Urlaub unter Kindern:Wenn Freunde Eltern werden

Mecklenburg-Vorpommern lockt Urlaubshungrige mit Last Minute-Sommerspecials

Im Urlaub mit fremden Kindern? Am Strand geht es allen besser.

(Foto: obs)

Terror ab früh morgens: Urlaub mit Freunden klingt gut. Nur nicht, wenn die ihren Nachwuchs mitbringen, und man selbst keinen hat. Da können die Ferien zur Geduldsprobe werden. Doch die lohnt sich.

Von David Pfeifer

Als Kinderloser erkennt man irgendwann die Muster: Zuerst besucht man glücklich erschlaffte Mütter und Väter, die einem ihr Baby unter die Nase halten. Man gratuliert, versucht sich auf die Zunge zu beißen, wenn die Schönheit des Nachwuchses übermäßig gepriesen wird, verabredet sich mit dem Vorsatz, sich bald wieder zu treffen, und dann passiert lange: nichts.

Man entdeckt vielleicht ein Bild oder einen Satz über die Kinder auf Facebook, vermutlich lustig gemeint, und wenn die Eltern etwas mehr Erfahrung mit dem Kinder-Handling haben, bekommt man auch wieder Antwort auf eine SMS, die man drei Tage zuvor verschickt hatte.

Da darf man nicht eingeschnappt sein, sondern muss sich klarmachen: Die Freunde, die man kannte, sie sind weg.

Plötzlich haben sie nie Zeit, aber wenn man sie mal erwischt, haben sie auch nie etwas Interessantes erlebt. Sie erzählen todlangweiliges Zeug ("Gestern hat sie über den Fernseher gewischt, als sei es ein iPad!") und verfallen zudem optisch rasend schnell (Flecken auf der Kleidung, strähnige Haare, Bauchansatz wegen Bewegungsmangel, neuerdings zum "Dadbod" euphemisiert). Kurzum: Sie wirken nicht so, als hätten sie das Glück ihres Lebens gefunden, sondern als seien sie schwer vom Schicksal gestreift worden.

Ich nannte die kleine Lena "meinen Wecker!"

Wenn ein Freund einen Schicksalsschlag verkraften muss, zeigt sich, wer in harten Zeiten zu einem steht, dann muss man dahin, wo es wehtut. Notfalls in einen gemeinsamen Urlaub.

Wir waren auf Mallorca, eine wunderschöne alte Finca, mit Pool, abgewirtschaftetem Tennisplatz, etwa 40 Minuten Entfernung zum nächsten Strand. Wir, das waren meine Freundin und ich, sowie zwei Elternpaare - die einen mit einer Tochter, Lena, fünf Jahre alt, die anderen mit Geschwistern, Karl, zehn Jahre, und Paula, sechs Jahre alt. Die Namen: zart verändert.

Ausschlafen ging in der Finca natürlich nicht, damit hatte ich gerechnet. Die ersten Probleme aber tauchten beim Humorverständnis auf. Als ich die kleine Lena (nicht besonders klug, süßes Lächeln, lebensgefährlich ungeschickt) am zweiten Morgen "meinen Wecker!" nannte, fanden die Eltern das nicht lustig. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Bis dahin dachte ich, Humor schafft Raum, um verletzungsfrei miteinander umgehen zu können, und davon kann man doch gar nicht genug haben, wenn man eine harmonische Woche gemeinsam in einem Haus verbringen will. Doch das Offensichtliche auszusprechen wird zu einer schwierigen Übung, wenn die Eltern bei ihrem Kind keinen Spaß verstehen. Obendrein überhören sie gerne Hinweise; dass es beispielsweise nicht normal ist, wenn die Kleine das ganze Haus zusammenplärrt, weil sie ihr regenbogenfarbenes Plastikpferd frühmorgens im Halbdunkel nicht finden kann. Man muss dann schon sehr deutlich werden.

Die Kinder direkt ansprechen ("Kannst du mal ruhig sein?", "Wie sieht's denn hier aus?") geht sowieso nicht, das hatte ich schon gelernt, aber ein Witz? Ein Witz muss gehen. Oder auch zwei. Sonst wird der Druck zu groß, und niemand will eine Explosion im Urlaub.

Es ist im Übrigen beeindruckend zu sehen, wie schnell drei Kinder ein Auto in eine fahrende Hüpfburg verwandeln können. Oder wie sie mit relativ simplen Bestellungen zum Mittagessen ("Fischstäbchen mit Nudeln") Fachkräfte in guten Restaurants an ihre Grenzen bringen. Damit hat sich mein Interesse aber auch erschöpft, denn Kinder sind was für Eltern. Wer keine Kinder hat, findet sie in aller Regel nicht spannend.

Jeder muss Opfer bringen

Eltern präsentieren und erklären ihre Kinder aber offensichtlich gerne, was dazu führte, dass ich mir, anstatt in der Hängematte lesen zu dürfen, Bilder von Karl und Paula auf dem Smartphone ansehen musste, obwohl die Kinder nur wenige Meter entfernt von uns spielten. Kinder bei der Einschulung sehen übrigens nicht groß anders aus als Kinder in einem Ferienhaus.

Hier zeigte sich die größte emotionale Verschiebung. Ich war mit Freunden in den Urlaub gefahren, sie aber mit Kindern. Die ersten Tage glichen dem Versuch, Schach auf der Tanzfläche einer Großraumdisco zu spielen. Vor allem von Lenas Mutter hörte ich etwa hundert Mal den Appendix, " . . . was hattest du gerade gesagt?" - bevor ich aufgab, eine Geschichte zu Ende zu erzählen, weil sie immer wieder ihrer wirklich ungeschickten Tochter hinterherstürzen musste.

Irgendwann bot ich an, Lena im Pool zu beaufsichtigen. Mein Hinweis, wir könnten es ja später noch mal mit Konversation versuchen, wurde erst als Affront gewertet, führte abends aber zu einer langen Diskussion und einem bereichernden Gespräch bei einer zweiten und dritten Flasche Wein. Deswegen war ich mitgefahren - um die kostbaren Momente, in denen die Kinder sich nicht in den Vordergrund drängeln, mit den Eltern zu teilen. Gerne auch über Erziehung diskutierend.

Da ist es jedoch hilfreich, tagsüber nach dem Takt der Kinder zu leben, dann sind die Eltern abends nicht so gestresst, fühlen sich nicht gleich kritisiert und halten länger durch. Der Harmonie zuliebe kann man sich ruhig mal mit den Kleinen beschäftigen, um die Anstrengungen der Eltern abzufedern. Jeder sollte ein Opfer für einen schönen Urlaub bringen, zumal an Schwimmen im Pool nicht zu denken war, nachdem die Kinder ihn in eine Sandkiste verwandelt hatten.

Behalten Sie Ihre Meinung für sich!

Wenn man allerdings anfängt, sich mit den Kindern zu befassen, erwachsen daraus neue Komplikationen. Zum Beispiel, dass man die Defizite der Freunde, die man ja sehr genau kennt, in den Kleinen gespiegelt sieht. Karl ist ein derartig schlimmer Angeber, der aber selber so wenig einstecken kann, dass ich nicht anders vermag, als gleichzeitig die Angeber-Attitüde seines Vaters und die Überempfindlichkeit seiner Mutter zu sehen. Diese gehören nicht zu den guten Eigenschaften seiner Eltern, die sich naturgemäß auf die schönen Seiten ihrer Erblast fixieren.

Die Mutter versucht, Karl vor allem abzuschirmen, besonders aber vor Niederlagen in jeder noch so kleinen Form. Der Vater redet ihm wiederum ein, dass er der Größte sei und in erster Linie selber daran glauben muss. Was im Ergebnis dazu führte, dass der kleine Karl ziemlich fertig war mit den Nerven, als er feststellen musste, dass ich sowohl besser Tischtennis als auch Malefiz spiele als er. Auch meine Erklärung, dass ich dreißig Jahre mehr Übung in beiden Disziplinen habe, konnte ihn nur schwer trösten. Bis heute - der Urlaub liegt schon ein wenig zurück - hält Karl mich für ein multibegabtes Genie. Wohingegen seine Eltern mich für ein Scheusal halten, weil ich ihn nicht habe gewinnen lassen.

Nun bin ich aber der Überzeugung, es bringt nichts, Kindern den Eindruck zu vermitteln, Minimalaufwand sei ausreichend, um sich die Welt untertan zu machen. Während die Eltern glauben, die Härten des Lebens sollten sich ihm erst eröffnen, wenn er so etwa 30 Jahre alt und charakterlich gefestigt ist.

Die Wahrheit liegt vermutlich dazwischen, auf der Tischtennisplatte liegt sie jedenfalls nicht, denn ich habe Karl ziemlich geschont. Hier gilt es, Großzügigkeit neu zu lernen und seine Meinung vor guten Freunden für sich zu behalten, denn Eltern sind schon so strapaziert genug von der Notwendigkeit, alles richtig machen zu müssen.

Eltern fragen sich spätestens an dieser Stelle, ob es denn wirklich nur Anstrengung und Opfer sein muss, mit ihnen und ihrem Anhang Urlaub zu machen. Natürlich nicht! Der große Glücklich- und Gleichmacher, ein Ort, den man als Familie, egal ob blutsverwandt oder selbst gewählt, gar nicht häufig genug aufsuchen kann, bleibt: der Strand.

Die Lösung? Ab in den Sand

Am Strand geht es allen besser. Den Kindern, weil es eine unregulierte Zone ist ohne Kleider- und Verhaltensordnung, man darf sogar mit den Händen essen. Den Eltern, weil sie abwechselnd durch ein zusammengekniffenes Auge nach dem Kind sehen, dazwischen vielleicht zwei Seiten in einem Buch lesen oder sogar ein Gespräch führen können, ohne auf Autos, Manieren oder Süßigkeitenkonsum achten zu müssen.

Und den Freunden der Eltern, weil sie endlich mal wieder Dinge tun dürfen, die sie schon lange mal wieder tun wollten, sich aber ohne Kinder nicht trauen. Sandburgen bauen beispielsweise. Auch um Kinder bis zum Hals im Sand einzubuddeln, braucht man Kinder. Sich auf einer riesigen Banane von einem Motorboot über Wellen ziehen zu lassen, wirkt ebenfalls weniger albern, wenn man sich Nachwuchs von Freunden leiht.

Paula, die eines der selten gewordenen, aber durchaus noch existierenden Kinder mit Abenteuerlust ist, ließ sich in der Cala Llombards etwa zwei Stunden von mir im hohen Bogen ins Wasser werfen und probierte dabei unterschiedliche Flugposen aus. Ihr Vater, der schon seit zwei Jahren nicht mehr zum Klettern gekommen war, hangelte sich neben der Bucht am Felsen hoch. Karl stand hüfthoch neben mir im Wasser und sagte irgendwann: "Das ist wie Ferien mit dem Hulk und Spiderman."

"Karl, wir reden gerade miteinander"

An diesem Abend, dem vorletzten, durften die Kinder länger wach bleiben - wofür ich mich eingesetzt hatte in der trügerischen Hoffnung, sie würden deswegen am nächsten Morgen länger schlafen. Als Karl sich dazwischenwarf, weil sein Vater mir schon drei Minuten am Stück seine Aufmerksamkeit schenkte, sagte ich: "Karl, wir reden gerade miteinander. Wenn du nichts zum Thema Steuergerechtigkeit beizutragen hast, dann geh doch mal deine Spielsachen einsammeln, sonst trete ich heute Nacht wieder in einen Lego-Stein." Der Vater sog kurz hörbar Luft ein, dann sprachen wir weiter, und Karl fing damit an, seine Spielsachen einzusammeln. Immerhin 30 Sekunden lang.

Paula und Lena wurden ins Bett gebracht, Karl durfte auf der Liege schlafen, in der Nähe des Grills, auf dem noch die letzte verkohlte Wurst lag, die ich ihm im Rahmen meines Versprechens "Heute grille ich dir so lange Würste, bis du platzt" aufgelegt hatte.

Karls Vater öffnete uns ein fünftes "San Miguel", setzte sich neben mich auf die Bank vor dem Haus und betrachtete seinen Sohn, der in eine Decke eingehüllt sanft schnarchte. "Ich liebe Karl wie blöd - aber überleg dir das mit Kindern lieber ganz genau" war der Satz, der nicht nur eine verloren geglaubte Nähe wiederherstellte, sondern auch Hoffnung aufkeimen ließ, dass die Zeiten zurückkommen könnten, in denen mein Freund wieder der Mensch wird, den ich kannte. Vielleicht in fünf, vielleicht erst in zehn Jahren. Wer Wert auf Freunde legt, muss eben Geduld haben. Und mit ihnen in den Urlaub fahren.

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