Fight or Flight
Zurück zum Säbelzahntiger. Tauchte er vor einem Steinzeitmenschen auf, aktivierte der jene Alarmanlage, die Mediziner als sympathisches Nervensystem bezeichnen. Das Nervengeflecht bereitet den Organismus automatisch auf Kampf oder Flucht vor - Fight or Flight. Bei drohender Gefahr wird der Herzschlag erhöht, die Lunge geweitet, die Verdauung eingestellt. Die Muskeln sind angespannt, der Stoffwechsel läuft auf höchstem Umsatz. Stresshormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Kortison helfen jetzt, das Letzte aus den Organen herauszuholen. In glücklichen Steinzeitmomenten gelang es so, dem Säbelzahntiger zu entkommen oder ihn gar niederzuringen.
Nach erfolgreichem Kampf oder geglückter Flucht aktiviert der Körper den Gegenspieler des sympathischen - das parasympathische - Nervensystem. Es ist das Regulationssystem der Kontemplativen, die satt und selbstzufrieden vor sich hin dösen. Ihr Blutdruck ist unten, der Puls verlangsamt. Ruhe kehrt ein, einzig die Verdauungsorgane glucksen vor sich hin. So ungefähr fühlt es sich im Liegestuhl am Pool an.
Bis er diese Entspannung wieder erleben konnte, musste Joe Simpson viel erdulden. Mit seinem Freund Simon Yates bestieg der Brite 1985 erstmals die Westwand des 6344 Meter hohen Siula Grande in den Anden. Während des Abstiegs stürzte Simpson, sein Knie splitterte, der Schienbeinknochen bohrte sich in das Gelenk. Yates wollte Simpson vorsichtig abseilen, doch der stürzte erneut, diesmal über einen Felsvorsprung. Er hing frei am Seil, nach einer Stunde musste der Freund, der ihn hielt, entkräftet und verzweifelt die Verbindung kappen.
Simpson überlebte wieder - diesmal schwer verletzt in einer Gletscherspalte. Er konnte einen Ausgang finden. Mit zerschmettertem Bein, halb erfroren, kroch er Richtung Basislager. Er wog nur noch 40 Kilogramm und halluzinierte, als er nach sieben Tagen entdeckt wurde. Unter dem Titel "Touching the Void" (Sturz ins Leere) schrieb er einen Bestseller über sein besonderes Krisenerlebnis.