Väter bei der Geburt:Dabei sein ist nicht alles

Bei den Presswehen hört der Spaß auf: Väter erleben die Geburt ihrer Kinder weniger positiv als angenommen, zeigt eine Studie.

Titus Arnu

Es sollte das schönste und größte Erlebnis im Leben werden. Alles war akribisch vorbereitet, die werdende Mutter und der werdende Vater hatten einen Geburtsvorbereitungskurs belegt, Massagetechniken geübt und die Videokamera bereitgelegt. Doch bei den Presswehen hörte der Spaß dann auf. Das Wunder der Geburt erlebte der junge Mann als "furchtbares Naturereignis". Wie ein "Erdbeben im Kreißsaal" beschreibt der geschockte Vater in einem Eltern-Forum die Niederkunft seines ersten Sohnes.

Väter bei der Geburt; ap

Mehr als die Hälfte der Männer, die bei der Geburt ihres Kindes dabei sind, werden von dem Ereignis so überrumpelt, dass sie hinterher finden, ihre positiven Erwartungen seien nicht erfüllt worden.

(Foto: Foto: dpa)

Wenn in den kommenden Tagen wieder zahllose Eltern freudestrahlend in den Medien vom Moment der Geburt ihrer Neujahrsbabys berichten, so könnte es sein, dass zumindest die Väter nicht immer ganz aufrichtig dabei sind. Denn mehr als die Hälfte der Männer, die bei der Geburt ihres Kindes dabei sind, werden von dem Ereignis so überrumpelt, dass sie hinterher finden, ihre positiven Erwartungen seien nicht erfüllt worden.

Dies hat eine Studie der Universitätsklinik Bonn ergeben. Valenka Dorsch von der Abteilung für Gynäkologische Psychosomatik befragte dazu 171 Männer, nachdem diese live miterlebt hatten, wie ihr Kind auf die Welt kam. Fast ein Viertel der Väter sprach von einem "sehr schrecklichen Geburtserlebnis".

Gefühl der Ohnmacht

Die psychische Befindlichkeit von Frauen nach der Geburt ist bereits eingehend untersucht worden, von Hormonveränderungen bis zur postnatalen Depression. Über die Auswirkungen der Kindsgeburt auf die Psyche von Männern gab es bislang kaum Daten. Das Thema ist nicht nur wissenschaftliches Neuland, es ist auch aus gesellschaftlicher Sicht spannend, denn die Rolle von werdenden Vätern bei der Geburt hat sich in den vergangenen 30 Jahren grundlegend verändert.

Früher waren Männer gezwungen, kettenrauchend auf dem Flur auf und ab zu gehen, bis ihnen jemand die glückliche Nachricht überbrachte und sie das Baby kurz durch eine Glasscheibe bestaunen durften. Heute scheint es Pflicht zu sein, im Kreißsaal der Partnerin zur Seite zu stehen. Nur wenige Paare ziehen es vor, den intimen Moment der Geburt lieber nicht zu teilen, weil sie befürchten, dass die Erotik später darunter leiden könnte.

"Man kann schon von einem gesellschaftlichen Druck sprechen, der Väter dazu bringt, bei der Geburt dabei zu sein", sagt die Medizinerin Valenka Dorsch. Sie befragte für ihre Untersuchung die Männer getrennt von den Frauen, um ehrliche Antworten zu bekommen. Eine häufige Antwort auf die Frage nach der Motivation, bei der Geburt dabei zu sein: "Ich tue es meiner Frau zuliebe."

Je mehr Technik, desto negativer

Es zeigte sich, dass sich die Mehrzahl der Männer unrealistische Hoffnungen auf die Einzigartigkeit des Moments hegten. Das Hauptproblem sei, dass die Erwartungen vieler Paare viel zu hoch seien, sagt Forscherin Dorsch: "Es ist eben nicht immer das schönste Erlebnis des Lebens." Positiv sei die Wahrnehmung durchweg bei islamischen Männern gewesen, so die Medizinerin, was allerdings wohl daran liegen könne, dass keiner von ihnen im Kreißsaal dabei war.

Ohnmacht schwer zu verarbeiten

In der Bonner Studie wurden auch die Faktoren untersucht, die einen Einfluss auf das positive oder negative Fazit der Männer hatten. Die beste Bewertung bekam die natürliche Geburt, aber je mehr medizinische Technik im Kreißsaal eingesetzt wurde, desto negativer erlebten die Männer das Geschehen. Wenn die Ärzte eine PDA setzten oder zum Kaiserschnitt rieten, erhöhte das die Ängstlichkeit der werdenden Väter, während es den Müttern eher weiterhalf, sowohl psychisch als auch physisch.

Papa raus

Zwar hatten 62 Prozent der Erstväter einen Geburtsvorbereitungskurs absolviert, dies hatte jedoch der Studie zufolge keinerlei Auswirkungen auf die Befindlichkeit im Kreißsaal. Männer erfahren meist schon in den Kursen, dass sie bei der Geburt ihres Kindes eigentlich hilflos danebenstehen, während die Partnerin Schmerzen erleidet, weint, schreit und sich am Ende fühlt. Bei der Geburt zeigt sich dann, dass es genauso ist, und dass man tatsächlich nichts tun kann, außer anwesend zu sein. Für manche Männer ist die Ohnmacht, nichts tun zu können, schwer zu verarbeiten.

Der französische Arzt Michel Odent, der durch seine Arbeiten zur sanften Geburt bekannt wurde, hat dafür plädiert, dass Frauen es auch wagen sollten, den Vater aus dem Kreißsaal zu schicken. Nach seiner Beobachtung sind nicht alle Männer eine wirkliche Stütze für ihre Frau. Die Geburt gehe "auffallend oft dann wieder richtig voran, wenn Väter sich gerade mal ein wenig im Garten die Beine vertreten oder sich am Kiosk was zu trinken holen", schreibt er. Dabei sein ist eben doch nicht immer alles.

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