UN-Report zum demografischen Wandel:Jede halbe Sekunde ein 60. Geburtstag

Im Jahr 2050 wird es weltweit erstmals mehr Über-60-Jährige geben als Unter-15-Jährige. Dann wird die Bevölkerung in 64 Ländern zu mehr als einem Drittel aus Senioren bestehen. In ihrem aktuellen Bericht machen die Vereinten Nationen auf das Problem der alternden Gesellschaft vor allem für arme Länder aufmerksam und fordern: Erkennt das Unvermeidliche.

60. Geburtstag, alternde Gesellschaft, Bush

Jede Sekunde feiern zwei Menschen irgendwo auf der Welt ihren 60. Geburtstag - der damalige Präsident der USA, George W. Bush beging sein Jubiläum bereits 2006.

(Foto: REUTERS)

Marmeladengläser lassen sich nicht mehr aufdrehen, von modernen Milchtüten mit Schraubverschluss ganz zu schweigen. Schon das Aufschieben der Tablettenbox kann zu einer gewaltigen Herausforderung werden. Im Alter werden Handgriffe, die ein Leben lang unbewusst, mechanisch ausgeführt wurden, plötzlich zu Aufgaben. Das Gefüge aus Bedürfnissen - von der Nahversorgung mit Lebensmitteln bis hin zum Internetzugang - verändert sich radikal.

Darauf einzugehen ist längst nicht mehr Spartenthema, sondern gesamtgesellschaftliche, weltweite Aufgabe. Sollte es zumindest sein. Die Vereinten Nationen machen das in ihrem Bericht "Ageing in the Twenty-First Century" deutlich, der anlässlich des Internationalen Tags der älteren Menschen am 1. Oktober veröffentlicht wurde.

Die Fakten sprechen für sich: Jede Sekunde feiern irgendwo auf der Welt zwei Menschen ihren 60. Geburtstag. Das sind 58 Millionen solcher Jubiläen pro Jahr. 2050, wenn die heute 22-Jährigen ihren 60. feiern, wird es weltweit erstmals mehr Über-60-Jährige geben als Unter-15-Jährige. Dann wird die Bevölkerung in 64 Ländern weltweit zu mehr als einem Drittel aus Senioren bestehen. Das einzige Land, wo diese Entwicklung heute schon eingetreten ist, ist Japan.

Altern in den entwickelten Volkswirtschaften

Ob intelligente Haustechnik, die Stürze vorausahnt und meldet, umfassende medizinische Versorgung und finanzielle Mindestabsicherung - so umstritten diese auch sein mag: In den entwickelten Volkswirtschaften lässt es sich schon heute vergleichsweise komfortabel altern.

Doch der demografische Wandel ist, anders als häufig wahrgenommen, kein exklusives Problem der westlichen Welt. Schon heute leben zwei Drittel aller Über-60-Jährigen in Entwicklungsländern. 2050 werden es 80 Prozent sein. Weltweit wird es laut UN-Prognose dann 3,2 Millionen Menschen geben, die älter sind als 100 Jahre. 2011 waren es 316.600.

Mehr als die Hälfte der Senioren, die für den UN-Report befragt wurden, sagen, es sei schwierig oder sehr schwierig, das Nötigste zu bezahlen, was sie zum Leben brauchen. Diese Problematik dürfte sich rapide verschärfen, gerade in den weniger entwickelten Ländern. Denn in vielen Teilen der Welt liegt die Verantwortung für Senioren nach wie vor in den Familien, staatliche Renten- und Sozialsysteme fehlen.

Doch weltweit verändern sich Familienmodelle rapide: Sie werden kleiner, traditionelle Strukturen lösen sich auf. Oder, wie es die Vereinten Nationen in ihrem Bericht formulieren, "Unterstützungssysteme zwischen den Generationen werden weiterhin wichtigen Veränderungen ausgesetzt sein."

Fast die Hälfte aller älteren Frauen lebt in Deutschland allein

In Deutschland lässt sich diese Entwicklung an einer Zahl festmachen, die das Statistische Bundesamt ebenfalls an diesem Dienstag veröffentlichte: 45 Prozent der Über-65-jährigen Frauen lebten 2011 allein, bei den älteren Männern war es knapp ein Fünftel. Zwar bedeutet das für die Frauen einen Rückgang im Vergleich zu 1991 - damals waren es 55 Prozent -, das hängt aber vor allem mit den demographischen Folgen des zweiten Weltkriegs zusammen.

Vor 30 Jahren gab es keine einzige Volkswirtschaft, in der der Konsum der Senioren den von Jüngeren übertroffen hätte. 2010 waren es jedoch bereits 23, 2040 wird es 89 solcher alternder Wirtschaftssysteme geben. Auch hierzulande sprechen Marketingexperten und Medien immer wieder gerne über die Zielgruppen "Silversurfer" und "Best-Ager". Doch die Optik der Plakatwände in den Städten und die TV-Spots, die sich an der noch immer werberelevanten Zuschauerquote der 14- bis 49-Jährigen orientieren, sprechen eine andere Sprache: Produkte und Dienstleistungen für ältere Menschen sind noch immer ein Spartenmarkt.

Es ist daher wenig überraschend, dass noch vor der Forderung, älteren Menschen ein würdevolles und sicheres Leben zu ermöglichen, ganz oben auf einer Liste von zehn Forderungen des UN-Alterungsberichts Folgendes steht: "Die Unvermeidbarkeit der gesellschaftlichen Alterung erkennen und alle Akteure (Regierungen, Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Gemeinden und Familien) auf die wachsende Zahl älterer Menschen vorbereiten."

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