Ungewöhnliche Paarbildung:Doppeltes Spiel

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Kunstfilmfrau trifft Glamour-Lady: In Isabelle Stevers Film "Das Wetter in geschlossenen Räumen" darf sich Maria Furtwängler mal so richtig gehen lassen. Über die Begegnung eigensinniger Frauen.

Von Christian Mayer

Also dieser Panzer, der musste sein, ohne den hätte man ja nie dieses Gefühl der Bedrohung gespürt, die Atmosphäre des heraufdämmernden Bürgerkriegs, der auch vor den Enklaven der reichen Ausländer nicht Halt macht. Isabelle Stever muss lachen, wenn sie über die Leihgabe der jordanischen Armee spricht, die ihr Team nach schwierigen Verhandlungen vor dem Fünf-Sterne-Hotel Grand Hyatt in Amman parken durfte, ausnahmsweise, man will ja die Gäste nicht erschrecken. "Und dann kriegt unser Panzer sein Rohr nicht hoch, war wohl etwas altersschwach." Was im Film nicht mehr zu sehen ist, denn da öffnet Maria Furtwängler das Fenster ihrer Suite und brüllt hinunter zu den Soldaten, die den Panzer und das Hotel bewachen: "Ich möchte mich mit jemandem bekriegen!"

Ein Treffen mit der Filmemacherin im Café Einstein in Berlin. Im Einstein ist man nie für sich: Wer etwas zu verkaufen hat, demonstriert auf offener Bühne seine Wichtigkeit und bestellt ein Wiener Schnitzel. Auch Isabelle Stever, diese auch mit 52 Jahren mädchenhafte Frau, hat etwas zu verkaufen, aber das Schnitzel braucht's nicht. Die diplomierte Mathematikerin, die eher zufällig beim Film landete, lebt bescheiden, wie viele in der Branche, die auch auf Selbstausbeutung fußt. Es reicht ein Cappuccino, um diese Geschichte zu erzählen, die Geschichte zweier Frauen, die gegensätzlicher nicht sein könnten.

Die Begegnung zwischen der unscheinbaren Isabelle Stever und der allgegenwärtigen Maria Furtwängler. Kunstfilmfrau trifft Quoten-Lady, Berliner Schule macht auf Glamour. Ein Experiment, das die Frage aufwirft: Wer profitiert da von wem?

Was daraus geworden ist, können die Zuschauer seit Donnerstag im Kino sehen. "Das Wetter in geschlossenen Räumen" heißt der Film. Furtwängler spielt eine Spendensammlerin, die im Auftrag des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen in einer arabischen Großstadt unterwegs ist. In der Ferne hört man Schüsse, drinnen wird gefeiert: Die Hauptfigur Dorothea Nagel kennt sämtliche Tricks des Fundraisings, sie weiß, wie man Politiker, Wirtschaftsbosse und Operndiven um den Finger wickelt, damit am Ende genug Geld fließt. Der Haken an der Geschichte ist nur, dass die jungen Flüchtlinge, die für ein Vorzeigeprojekt des UNHCR an eine Eliteuni geschickt werden sollen, wegen der Kriegswirren noch gar nicht da sind, die Zelte draußen in der Wüste stehen leer, während Dorothea im Luxushotel ihre große Gala plant.

Die Schauspielerin hat das Magazin- Cover mit ihren "Bekenntnissen" sofort auf Facebook gepostet. Es ist ein Foto vom Kiosk: Neben den Gummibärchen und Angela Merkel glänzt Maria Furtwängler

Eines kann man den Zuschauern versprechen: So zynisch und abgefuckt hat man die 49-jährige Maria Furtwängler nie gesehen, weder im "Tatort", noch in einem ihrer Fernsehspiele, schon gar nicht bei ihren gesellschaftlichen Auftritten.

Es ist ein sehenswertes Kammerspiel, die Selbstentblößungsshow einer Karrierefrau. Maria Furtwängler hat im Film einen lockenköpfigen Bettgenossen, gespielt von Mehmet Sözer, der 1991 auf die Welt kam, in dem Jahr, als Maria Furtwängler einen gewissen Hubert Burda heiratete. Die Film-Dorothea säuft wie ein Loch, sie nimmt Drogen, haut das Geld raus, sie vögelt, bis der Morgen graut, dann steht sie schwer verkatert wieder auf und sagt: "Die größten Spenden akquiriere ich im Delirium."

In "Das Wetter in geschlossenen Räumen" warten die Menschen auf den großen Knall das nächste Flüchtlingsdrama - auch Dorothea (Maria Furtwängler) und ihrLover Alec (Mehmet Sözer). (Foto: Movienet Film)

Das ist eine dieser schmutzigen Rollen, die im deutschen Film und im Fernsehen normalerweise für Männer reserviert sind, für Männer, die ihre sehr viel jüngeren Freundinnen austauschen wie Anzüge. Nur dass diese Männer nicht so ordentlich in den Mülleimer kotzen.

Szenenwechsel, von Berlin nach München. Eine blitzsaubere Suite im Hotel Bayerischer Hof. Man denkt an das feudale Liebesnest im Film und an diese Hotelszene mit dem Stiletto, als Dorothea den Sessel reparieren will, den ihr Liebhaber bei einem nächtlichen Wutanfall zertrümmert hat: Sie nimmt einfach ihren Stiletto und hämmert damit den Nagel ins Holz.

Im echten Leben sitzt die makellos gestylte Maria Furtwängler auf dem grünen Sofa und versichert sehr ernsthaft, dass sie noch nie im Leben auch nur annähernd so betrunken war wie Dorothea im Film. "Mir wird viel zu schnell schlecht von Alkohol." Und doch spielt sie all diese Szenen, als habe ihr ein gnädiger Barmann gerade den fünften Whiskey Sour verabreicht, sie lässt die Sau raus!

Maria Furtwängler hat ihren Gesprächspartner fest im Blick. Man spürt ihr Bedürfnis, auf der sicheren Seite zu sein. Man registriert ihre Medienerfahrung, ihre professionelle Freundlichkeit, die vor allem ein Fallenvermeidungsprogramm ist. Es gibt Leute, die Furtwängler für einen Control Freak halten, vor allem Leute, die mit ihr mal ein Fotoshooting gemacht haben, aber das nur am Rande. Und am Rande steht man ja meist, wenn man Maria Furtwängler betrachtet, die sich selbstbewusst immer mitten ins Geschehen stürzt, im Boulevardtheater, im Gespräch mit der Verteidigungsministerin, bei Markus Lanz, beim Weltwirtschaftsforum in Davos, beim DLD-Kongress in München, beim Bambi.

Im Film gibt es wenig Sicherheiten, obwohl Furtwängler versucht hat, ihre Figur besser aussehen zu lassen, als sie sich fühlt. "Auch ein Betrunkener versucht ja im Rausch noch irgendwie die Kontrolle zu bewahren. Für mich als Schauspielerin ist das ein spannender Vorgang: Man weiß, dass bestimmte Dinge nicht mehr funktionieren, die Zunge wird schwer, aber man verwendet die gesamte Konzentration darauf, normal zu wirken."

Eigentlich wollte Maria Furtwängler diese Rolle gar nicht spielen. Eine dauerbesoffene Antiheldin schließt man als Zuschauer nicht unbedingt ins Herz, egal wie schön ihre Beine sind. "Aber irgendwie hat die Regisseurin nicht lockergelassen, sie hat zwei Jahre lang immer wieder versucht, mich zu überzeugen. Das ist ja auch schmeichelhaft." Als sie sich trafen, wollte Furtwängler erst mal wissen, wie Stever ihren letzten "Tatort" fand. Es stellte sich heraus: Die Regisseurin hatte ihn nicht gesehen. Sie hatte noch nie einen Film mit Maria Furtwängler gesehen, nur ein paar Youtube-Clips.

Man stellt sich die erste Begegnung ganz lustig vor: Eine der erfolgreichsten deutschen Schauspielerinnen, die heilige Maria der Hochglanzmagazine, die in ihrer Selbstvermarktung zwischen Sexiness und koketter Hemdsärmligkeit changiert, kriegt ein unmoralisches Angebot von einer mittellosen Verehrerin. Und die hat dann noch nicht mal "Die Flucht" gesehen, das Vertriebenen-Drama, in dem Maria Furtwängler als heroische Gräfin Furchtlos durch das zerstörte Deutschland '45 reitet, zur Erbauung von elf Millionen Fernsehzuschauern. Stever wollte ihre eigene Furtwängler, nicht die kühle Kommissarin Lindholm; sie war begeistert von diesem Frauentyp, einer Furtwängler, die sich gehen lässt.

Isabelle Stever in ihrer Wohnung in Berlin-Schönefeld. Der Ball ist ein Kunstwerk ihres Sohnes Louis Marioth, der für ihren neuen Film das Lied "By Your Side" geschrieben hat. (Foto: Kiên Hoàng Lê)

"Das war schon sehr speziell, diese Verweigerung, auch diese Kompromisslosigkeit", sagt Maria Furtwängler. Aber irgendwie auch verlockend, "weil die Regisseurin nur ihr Kunstwerk im Kopf hat, das erlebt man selten in der Branche. Deshalb habe ich zugesagt."

Im Film stellt Furtwängler so ziemlich alles auf den Kopf, wofür sie steht: Die Welt, in der die Reichen und Erfolgreichen Geld für den guten Zweck sammeln, wirkt auf einmal hohl, verlogen und selbstgefällig, die gesamte Charity-Idee gerät zur Groteske. Entwicklungshilfe ist hier nur noch ein Witz. "Meine Frisur gehört zu meiner Arbeit", lautet eines von Dorotheas Bekenntnissen, das klingt fast wie aus einem Furtwängler-Interview. Der Film zwingt dem Zuschauer diese Sicht förmlich auf: Spielt da wirklich die Frau, die selbst Spendengelder für ihre Organisation German Doctors eintreibt, ihre eigene Parodie? Betreibt sie todesmutig ihre eigene Dekonstruktion? Hat sie die ewig gleichen, gefahrlos dahinplätschernden Fernsehauftritte satt? Sieht fast so aus, obwohl die Darstellerin auch in ihrem neuen Film sorgfältig darauf geachtet hat, dass selbst im schwächsten Moment noch ein mildes Licht auf sie fällt. Und irgendwie gefällt ihr das jetzt, dieses Spiel mit einem 23-jährigen Liebhaber, sagt Furtwängler: "Das sieht im Film völlig okay aus, wenn man uns da im Bett sieht."

Wenn Isabelle Stever von ihrem Star spricht, wirkt sie aufgekratzt, wie ein verliebter Teenager. "Ich habe so lange um sie geworben, dass ich immer noch Herzklopfen bekomme, wenn ich ihren Namen auf dem Display sehe." Auf ihre leise und zugleich fordernde Art sagt sie noch, dass sie mit Furtwängler Filmgeschichte schreiben möchte, dass sie die Schauspielerin aus ihrer Mainstream-Karriere herausreißen will: "Für mich steht sie in einer Reihe mit Gina Rowlands, Geraldine Chaplin, Catherine Deneuve und Liv Ullmann." Meint sie das wirklich ernst? Stever lacht vergnügt. Und stimmt es, dass es bei den Proben und den Dreharbeiten auch mal ordentlich gerumpelt hat, weil Furtwängler von der improvisatorischen Rollenselbstfindung nicht gerade begeistert war? Auch auf diese Frage kriegt man ein unschuldiges Lächeln.

Nach dem Gespräch mit der Filmemacherin ahnt man, wie sie ihre Maria rumgekriegt hat, wie sie die Frau bezirzt hat, die auf ihrer Facebook-Seite vor ein paar Tagen ein Kiosk-Foto gepostet hat: Zwischen Gummibärchen und Kräuterbonbons liegt da der Stern mit den "mutigen Bekenntnissen" von Maria Furtwängler, daneben der S piegel mit der "einsamen" Angela Merkel. Maria Furtwängler gefällt das. Sehr sogar. Genau wie ihre Hauptdarstellerin weiß aber auch Stever, was sie will. Für ihren Film hat sie den Autor und Filmemacher Harun Farocki an Land gezogen, der am Drehbuch mitgearbeitet hat, kurz vor seinem Tod. Sie hat die Leute vom Grand Hyatt in Amman davon überzeugt, dass da ein Panzer vorfahren muss. Die Location hat sie ganz alleine gefunden, bei ihren Recherchereisen durch den Nahen Osten. Die Mutter eines 23-jährigen Sohnes ist eine Art One-Woman-Show, auch wenn sie auf dem roten Teppich am liebsten nach ihrer Hauptdarstellerin greift: Irgendwo muss man sich ja festhalten.

Oscar-Preisträger Jim Broadbent, der im Film den leicht korrupten britischen Botschafter spielt, musste sie gar nicht mehr überzeugen. Broadbent, den die Welt als Professor Slughorn in den Harry-Potter-Filmen kennt, hatte bei einem Festival in London zufällig Stevers Vorgängerfilm "Glückliche Fügung" gesehen. Erzählt wird die Geschichte einer schweigsamen jungen Frau. Sie wird nach einem One Night Stand schwanger, zieht mit dem Gelegenheitsvater zusammen, und man weiß als Zuschauer in keiner Sekunde, ob das jetzt Liebe oder Horror ist, ob sich diese Simone über das Kind von Herzen freut oder ob sie eine Höllenangst hat. Als Stever ihr Rollenangebot nach London schickte, kam prompt die Zusage: Broadbent mochte ihren Stil.

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"Glückliche Fügung" ist wie "Das Wetter in geschlossenen Räumen" ein illusionsloser Frauenfilm. "Ich mag keine Glorifizierung, aber auch keine Vorverurteilung", sagt die Regisseurin. Dass auch das Filmemachen ein entbehrungsreiches Geschäft ist, hat Stever oft erlebt; vor einigen Jahren dachte sie daran, komplett umzuschulen und Mathematiklehrerin zu werden, Berlin suchte gerade nach geeigneten Leuten. Aber dann war die Liebe zum Kino doch stärker. Ihr nächster Film? Handelt von einer Frau, "die wird erst krank und dann wieder gesund". So ist das Leben, eine ungemütliche Reise.

Isabelle Stever muss jetzt erst mal die Vorstellungstour hinter sich bringen, Kinos abklappern, die Füße tun ihr schon weh, "das sind die Stöckelschuhe, bin ich nicht gewöhnt". PR sei nicht ihr Ding. Aber der Furtwängler-Rummel beschert ihr so viel Aufmerksamkeit wie nie, die 2,1-Millionen-Produktion ist in der Auswahlliste für den Deutschen Filmpreis.

"Maria lebt ja die ganze Zeit so", sagt Stever. Das Blitzlicht, die Bilderflut, die irren Komplimente, die zurechtgebürsteten Interviews, "das ist nicht meine Welt." Viel mehr als eine kurze Zweckgemeinschaft war es am Ende nicht, aber private Freundschaften mit Schauspielern gebe es bei ihr ohnehin nie.

Dann zieht sie die dicke Fellmütze auf und läuft ungeschminkt durch den Berliner Winter. Mit warmen Ohren und geröteten Wangen.

© SZ vom 30.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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