Ungewöhnlicher Testesser:Das Gourmetkind

Ein Zehnjähriger aus Baltimore macht seit einiger Zeit in seiner Heimatstadt als Restaurantkritiker Furore. Sein Urteil orientiert sich dabei sowohl an der Qualität des Essens als auch an der Kinderfreundlichkeit des Lokals.

Marten Rolff

Früher hatten Kinder bei Tisch ihren Teller leer zu essen, nicht mit den Stühlen zu kippeln und nur zu reden, wenn sie gefragt wurden. Eine Regelung übrigens, in der sich auch gefühlte 40 Jahre nach ihrer Abschaffung für Erwachsene unbestreitbare Vorteile erkennen lassen. Aber natürlich, schon klar: Es ist sicher nicht die wünschenswerteste Form, das familiäre Miteinander beim Essen zu organisieren.

Ungewöhnlicher Testesser: Jüngster Testesser der USA: Eli Knauer.

Jüngster Testesser der USA: Eli Knauer.

(Foto: AFP)

Allerdings muss die Frage erlaubt sein, ob man eine Norm, wie unschön sie auch sein mag, einfach kippen sollte, ohne sich über mögliche Alternativen Gedanken zu machen; ohne einen Plan B zu haben. Und das ist wohl der eigentliche Vorwurf, den man vielen Eltern machen darf. Nicht, dass sie den Kommiss-Ton bei Tisch im Zuge des antiautoritären Taumels der 70er Jahre konsequent aufgeweicht haben. Sondern dass sie dabei nur eine Diktatur durch eine andere ersetzten.

Die Geister, die sie damals riefen, sind bis heute bei jedem Kindergarten-Essen zu beobachten, wobei sich zwei Extremformen besonders durchgesetzt haben: Beim ersten Typus Kind sind für den erfolgreichen Verzehr von vier Löffeln Grießbrei zwei Verhaltenstherapeuten, ein Gameboy, eine Hüpfburg und 90 Minuten nötig. Doch anstrengender ist vermutlich der zweite Typus: Solche Kinder schürzen schon als Fünfjährige beim Anblick von Nudeln mit Tomatensoße die Lippen zum Flunsch und greinen: "Ich mag aber lieber Pesto mit Pecorino. Und Mami streut mir immer geröstete Pinienkerne drauf!"

Es wäre wohl unfair, den kleinen Eli Knauer aus Baltimore an der Ostküste der USA einfach dem letzten Typus zuzurechnen, ohne ihn genauer zu kennen. Tatsache aber ist, dass der Zehnjährige sich gerade alle Mühe gibt, die zweifelhafte Gattung Gourmetkind einer neuen evolutionären Stufe zuzuführen. Denn Eli bezeichnet sich selbst als "Koodie" - eine Wortschöpfung aus "Kind" und "Foodie" - und er macht seit einiger Zeit in seiner Heimatstadt als Restaurantkritiker Furore.

50 Lokale hat der Brillenträger, der äußerlich ein wenig an Harry Potter erinnert, bereits getestet. Sein Urteil orientiert sich dabei sowohl an der Qualität des Essens als auch an der Kinderfreundlichkeit des Lokals. So dürfte ein Steakhaus, in dem Eli kürzlich speiste, bei Baltimores Familien in Ungnade fallen. Denn der Kleinkritiker lobte zwar das vornehme Ambiente und die tolle Konsistenz vom Käse auf dem Bacon-Cheeseburger. Doch monierte der Junge auch die schmale Zielgruppenausrichtung des Ladens, der eher etwas "für Kinder ist, die es chic mögen".

Elis Blog "Adventures of Koodie" wurde bereits mehr als 60.000 Mal aufgerufen. Die Idee, sein Urteil ins Netz zu stellen, hatte Mutter Cheryl, die auch von den Nebeneffekten der Gourmetkritik begeistert ist: Der Blog "hat ihm enorm geholfen, seinen Wortschatz zu entwickeln".

Nicht minder stolz: Elis Vater, der jedoch anmahnt, dass der Junge (Lieblingsgericht: Pizza) seine Texte demnächst auf eine jugendlichere Zielgruppe umstellen sollte und seine Geschmacksnerven noch trimmen müsse, um später in der Welt der Großkritiker bestehen zu können.

Unklar bleibt, warum sich Elis Eltern überhaupt einmischen dürfen. Sie sollten froh sein, wenn der Junge sie ab und zu mit ins Lokal nimmt, wo sie Hamburger mit Pommes kriegen und die Spiele-Ecke ausprobieren dürfen.

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