Verpackungsmüll:Das Müllproblem der Coffee-to-go-Gesellschaft

Coffee-to-go

Es gibt immer mehr Verpackungsmüll in Deutschland. Einwegbecher sind ein Grund dafür.

(Foto: Christian Charisius/dpa)

Der Pfand-Kaffeebecher ist in vielen deutschen Städten so etwas wie das Experiment der Stunde. Damit soll dem Pappbecher der Garaus gemacht werden. Ob das funktioniert?

Von Thomas Hahn

Roman Witt vom solidarischen Kaffee-Handelsverein El Rojito in Hamburg weiß, was guter Kaffee ist. Und wenn er das beschreibt, redet er relativ wenig über den Geschmack. "Wenn man anfängt in der Wertschöpfungskette", sagt er, "geht es zunächst mal darum: Wo kommt der Kaffee her, wie wird er produziert?"

Guter Kaffee kommt demnach aus einer weitgehend sauberen Umwelt, von Kaffeepflanzen, die unbelastet sind von den Chemie-Spritzkuren rücksichtsloser Großbauern. Er wird von Arbeitern in Lateinamerika oder Afrika geerntet, die ordentliche Löhne erhalten. Er wird nach der Trennung von Bohne und Kirsche wochenlang von Hand getrocknet und gewendet, ehe er seine Reise in reiche Konsumländer wie Deutschland antritt. In Roman Witts Welt wird guter Kaffee dann nicht nur drei Minuten bei 800 Grad geröstet wie in der Massen-Kaffee-Industrie. Sondern zwölf bis 16 Minuten bei bis zu 220 Grad unter genauer Beobachtung - eben wie in der Hamburger El-Rojito-Rösterei. Und am Ende wird der gute Kaffee aus biologisch abbaubaren Mehrwegbechern getrunken, damit er möglichst wenig Müll produziert.

Letzteres allerdings ist vorerst noch ein Anspruch in der Projektphase, den Roman Witt als Projektleiter der El-Rojito-Initiative Refill it seit einem Monat voranzutreiben versucht. Der Verein El Rojito und sein hauptamtlicher Angestellter Witt gehören damit zu den Schrittmachern einer Entwicklung, die verschiedene alternative Kaffeevertreiber, Politiker und Wegwerf-Gegner unabhängig voneinander im ganzen Land angestoßen haben. Der Pfand-Kaffeebecher ist gerade so etwas wie das Experiment der Stunde in der Welt der Städte und der mobilen Gesellschaft.

Der Kaffee hat Karriere gemacht in den vergangenen 15 Jahren. Er ist mal das Heißgetränk zum Verweilen gewesen, der Geschmack der ruhigen halben Stunde beim Frühstück oder des gemütlichen Nachmittagsklatschs. Heute ist Kaffee der Wachmacher für eine bewegliche, allzeit erreichbare Arbeitsbevölkerung, in der sehr viele Leute ständig auf dem Sprung sind. Coffee-to-go ist das Symptom einer modernen Rastlosigkeit, der viele Berufstätige tatsächlich nicht entgehen können. Mit der man es aber auch übertreiben kann. Warum es zum Beispiel auf den norddeutschen Ferieninseln so viel Kaffee zum Mitnehmen gibt, ist kaum zu verstehen.

Dass der Kaffee zum Mitnehmen sein eigenes Müllproblem mit sich bringt, ist für viele lange ein nachrangiges Thema gewesen. Aber das Problem ist zu groß geworden. Das Umweltbundesamt beklagt, dass immer mehr Verpackungsmüll anfällt, 2014 waren es 17,8 Millionen Tonnen im Vergleich zu 17,1 Millionen 2013. Einer der Gründe laut Amt: "Der zunehmende Außer-Haus-Verzehr", vor allem die Coffee-to-go-Kultur, zu der ja nicht nur ein mit Kunststoff beschichteter Pappbecher gehört, sondern auch Deckel und Rührstäbchen aus Plastik. Umdenken tut not. Der Mehrweg-Kaffeebecher wirkt deshalb gerade wie ein Werkzeug zur Weltverbesserung.

Aus der Initiative muss erst noch eine echte Bewegung werden

Die Stadt Freiburg bietet neuerdings in 16 Cafés und Backshops einen Pfandbecher namens FreiburgCup an. Weitere Projekte gibt es in Tübingen, Berlin, Rosenheim. Oder eben in Hamburg, wo Roman Witt mit leisem Stolz den neuen El-Rojito-Becher auf den Tisch stellt. Der Becher ist aus Baumsaft hergestellt, einem Abfallprodukt der Papierindustrie, und zu hundert Prozent kompostierbar. 1,50 Euro kostet das Pfand für den schwarzen Becher. Dazu gibt es einen nicht abbaubaren Silikon-Deckel und einen roten Filzring, damit man sich am heißen Kaffee nicht die Finger verbrennt. Beide kann man zu je 1,50 Euro dazukaufen. "Das ist unser Nachhaltigkeitsprojekt im Verein", sagt Witt.

Seit 1987 unterstützt El Rojito Menschen in Lateinamerika durch einen Kaffee-Handel, der die Bohnen ohne Zwischenhändler direkt von selbstverwalteten Kooperativen bezieht. Der Verein will sich damit abheben von den großen Kaffee-Ketten. Und auch beim Thema Coffee-to-go sah sich El Rojito in der Pflicht. "Da haben wir gesagt, wir schaffen die Einwegbecher komplett ab", sagt Witt. 10 000 Euro investierte der Verein in das Projekt. Diverse Hamburger Cafés machen mit, sie bieten ihrerseits den El-Rojito-Becher an. Witt sagt: "Wir wollen für Hamburg was anstoßen." Es scheint zu gelingen. Das Medienecho war beträchtlich. Und ständig gibt es Anfragen aus der Kaffee-Wirtschaft.

60 Millionen Becher pro Jahr - allein in Hamburg

All die lobenswerten, meist frei finanzierten Projekte sind nur ein Anfang, das weiß Witt selbst. 60 Millionen Kaffeebecher landen jedes Jahr im Müll der Hansestadt, meldet die Grünenfraktion der Hamburgischen Bürgerschaft. El Rojito hat in den ersten vier Wochen 550 Becher ausgegeben, 90 davon haben die Kunden zurückgebracht. Aus der Initiative muss erst noch eine echte Bewegung werden. In Hamburg hat die Grünenfraktion deshalb für diesen Dienstag ins Rathaus zu einem Fachgespräch eingeladen. El Rojito wird vertreten sein, aber auch Ketten wie Tchibo, Balzac, McDonald's nehmen teil.

Andernorts haben solche Gespräche schon begonnen: Bayerns Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU) eröffnete am Freitag einen runden Tisch mit Unternehmen, Verbänden und Kommunen zur Becherfrage. Ergebnis? Scharf ist für freiwillige Lösungen. Aber bis die sich zu einer übergreifenden Strategie verbinden, dürfte es noch lange dauern. Denn das Vorhaben, die konkurrierenden Kaffee-Geschäfte unter ein einheitliches Pfandsystem zu bringen, ist nicht zu unterschätzen.

Es geht darum, mit Gewohnheiten von Kunden zu brechen, in gewisser Weise auch Umstände zu machen im großen Effizienzgetriebe der ratternden Arbeitswelt. Aber vor allem die praktische Umsetzung ist keineswegs trivial: "Das ist eine riesige logistische Herausforderung", sagt Roman Witt, "denn wir reden ja nicht nur über 3000 Becher." Stefan Dierks, Nachhaltigkeitsmanager bei Tchibo, findet die Idee reizvoll, einen Hamburg-Mehrwegbecher für alle anzubieten. Aber eine professionelle, Unternehmen übergreifende Koordination ist aus seiner Sicht die Voraussetzung dafür. Ob man so etwas umsetzen kann? "Das wissen wir noch nicht und wollen wir jetzt herausfinden", sagt Dierks.

Klar ist vorerst nur, dass nicht alle gleich gut mitmachen. Der US-Kaffee-Riese Starbucks zum Beispiel fehlte am runden Tisch in München trotz Einladung. Auch in Hamburg sah es bis Montagnachmittag nicht so aus, als diskutiere ein Starbucks-Vertreter mit. Wie die Firma ein einheitliches Pfandsystem findet? Eine Sprecherin kann nur sagen, dass jede Starbucks-Filiale 30 Cent Rabatt gewähre, wenn ein Kunde sein eigenes Gefäß befüllen lasse. In der aktuellen Debatte geht es auch darum, kleine Non-Profit-Unternehmen und die gewinnorientierten Coffeeshop-Mächte auf eine Becher-Linie zu bekommen. Gut möglich, dass sie daran am Ende scheitert. Bei der Frage, was ein guter Kaffee ist, sind diese beiden Seiten nämlich ziemlich weit auseinander.

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