Auch zwei Fotografen sind im Tunnel. Zufällig! Sie rennen zum Wrack, reißen die Tür auf, versuchen verzweifelt, die Prinzessin wiederzubeleben; erst als der Erfolg ausbleibt, schießen sie Bilder von der verletzten Diana.

Vom Paparazzo zum Promi: "Ein gutes  Foto entsteht vielleicht zu zehn Prozent durch Können", sagt Prominentenfotograf  Darryn Lyons. "Die übrigen  90 Prozent sind Geduld, Glück und ein Bauchgefühl für  den richtigen Augenblick."

"Ein gutes Foto entsteht vielleicht zu zehn Prozent durch Können", sagt Prominentenfotograf Darryn Lyons. "Die übrigen 90 Prozent sind Geduld, Glück und ein Bauchgefühl für den richtigen Augenblick."

(Foto: Foto: OH)

Die teuersten Fotos aller Zeiten werden sofort nach London geschickt. An den Chef einer Bildagentur, der sich nun fühlt wie ein US-Präsident mit der Hand am Auslöser für die Atomsprengköpfe. Hektisch holt er Gebote ein. Schwitzt, schreit, verkauft. Dann der Anruf: Die Prinzessin ist tot. Der Agenturchef zieht zurück. Ethische Gründe! Er betet jetzt. Er ist erschüttert - übermannt von der Größe des Augenblicks und vom bohrenden Schmerz über den Tod der meistfotografierten Frau des Globus.

Die Wahrheit des Paparazzo

Wer die Welt von Darryn Lyons betritt, braucht einen Sinn fürs Dramatische. Auch, um zu glauben, dass sich die Dinge wirklich so zugetragen haben, wie der Meister sie für seine soeben erschienene Autobiographie aufschreiben ließ. Titel des betreffenden Kapitels: "Dianas Unfall - die Wahrheit". Zu Lyons Wahrheit gehört tatsächlich, dass Fotografen in der Schicksalsnacht des 31. August 1997 zufällig an Dianas Unfallort waren.

Paparazzi, die Prinzessinnen retten wollen und erst dann den Auslöser drücken, wenn die Ärzte übernommen haben. In dieser Welt scheitern Geschäfte manchmal am Edelmut des Chefs. Denn Darryn Lyons, Besitzer von Big Pictures - nach eigenen Angaben weltgrößte Agentur für Prominentenfotos - ist nicht nur der Herr der Bilder, sondern längst auch der Herr der Geschichten. Ein Australier, der von London aus ein Heer von 800 Fotografen befehligt. Ein Mann, der gern erzählt, wie er Stars aufbaut und Stars fallen lässt und der sich nur noch "Mr. Paparazzi" nennt.

Man darf sich diese Welt ruhig wie eine ewige Theaterinszenierung vorstellen. Auf dem Spielplan: Das wilde Leben des unverschämtesten Promifotografen der Welt. Derzeitige Hauptbühne: Ein Büro in Londons Künstlerviertel Bloomsbury.

Wer die Glastür zur Bühne öffnet, stolpert über den Kopf eines Löwenfells. An den Wänden: Zeitungsaufmacher. Die Beckhams, Britney, Brangelina. Im Zentrum: Ein riesiger Schreibtisch, auf dem Exemplare seiner Biographie aufgestellt sind, die Titel zur Tür ausgerichtet. Hinter dem Schreibtisch steht eine Art Thron, davor die einzige Hauptfigur.

Extravagantes Styling

Darryn Lyons, 42, trägt Schwarz: ein weit aufgeknöpftes Satinhemd mit Fledermausärmeln und Strassmanschetten, dazu Karottenhosen und spitze rote Lackschuhe. Aus seiner Frisur - eine Kreuzung aus Irokese und Vokuhila - wächst die Blondierung heraus. Er hätte gern nachgefärbt für das Interview, sagt Lyons später entschuldigend, "aber ich muss mein Haar schonen." Er hat sechs Wochen Fernsehpause.

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Der Scharfschütze

Auffallen um jeden Preis - dieses Motto dürfte Lyons mit den meisten der Menschen teilen, die er fotografieren lässt. Eine Marke etablieren, darum geht es. "Ich bin für mein Geschäft das, was Ronald McDonald für McDonald's ist", erklärt Lyons. Deshalb ähnelt er der Comicfigur, die als Maskottchen seiner Webseite dient: MrPaparazzi.com ist sein neuestes Projekt.

Eine Seite, auf der die User privat geschossene Paparazzi-Bilder gegen Gewinnbeteiligung einstellen. "Das ist die Zukunft", sagt Lyons. Vor zehn Jahren haben sie ihn gefragt, ob das Promigeschäft nicht ausgelutscht sei. "Macht ihr Witze?", hat er geantwortet, "das ist nie vorbei." Gerade hat er sein nächstes Ziel verkündet: Er will der wichtigste Mann im britischen TV-Geschäft werden.

Man kann darüber lachen wie über all seine Übertreibungen - und würde ihn möglicherweise unterschätzen. Auf seinem Schreibtisch steht so ein Spruch, den er sich gerahmt hat: "Im Leben geht es nicht darum, sich selbst zu finden, sondern darum, sich selbst zu erfinden." Für Lyons Karriere zumindest scheint diese Phrase bisher funktioniert zu haben.

Mit Rupert Murdoch im Aufzug

Am lautesten schreien und daran glauben, so war das schon vor gut 20 Jahren, als er noch beim Advertiser in seiner Heimatstadt Geelong bei Melbourne arbeitete. Wenn Lyons von einem Termin in die Redaktion zurückkam, sagte er nicht: "Hier bitte, die Fotos" sondern: "Räum schon mal die Eins frei!" Als Geelong zu klein wurde, wechselte Lyons in die Londoner Fleet Street und quatschte Rupert Murdoch im Aufzug an. Einfach so. Murdoch soll ihm damals ein paar Türen geöffnet haben.

Für die Daily Mail fotografierte er 1989 Folteropfer der Securitate in Rumänien. Eingereist war er in einem gefälschten Wagen des Roten Kreuzes. Anschließend war er als Reporter im Bosnienkrieg. Dann wurde er Paparazzo. Eine Zeitlang arbeitete er als Dianas Schatten.

Die heißesten Fotos

Er hatte viele Scoops. Das letzte Foto vom aidsgezeichneten Jahrhunderttänzer Rudolf Nurejew etwa oder Bilder von einer Sauftour mit Jack Nicholson. Und Fotografen lieferten seiner Agentur nicht nur die Beweise für die Beziehung von Diana und Dodi Al-Fayed im Sommer 1997, sondern auch die für die Liebe von Angelina Jolie und Brad Pitt acht Jahre später.

Aber kaum etwas beschäftigt ihn so wie Dianas Tod im Tunnel. Die Briten haben ihn verachtet dafür, dass ausgerechnet dieser australische Prolet Fotos von ihrer sterbenden Prinzessin besitzt. Sein Haus wurde durchsucht, er hat Morddrohungen erhalten damals.

Entscheidend seien doch zwei Dinge, findet der Agenturchef: Die Paparazzi hätten nicht die Prinzessin gejagt, sondern "die größte Lovestory des Jahrhunderts, das war ihr Job". Und er - Lyons schreit jetzt fast - habe die Fotos damals nicht verkauft. Sie liegen heute im Giftschrank, vielleicht irgendwo neben den Bildern der barbusigen Camilla, die er auch nie veröffentlichen ließ.

Die Vorhaltungen wegen der Diana-Affäre machen ihn immer noch wütend. Aber er ist es gewohnt zu polarisieren. Es ist wie mit seinen Auftritten im Fernsehen: "Die einen hassen es, die anderen lieben es. Kennen Sie bessere Voraussetzungen für eine erfolgreiche Show?"

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Der Scharfschütze

Im Moment lieben sie ihn. Die BBC verkaufte eine Dokumentation über Lyons in 78 Länder, und der Guardian zählte ihn gerade zu den einflussreichsten Menschen Großbritanniens. Weltweit notieren sie jetzt genüsslich Krawallzitate aus seiner Autobiographie oder schreiben über seine neobarocke Villa in Kensington, in der vier Meter hohe Porträts hängen sollen: Darryn Lyons im Andy-Warhol-Stil. Er hat den Lamborghini von Rod Stewart gekauft. Und den Kronleuchter aus Dianas letztem Hotelzimmer im Pariser Ritz.

Das "Fame-Game"

Lyons erklärt im Gegenzug das "Fame-Game". Dass Paparazzi die besten PR-Agenten seien. Dass Brad Pitt ohne ihn ein Niemand wäre. "Schauspieler werden nicht Schauspieler, um zu schauspielern", sagt er, "sondern um berühmt zu sein. Sie lieben es!" Es amüsiert ihn, wenn sie den Gipfel überschreiten. Wie sie sich abstrampeln, um nicht zu fallen. Tom Cruise sei das beste Beispiel, sagt Lyons. Cruise hasste die Fotografen früher.

Heute, wo sein Einfluss schwindet, haben sie ihn da, wo sie ihn haben wollen: albern hopsend bei Oprah Winfrey auf dem Sofa. Man mag diese Haltung geschmacklos und zynisch finden. Aber mit Moral kann man Lyons nicht kommen, das weiß er. Weil jeder, der ihn um ein Interview bittet - und jeder, der es liest-, Teil des Deals ist. Weil die Branche immer gleich tickt: Gewissenhaft ein paar Vorwürfe heucheln und dann nach dem Schmutz fragen.

Eine Affäre mit Beckhams Affäre

Das Interessanteste an Lyons Schmutz ist, dass er die Tür zum Business einen Spalt weiter geöffnet hat als andere. Natürlich weiß man, dass Paparazzi-Bilder oft arrangiert sind. Aber wie weit Kooperationen gehen, das formuliert eben selten einer so drastisch wie Lyons: Ehefrauen von Schauspielern riefen bei ihm an und fragten, ob ihr Mann sie betrüge. Kylie Minogue sei kürzlich vorbeigekommen. Einfach so, um sich mal zu bedanken.

Und der Vater von David Beckham melde sich manchmal bei ihm, um Bilder fürs private Familienalbum zu erbitten. Dazu muss man wissen, dass Lyons die Ehe der Beckhams fast ruiniert hat, indem er die Affäre zwischen David Beckham und dessen persönlicher Assistentin Rebecca Loos öffentlich machte. Anschließend sei er mit Loos ins Bett gegangen, schreibt er. Eine Affäre mit der Affäre des sexiest man alive: Auch so kann man irgendwie dazugehören.

Lyons widerspricht. "Sehe ich aus wie jemand, den man akzeptiert?" Er sei einer, der am Boden geblieben ist. Ein "sensibler Kerl mit Werten". Sein Buch hat er "Mum and Dad" gewidmet, fromme Baptisten und seine Vorbilder, wie er sagt. "Entschuldigung für die schmutzigen Stellen und die Kraftausdrücke", hat er unter die Widmung geschrieben.

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