Verschüttete Bergleute in Chile:Bibeln statt Bohrer

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Als wäre die Bergung aus 700 Meter Tiefe nicht schwierig genug: Jetzt haben Diebe Bohrgerät zur Rettung der chilenischen Bergleute gestohlen.

Stefan Klein

Jose Pérez, 42, wartete nicht lange. Schon drei Tage nach dem Unglück setzte er sich abends ins Auto und fuhr zur Kupfer- und Goldmine San José. Im Eingangsbereich sah er die Angehörigen der 33 Verschütteten, wie sie dort notdürftig campierten. Die Septembernächte sind kalt in der Atacama-Wüste, und als er die frierenden Menschen sah, da wusste Pérez, wie er helfen würde. Er ist ja Winzer von Beruf, er baut Wein an für den Export, und er ist gerade dabei, alte Rebstöcke durch neue zu ersetzen. Rebstöcke, Holz, Brennholz. Und so kam es, dass seither im Lager der Angehörigen, dem Lager der Hoffnung, wie sie es getauft haben, jede Nacht wärmende Feuer brennen. Pérez hat schon sieben Lastwagenladungen mit alten Rebstöcken geschickt.

Essen aus der Röhre: Ein Hilfsarbeiter packt Nahrungsmittel in Röhren, die den eingeschlossenen Bergleuten durch eine Pipeline zugeschickt werden. Durch Chile geht derzeit eine Welle der Solidarität für die Verschütteten. (Foto: AFP)

Die große Welle der Hilfsbereitschaft, die das Unglück im Norden Chiles Anfang August ausgelöst hat, hält noch immer an. Manche helfen diskret wie der Winzer Pérez, andere machen aus ihrer Gutherzigkeit eine große Show. So kam der steinreiche Unternehmer Leonardo Farkas persönlich vorgefahren, um jeder der 33 Familien einen Scheck über fünf Millionen Pesos (10.000 Dollar) zu überreichen. Und dann gibt es auch andere, weniger erfreuliche Ereignisse.

So haben am Wochenende Diebe wichtiges Bohrgerät gestohlen. Die Metallteile sollen zusammen etwa 60 Millionen Pesos (100.000 Euro) wert sein. Die Bohrungen gehen dennoch weiter. Angesichts des bevorstehenden 200.Jahrestages der Unabhängigkeit Chiles am kommenden Samstag sind die Verschütteten zu einem Symbol für nationale Einheit und Solidarität geworden.

Das Fernsehen lud Carolina Lobos in die chilenische Version der Sendung "Wer wird Millionär?" ein. Carolina ist die Tochter von Franklin Lobos, den sie früher, als er noch ein landesweit bekannter Fußballer war, "el Mortero Magico" nannten, eine Art Bomber der Nation. Seinen einstigen Ruhm hat er aber nicht zu versilbern vermocht, heute ist er einer der 33 eingeschlossenen Bergleute.

Der Tochter haben sie für die Sendung eine erfahrene Journalistin zur Seite gestellt, denn der Sinn der Sache war ja, dass sie recht weit kommen und möglichst viel kassieren sollte. Der Hauptgewinn wurde es nicht, aber mit 12,5 Millionen Pesos und all den anderen Spenden wird man Franklin Lobos in Zukunft vielleicht die Drecksarbeit in einer Mine ersparen können.

"Alle chilenischen Unternehmen stehen zur Verfügung"

Nicht so sichtbar, aber mindestens genauso hilfreich ist die Bereitschaft, chilenischer Unternehmen, sich in den Dienst der Rettungsoperation zu stellen und jederzeit schnell und unbürokratisch auf Sonderwünsche zu reagieren. Als man die Vermissten nach 17 Tagen fand, abgemagert und verdreckt, da war es eine der vordringlichsten Aufgaben, sie mit neuer und vor allem: dem feuchtheißen Klima in 700 Metern Tiefe angepasster Kleidung zu versorgen. Prompt fand sich ein Unternehmen, das auf Spezialkleidung für Bergsteiger spezialisiert ist - Hitze abweisende, Schweiß absorbierende, Luft durchlässige Sachen. Geliefert wurde sofort. Kostenlos, versteht sich.

Geholfen wurde auch jetzt, da es darum geht, unten in der Tiefe neue Unterkünfte herzurichten. Irgendwann werden die Bohrmaschinen nach unten durchbrechen zu den Eingeschlossenen, und dann müssen diese umgezogen sein an einen anderen Platz. Dieser wird gerade vorbereitet, und weil er noch ein Stück tiefer liegt und noch etwas heißer und feuchter ist, erging von San José erneut ein Hilferuf an die Textilindustrie des Landes - und diese reagierte umgehend. Sie lieferte einen Spezialstoff, aus dem die Kumpels jetzt vier Zelte errichten. Es ist ein Stoff, von dem man hofft, dass er Hitze und Feuchtigkeit abhält.

"Alle chilenischen Unternehmen stehen uns zur Verfügung", sagt Renato Navarro, U-Boot-Kapitän und Logistikchef des Rettungsteams. Nur einmal klappte es nicht wie geplant. Das war, als man die Kumpels mit festem Schuhwerk ausstatten wollte. Die Schuhe passten nicht in die engen Röhren, die im Moment die einzige Verbindung darstellen zu den Eingeschlossenen. Denn das kommt ja noch erschwerend hinzu: Alles, was die Retter benötigen für die Versorgung der Kumpels, muss sich zusammenpressen lassen, bis es in eine Öffnung passt vom Durchmesser einer Zitrone. So wich man stattdessen auf Taucherschuhe aus.

Bei der geistigen Erbauung war es einfacher. Weil es Bücher nämlich auch in kleinen Größen gibt und weil der evangelische Pfarrer Carlos Parra ein findiger Mensch ist. Die Schrift, nach der er suchte, war als Miniaturausgabe schnell gefunden, er bestellte sie 33 mal. Nicht lange danach waren die Eingeschlossenen unter der Erde im Besitz einer Bibel. Mut machende Textstellen waren für die Kumpels leicht zu finden. Parra hatte sie eigens mit einem gelben Stift markiert.

© SZ vom 13.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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