Vegetarier:Fleischlos glücklich

Raus aus der Müsli-Ecke: Vegetarische Kost ist zur gesellschaftlichen Mode geworden, Studien belegen die gesundheitlichen Vorteile.

Charlotte Frank

Vor ein paar Jahren noch, erinnert sich Claus Leitzmann, sei er regelmäßig belächelt worden, wenn er mal wieder das Steak zur Seite geschoben und nur die Beilagen gegessen habe. "Müslifreak" und "Körneresser" wurde er genannt, erzählt der Professor für Ernährungswissenschaft an der Universität Gießen, der schon seit 30 Jahren kein Fleisch mehr isst.

vegetarier; istockphotos

So attraktiv können Vegetarier sein: Gwyneth Paltrow teilt die fleischlose Lebensweise mit Julia Roberts und anderen Hollywoodstars.

(Foto: Foto: Reuters)

Und ständig diese Witze: Ob er als Vegetarier Orangensaft trinken dürfe, da sei doch Fruchtfleisch drin. Und dass er sich beim Grillen bitte nicht über den Rasen hermachen sollte. Seit ein paar Jahren aber hätten die Sprüche aufgehört. "Heute wundert sich kein Mensch mehr, wenn man kein Fleisch isst", hat er festgestellt. "Vegetarische Ernährung ist gesellschaftsfähig geworden."

Im Zeitalter von BSE, Gammelfleischskandalen und wachsendem Umweltbewusstsein hat der Vegetarismus einen Imagewandel durchgemacht: Vom Öko-Trip grüner Strickpulli-Träger hin zu einem modernen Lebenskonzept, für das Stars wie Gwyneth Paltrow, Dustin Hoffman oder Julia Roberts Vorbilder sind. Sterneköche haben die fleischlose Kost ebenso entdeckt wie Betriebskantinen, Fastfoodketten und Gasthäuser.

Immer neue vegetarische Brotaufstriche, Fertiggerichte und Snacks werden von der Industrie kreiert. Und seit 1998, innerhalb von nur zehn Jahren, hat sich die Mitgliederzahl des Deutschen Vegetarierbunds verdoppelt - nach Eigenangaben auf 2000 Aktive.

Der Mensch - ein Beilagenesser?

Wie viele Menschen sich tatsächlich vegetarisch ernähren, darüber gibt es keine gesicherten Erkenntnisse. Während der Vegetarierbund von acht Prozent ausgeht, ermittelte die Gesellschaft für Konsumforschung sechs Prozent, und die jüngste Untersuchung, die Nationale Verzehrstudie des Karlsruher Max-Rubner-Instituts (MRI), ergab gerade mal 1,6 Prozent. Dieser niedrige Wert erstaunt zwar selbst MRI-Wissenschaftler, wird aber gemeinhin mit den unterschiedlich eng gefassten Fragestellungen erklärt, die von "streng" bis "vorwiegend vegetarisch" reichen.

Das Ergebnis hängt zudem von Geschlechterverteilung und Altersspanne der Befragten ab - denn je mehr Frauen und junge Menschen repräsentiert sind, desto höher ist der Anteil der Vegetarier. Frauen ernähren sich laut MRI mit 2,2 Prozent mehr als doppelt so oft vegetarisch wie Männer mit nur einem Prozent. Außerdem ist bei älteren Menschen seltener fleischlose Ernährung zu beobachten. Demnach liegt der höchste Vegetarier-Anteil mit vier Prozent bei den 18- bis 24-jährigen Frauen.

Während die Zahlen variieren, sind sich die Experten einig, dass Ernährung geschlechterspezifisch ist. "Für Frauen hat Fleisch weniger Symbolcharakter, während es für Männer mit Kraft und Potenz verbunden ist", sagt die Gießener Ernährungsökologin Ingrid Hoffmann. Zudem hätten Frauen ein ausgeprägteres Gesundheitsbewusstsein. Und mit gesundheitlichen Gründen, dies belegen Studien der jüngeren Zeit, erklären Vegetarier am häufigsten ihren Fleischverzicht, dicht gefolgt von ethischen, ökologischen und religiösen Motiven.

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Fleischlos glücklich

Dass Vegetarismus als gesund angesehen wird, ist relativ neu. Lange hat sich die Forschung auf die damit verbundenen Mängel konzentriert. Es dominierte das Bild vom blutleeren Vegetarier mit chronischer Eisen-, Calcium- und Vitamin-Unterversorgung. "Dies trifft heute eigentlich nur noch auf sogenannte ,Pudding-Vegetarier' zu, die auf Fleisch verzichten, ansonsten aber nur Weißbrot und Kekse essen", sagt Gisela Olias vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam.

Auch Veganer, die weder Fleisch noch sonstige Tierprodukte konsumieren, bekämen oft zu wenig Vitamin B12. "Das kann zu Nervosität, Empfindungsstörungen und vor allem Anämie führen", sagt Olias. Die gängigen "Ovo-Lacto-Vegetarier" hingegen sind aber kaum gefährdet - sie essen Eier und Milchprodukte, manche auch Fisch. "Bei ihnen ist gegen vegetarische Kost nichts einzuwenden", meint Olias.

Wichtig sei nur, dass Fleischverzicht durch eine ausgewogene Ernährung kompensiert würde, mit genügend Gemüse und Milchprodukten. Vor allem Hülsenfrüchte und Nüsse enthalten wichtige Nährstoffe und Proteine, und um die Aufnahme von Eisen zu erhöhen, sollte Gemüse immer zusammen mit etwas Vitamin C oder Zitronensäure gegessen werden. Zitrone am Salat, ein Orangensaft zum Essen oder ein Stück Obst danach können schon viel helfen. Kaffee und Tee unmittelbar nach der Mahlzeit behindern hingegen die Eisen-Resorption.

Wer derart bewusst isst, lebt auch ohne Fleisch gesund - möglicherweise gesünder als das Gros der Bevölkerung. Nicht nur die Gießener Vollwert-Ernährungs-Studie und die Vegetarierstudie des Bundesgesundheitsamtes attestieren Vegetariern eine geringere Neigung zu Übergewicht, Bluthochdruck, Nierenleiden und erhöhten Cholesterinwerten. Auch eine Langzeituntersuchung (seit 1978) des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg findet Hinweise auf "ein drastisch verringertes Sterberisiko". Demnach würden Vegetarier seltener an "Krankheiten des Herz-Kreislaufsystems, der Atmungs- und Verdauungsorgane sowie an Krebs" sterben.

Ist der Mensch also doch ein "Beilagenesser", in Umkehrung der These von Bestsellerautor Heinz Strunk ("Fleisch ist mein Gemüse")? Nein, sagt Ernährungsökologin Hoffmann, evolutionsbiologisch betrachtet seien wir "Omnivoren", Allesfresser, die sich von Pflanzen und Fleisch ernähren: "Geringe Mengen Fleisch können helfen, Mangelerscheinungen zu vermeiden." Nur würde kaum jemand diese gesunde "geringe Menge" treffen, weshalb Experten lieber gleich - außer bei Kindern und Schwangeren - den vollständigen Verzicht propagieren.

Dass der sparsame Fleischkonsum immer noch die beste Wahl ist, belegt die Heidelberger Studie: Nach der Gegenüberstellung von Veganern, Ovo-Lacto-Vegetariern und Menschen, die selten kleine Mengen Fleisch oder Fisch essen, folgerten die Forscher: "Vergleicht man diese drei Kategorien, so scheinen sich die gelegentlichen Fleischkonsumenten für die gesündeste Ernährungsweise entschieden zu haben."

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