Typologie der Umarmer:Weltknuddeltag: Von Reibern, Schauklern und Antäuschern

Umarmungen. Collage

Wer umarmt hier wen und wie?

(Foto: imago, afp, ap; Collage: Jessy Asmus/SZ.de)

Umarmungen zeigen Freude, spenden Wärme und Trost - manchmal bis zur Beklemmung. Eine Typologie der Menschen, die Ihnen um den Hals fallen.

Von Viktoria Bolmer, Tanja Mokosch und Violetta Simon

Die Reiberin

Sie ist der Feind eines jeden Wollpullis: die Reiberin. Obwohl es nicht bitterkalt ist und ihr Gegenüber die Volljährigkeit längst erreicht hat, reibt sie bei der Begrüßung eine fiktive durchgefrorene Fünfjährige intensiv warm.

Über die Begegnung ist die Reiberin meist sehr erfreut, der Begrüßte darf unter allen Umständen mit einem strahlenden Lächeln und einem "Hiiiiii" mit sehr vielen i rechnen. Die Arme streckt sie, einem Roboter ähnlich, auf Brusthöhe aus, so dass die Oberarme der anderen Person genau zwischen ihren Handflächen eingeklemmt sind.

In kräftigen Auf- und Abwärtsbewegungen reibt sie nun all ihre Liebe und Zuneigung in die vermeintlich Fünfjährige (in Wahrheit 35-Jährige) hinein. Der Pullover erhitzt sich, die Haut brennt, dann ist der Schmerz vorbei.

(Viktoria Bolmer)

Die Schaukler

Der Schaukler empfängt seinen Partner stets mit offenen Armen - und dann wird gewiegt. Wie ein in den Wellen liegendes Schiff, von links nach rechts und wieder zurück. Sobald die beiden zueinandergefunden haben, und die Umarmung erfolgt, beginnen sie mit ihrer Zeremonie: Augen schließen, hingebungsvoll die Wangen aneinanderdrücken, der körperlichen Präsenz des anderen nachspüren. Das sanfte Wiegen kann sich, wenn gewünscht, allmählich zu einem Schwanken steigern.

Je nach Grad der Zuneigung kann der Schaukelbewegung durch genießerisches Summen ("Hmmmmmmm)" eine zusätzliche Innigkeit verliehen werden. Sind sich die Beteiligten zufällig über den Weg gelaufen, eignet sich auch ein freudig überraschtes "Heeeyyyyyyyy!" zur akustischen Untermalung. In jedem Fall sollte die Umarmung beendet werden, bevor sich die Schaukler voneinander lösen und dazu übergehen, sich mit herzlichem Nachdruck in die Augen zu schauen. Händchenhaltend.

Besonders beliebt ist das Schaukeln bei jungen Müttern, die chronisch übermüdet sind. Einige von ihnen (sogenannte Advanced Swinger) sind sogar in der Lage, während der Begrüßung einen spontanen Kurzschlaf (den sogenannten Quickie) zu vollziehen. In Extremfällen wird das Schaukeln vorübergehend eingestellt und erst wieder fortgesetzt, wenn beide ausgeschlafen haben.

(Violetta Simon)

Der Antäuscher

"Ja. Ha. Wahnsinn. Was machst du denn hier?", plärrt der Antäuscher. Auf der Toilette im Fastfoodladen. Oder beim Konzert an der Bar. Und dann breitet er die Arme aus. Oder eher: Er zuckt mit selbigen, hebt sie seltsam angewinkelt erst auf Hüfthöhe, dann ein bisschen höher. Und lässt sie wieder ein bisschen sinken.

Der Antagonist des Antäuschers ist verdutzt. Er hat diese Person erst wenige Male gesehen. Noch nie ist er ihr alleine begegnet. Der Antäuscher ist ein neuer Kollege, die Ex- oder neue Freundin eines Freundes - im schlimmsten aber wahrscheinlichsten Fall jemand, an dessen Namen man sich nicht erinnert. Und der steht da jetzt, mit zuckenden Armen.

Ein Blick über die Schulter. Nein, muss der Antagonist feststellen, er ist gemeint. Wieder Blickkontakt mit dem Antäuscher. Der nähert sich inzwischen entschlossen. Gerade hat er entschieden: Lieber eine Umarmung zu viel, als eine zu wenig, zumindest formal. Denn eine echte Umarmung wird das nicht mehr.

Der Antäuscher nimmt die Winkelarme noch ein bisschen höher, macht einen beherzten Schritt und umarmt ein fünf Zentimeter dickes Luftschild um den Antagonisten herum. Nur ganz kurz. So kurz, dass gar nicht auffällt, dass hier eigentlich niemand umarmt wurde. Vor lauter Erleichterung wird der Antäuscher übermütig. Beim Zurücktreten schlägt sein Ohr an das seines Umarmungspartners. "Also dann noch viel Spaß, ne. Wir sehen uns!"

Tipp für die nächste Antäuscher-Begegnung: entschlossen winken mit Option auf Schulterklopfen.

(Tanja Mokosch)

Klopfer und Klammerer

Die Klopfer

Sie reiben nicht, und schon gar nicht schaukeln sie sich zur Begrüßung: Echte Kerle ziehen sich eins über, hauen sich auf die Schulter. Kumpelhaft klopfen sie sich gegenseitig ab, bis die Fusseln fliegen.

Das Abklopfen unter Männern stammt aus einer Zeit, in der man miteinander trank, wenn man sich mochte. Und sich erschoss, wenn man sich nicht mochte. Daher war es von essenzieller Bedeutung, zu erfahren, wem man trauen konnte und wem nicht. So gesehen konnte die Methode des Abklopfens durchaus als lebensrettend bezeichnet werden - auf der Suche nach möglicherweise verborgenen Waffen. Und heute?

Hach! Der moderne Mann. Hingebungsvoll hat er im Laufe der Jahrzehnte seine empfindsame Seele durch schonungslose Selbstreflexion freigelegt. Ist es da ein Wunder, dass er versucht, das kostbare Juwel zu beschützen? Dass er sein Innerstes, sobald er die vertraute häusliche Sphäre verlässt, unter einer robusten Hülle zu verbergen sucht wie ein rohes Ei?

Nur eine Frau würde auf die Idee kommen, ein rohes Ei zu streicheln, um es nicht kaputtzumachen. Der Mann packt das Ei in eine Pappschachtel. Steckt die Schachtel in eine Holzkiste. Und sperrt die Kiste in einen Panzerschrank. Man kann schließlich nie wissen, wer einem über den Weg läuft.

Und wenn ihm dann einer über den Weg läuft, kann er wieder ganz Mann sein: Da wird geklopft, dass es nur so staubt. Erst die Schultern, dann die Oberarme, schließlich tätscheln sich die Hände nach hinten über die Schulterblätter auf den Rücken. Um sich gegenseitig zu versichern, dass sie ganz die Alten geblieben sind, robust wie ein Panzerschrank.

Womöglich aber auch in der bangen Hoffnung - verdammt, irgendwo muss sie doch sein! -, die Seele eines wahren Freundes zu ertasten.

(Violetta Simon)

Der Klammerer

Der Klammerer atmet ein und schüttelt den Kopf. Ganz. Ganz. Langsam. Er breitet die Arme aus, macht einen Schritt nach vorn - schon hat er den Umarmten in seinen Fängen. Starke Fänge sind das. Der Klammerer ist sehr groß oder so klein, dass er seinen Kopf auf die Fläche zwischen Brustbein und Schulter des anderen legen kann. Luft ist da nicht. Nirgends.

Mit der rechten Hand hält sich der Klammerer an seinem eigenen linken Oberarm fest und andersherum. Und verharrt. Reden überflüssig - der Klammerer kann alles, was er dir jemals sagen wollte, in diese eine Umarmung legen. Nur atmen muss er, laut und langsam.

Den Klammerer tritt unverhofft auf, willkürlich. Als dicker Onkel auf dem Familienfest stellt er kurz vor der Umklammerung die Frage: "Und, was macht die Liebe?" Als Ex-Freund oder -Freundin geht er viel zu kurz nach der Trennung auf die Party deiner Freunde. Als selbsternannter Problemversteher lauert er quasi überall.

Der Klammerer umarmt lang. Doch nicht so lang, dass der Umarmte Zeit hat, sich zu befreien. Gerade ist die Verwunderung über die unerwartete Zuneigung verpufft, da macht er einen Schritt zurück. Atmet (wieder) hörbar ein. "Gut schaust du aus."

(Tanja Mokosch)

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: